Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir im September mit den Haushaltsberatungen begonnen haben, hatten wir drei Ziele: erstens, die nachhaltige Finanzpolitik fortzusetzen und die Herausforderungen, die vor uns liegen, möglichst ohne neue Schulden zu bewältigen; zweitens, die humanitären Katastrophen, die dazu geführt haben, dass sich viele Flüchtlinge zu uns auf den Weg gemacht haben, zu bewältigen, ihnen Obdach zu geben und vor allen Dingen sie – langfristig – nicht nur unterzubringen, sondern auch zu integrieren; drittens, der Investitionsschwäche des Staates, die von Frau Hajduk angesprochen wurde, zu begegnen. Ich stelle fest: Mit dem Vorschlag, den wir Ihnen hier präsentieren können, werden wir all diesen drei Punkten gerecht.

Ich will mich bei den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses ganz herzlich bedanken. Es war schwere und harte Arbeit, aber sie ist gelungen. Ich sage der Koalition, aber auch der Opposition: Es ist in so schwierigen Zeiten, wo man sich auch in einer Koalition das eine oder andere Mal streitet in manchen Parteifamilien etwas intensiver , gut gewesen, dass ihr solide wart und einen Haushalt vorgelegt habt, dem man unbedingt zustimmen kann.
Wir haben Kollege Rehberg ist darauf eingegangen noch einen vierten Punkt eingearbeitet, und das war vor den Anschlägen in Paris. Uns war klar, dass 1 Million Flüchtlinge in diesem Land eine besondere Stresssituation für die Bevölkerung und damit auch für die Frage der gesellschaftlichen Sicherheit darstellen. Wir haben aus diesem Grund Mittel sowohl für Maßnahmen der Repression als auch für solche der Prävention verstärkt, sowohl bei den Nachrichtendiensten als auch bei den Programmen, die auf Demokratie und Toleranz zielen. Ich glaube, dass das kluge Entscheidungen in einer nicht einfachen Situation waren.
Wir haben die Investitionen noch einmal deutlich verstärkt. Das können wir nur, weil wir in einer sehr guten wirtschaftlichen Lage sind. Ich habe mir heute die Zahlen des Statistischen Bundesamtes noch einmal angesehen. Woher kommt das Wachstum eigentlich? Es ist zum ganz großen Teil binnenmarktgetrieben. Die Binnennachfrage steigt: der private Konsum um 0,6 Prozent, der staatliche Konsum 1,3 Prozent. Die Ursachen hierfür liegen in höheren Tarifabschlüssen und in der Einführung des Mindestlohns, den wir Sozialdemokraten durchgesetzt haben. Ich warne alle davor, die Frage des Mindestlohns mit der Frage der Flüchtlinge zu verknüpfen;
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

das wäre ein Spaltpilz für die Gesellschaft. Das Wachstum hat ferner damit zu tun, dass wir die Steuern dort, wo es zu zusätzlichen Belastungen durch die kalte Progression kam, gesenkt haben und dass wir die steuerlichen Freibeträge erhöht haben. Wir haben insbesondere auch die Freibeträge für die Alleinerziehenden, die seit 2004 nicht mehr angepasst worden waren, auf über 1 800 Euro deutlich erhöht. Auch hier finden sich die Leitlinien der Sozialdemokraten wieder.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden in diesem Jahr eine Rentenerhöhung von 4 bis 5 Prozent haben; auch sie ist dank der guten wirtschaftlichen Lage möglich. Das sind im Schnitt monatlich 60 Euro mehr, die bei den Rentnerinnen und Rentnern ankommen.
Natürlich werden wir in den nächsten Jahren vor finanziellen Belastungen stehen. Es gibt Kollegen, die zu mir kommen und sagen: Die fetten Jahre sind vorbei. Das mag sein. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass wir das Geld, die finanziellen Ressourcen zur Verfügung stellen, die notwendig sind, um die Flüchtlinge zu integrieren und zu befähigen, nicht Leistungsempfänger, sondern Leistungsträger zu werden, zur Verfügung stellen. Dann haben wir eine Rendite, die nicht nur humanitär, sondern auch gesellschaftspolitisch sinnvoll ist.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Da gibt es natürlich immer die Frage: Wo kommt das Geld eigentlich her? Kollege Troost hat die Frage der gerechten Verteilung angesprochen. Das ist natürlich für Sozialdemokraten immer zentral: Wer zahlt hier eigentlich wie viel? Es gibt da auch Unterschiede in der Koalition; das ist ganz klar. Aber wir haben zwei wahnsinnig große Schritte gemacht, die ich mir nicht hätte träumen lassen.
Der erste Schritt ist der automatische Informationsaustausch. Da will ich mich bei Bundesfinanzminister Schäuble ausdrücklich bedanken. Der automatische Informationsaustausch führt dazu, dass Privatvermögen nicht mehr versteckt werden kann. Über 90 Länder auf der Welt haben das Abkommen unterzeichnet. Es gab in Deutschland prominente Fälle, in denen die Betreffenden ihr Geld in der Schweiz geparkt haben und auf die Zinsen keine Steuern zahlen wollten. Wenn man so viel Geld hat, dass man Zinsen erhält, und dann nicht mal hier die Steuern zahlt, ist das asozial. Dem haben wir jetzt einen Riegel vorgeschoben; dieses Geld muss versteuert werden.
Jetzt sind wir bei der Frage des Steuersatzes. Ich sage Ihnen für die Sozialdemokraten ganz klar: Die Abgeltungsteuer bringt – anders, als Frau Lötzsch es gesagt hat – nicht bei den Dividenden einen Vorteil, aber bei den Zinserträgen, weil ein Steuersatz von nur 25 Prozent vorgesehen ist, während die Einkommensteuer im Zweifel höher sein kann. Das müssen wir so schnell wie möglich beseitigen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das geht jetzt schon!)
Wir wollen, dass die Einkommen aus Zinsen und Kapitalerträgen genauso besteuert werden wie die Einkommen aus Arbeit.
(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir machen mit! Das würde reichen!)
– Frau Kollegin Andreae, wir sind da ja sofort dabei.

Die Frage ist: Wieso ist es eigentlich dazu gekommen? Der erste Grund war eine Initiative der oftmals von vielen Leuten geschmähten Vereinigten Staaten von Amerika. Sie haben mit dem FATCA-Abkommen sehr hart dafür gesorgt, dass die Banken ihre Bücher offenlegen; auch andere Länder haben dann zugestimmt.
Der zweite Grund war eine politische Entscheidung in Deutschland.
(Bettina Hagedorn (SPD): Ja!)
Mit dem deutsch-schweizerischen Steuerabkommen hätten wir den Ablasshandel für ewig festgeschrieben, und es hätte niemals einen automatischen Informationsaustausch gegeben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich will auch sagen: Da war Norbert Walter-Borjans als Finanzminister von NRW derjenige, der am meisten getrieben hat. Ich bin froh, dass er sich an dieser Stelle durchgesetzt hat und wir dieses Abkommen verhindert haben. Damit haben wir jetzt bei allen Einkommen die gleiche Grundlage der Besteuerung und keine Verstecke mehr.
Der zweite Meilenstein, den wir erreichen werden, betrifft BEPS. Wir hatten diese Schlupflöcher bei den privaten Vermögen, und wir haben sie immer noch bei internationalen Konzernen, die ihre Steuerlast mehr oder weniger in die Länder schieben, in denen die geringsten Steuersätze gelten. Es ist erstens asozial gegenüber der Gesellschaft – ich sage das ganz klar -, wenn Unternehmen die legale Möglichkeit nutzen, Absprachen mit Staaten zu treffen, um ihre Steuerlast auf 1 oder 2 Prozent zu reduzieren.
(Beifall bei der SPD)

Es führt zweitens zu einer Wettbewerbsverzerrung. Nehmen wir nur Amazon. Es ist nicht nur ein Buchhändler, aber wir nehmen mal das Beispiel Bücher. Mein Buchhändler in Erfurt oder in Weimar zahlt vor Ort nicht nur Miete für die Räume in Innenstadtlage – das ist nicht billig -, sondern auch den vollen Satz der Körperschaftsteuer. Er zahlt den vollen Satz, weil er keine Absprachen mit dem Finanzminister oder den Beamten in Luxemburg darüber treffen kann, wie viel Steuern er zu zahlen hat. Amazon kann das, Amazon konnte das.
Ich bin dem Europäischen Parlament sehr dankbar, dass es das Thema der legalen Steuergestaltung innerhalb der Europäischen Union ganz oben auf die Agenda gesetzt hat, es transparent gemacht hat. Wir brauchen jetzt die politischen Mehrheiten im Europäischen Parlament, aber auch im Bundestag, um es internationalen Konzernen so schwer wie möglich zu machen, ihre Steuerlast in Niedrigsteuerländer zu verschieben. Dieses Steuerdumping werden wir Sozialdemokraten immer bekämpfen. Ich hoffe, wir haben den Bundestag da auch an unserer Seite.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Bartholomäus Kalb (CDU/CSU))

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine ungewöhnliche Haushaltsdebatte. Denn die Bundesregierung hat durch Bundesfinanzminister Schäuble einen Haushalt eingebracht, der jedenfalls so nicht Bestand haben wird. So ist jetzt schon klar – wir Parlamentarier behalten uns natürlich generell vor, Änderungen vorzunehmen –, dass wir es in einer Größenordnung von Milliarden Euro mit neuen Herausforderungen zu tun haben, die zu meistern sind.

Es ist richtig: Die ökonomischen Lage in Deutschland ist gut. Für Europa würde ich das nicht sagen, aber zumindest für Deutschland gilt dies. Das hat es uns ermöglicht, in den vergangenen Jahren darauf verzichten zu können, Haushalte aufzustellen, die eine Schuldenaufnahme vorgesehen haben.

Deswegen war es auch klug, dass wir in den vergangenen Jahren umsichtig gewirtschaftet und Reserven gebildet haben, die wir jetzt in einer Situation nutzen können, in der wir uns aufgrund der bereits von vielen Kolleginnen und Kollegen genannten Flüchtlingskrise besonderen Herausforderungen, aber auch besonderen Chancen gegenübersehen. Und diese Chancen werden wir nutzen. Ich werde noch im Einzelnen darauf eingehen.

Über die Lage des Landes und die Frage, welchen Einfluss die Finanzpolitik darauf hat, gibt es, glaube ich, unterschiedliche Analysen und Antworten, Herr Minister Schäuble. Sie haben vorhin sehr stark darauf abgehoben, dass die solide Finanzpolitik, die wir machen, Vertrauen schafft und dies die Grundlage des wirtschaftlichen Erfolgs sei. Ich bin der Meinung, dass sie ein Teil des Erfolgs ist, aber der kleinere. Sie haben bestimmt zehn Minuten Ihrer Redezeit damit verbracht, mehr oder weniger verklausuliert die Notenbanken – die Europäische Zentralbank, die amerikanische Zentralbank, FED, und die Bank of England – wegen ihrer expansiven Geldpolitik zu kritisieren. Das hat mich sehr an das erinnert, was Frau Wagenknecht hier immer vorträgt.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Da gibt es schon einen Unterschied!)

– Lieber Michael Grosse-Brömer, das, was Herr Schäuble hier vorgetragen hat, war in Teilen der Analyse sehr ähnlich, insbesondere in der Antwort auf die Frage nach der Entsparung der deutschen Sparer.

Ich will dem klar entgegenhalten: Ohne die expansive Geldpolitik der Notenbanken, ohne die Tatsache, dass die EZB agiert hat und in großem Maße in die Finanzmärkte eingegriffen hat, ohne die Interventionen der Notenbanken weltweit hätten wir die Finanz- und Wirtschaftskrise niemals bewältigt.

(Beifall bei der SPD)

Diese Interventionen waren Grundvoraussetzung zur Krisenbewältigung, weil wir als Staatengemeinschaft gar nicht handlungsfähig waren und weil uns auf europäischer Ebene die Instrumente, die es uns ermöglichten, gezielt, schnell und handlungsstark zu agieren, fehlten. Das ist ein Grundfehler der Euro-Politik. Wir werden vielleicht nicht in den nächsten Wochen, wohl aber in den nächsten Monaten Antworten auf die Frage zu geben haben, wie die Zukunft der Euro-Zone aussehen soll: Wird es eine stärkere Zusammenarbeit geben, oder wird die Euro-Zone wieder in kleinere Nationalstaaten auseinanderfallen?

Zu unserem Haushalt. Warum ist er ausgeglichen? Dafür gibt es zwei Ursachen. Er ist nicht ausgeglichen, weil wir so rigide gespart haben. Das ist nicht der Fall.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Doch!)

Die erste Ursache ist der extrem gute Arbeitsmarkt bzw. die gute Wirtschaftslage; das ist das Allerwichtigste. Hier ist vor allem die starke Binnennachfrage zu nennen. Herr Minister, Sie haben bereits auf die Reallohnentwicklung hingewiesen. Diese ist absolut positiv. Die Arbeitnehmer werden in diesem Jahr aufgrund der niedrigen Inflation und der durch die Gewerkschaften endlich erzielten höheren Lohnabschlüsse in die Lage versetzt, mehr Geld in der Tasche zu haben und mehr konsumieren zu können. Das sehen wir an den Lohnsteuereinnahmen, die um 7,5 Prozent steigen, und an den Umsatzsteuereinnahmen, die um 2,5 Prozent steigen. Das heißt, wir haben es mit einem binnenmarktgetriebenen Aufschwung zu tun.

Wir erfahren aber auch an anderer Stelle eine enorme Entlastung, nämlich bei den Zinsen. Allein 20 Milliarden Euro an Zinsen sparen wir in diesem Jahr im Vergleich zu dem, was Sie in den Jahren 2010 und 2011 geplant hatten. Das ist ein implizierter Windfallprofit. Aber wir hätten einen Haushalt ohne Neuverschuldung niemals allein durch andere Maßnahmen erreichen können. Das ist ein Teil dessen, was uns die Notenbanken quasi geschenkt haben. Daher ist es ein bisschen wohlfeil, zu sagen: „Die sind schuld“, wenn man selbst Profiteur dieser Entwicklungen ist. Das wird dem nicht gerecht. Es ist eigentlich guter Brauch, dass sich der Finanzminister als Exekutive vor dem Bundestag nicht explizit zur Notenbankpolitik äußert; denn so wird die Unabhängigkeit der Zentralbanken angegriffen. Ich dachte, es wäre Konsens, dass die Unabhängigkeit der Zentralbanken unabdingbar ist, um klug zu agieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eine weitere Frage, auf die wir im Haushalt eine Antwort geben wollen, lautet – hier wird sich die Koalition trotz unterschiedlicher Auffassungen einigen müssen –: Woher kommt das Wachstum noch? Wie ich bereits ausgeführt habe, ist die eine Ursache die binnenmarktgetriebene Entwicklung, die zu höheren Löhnen geführt hat. Ein großer Erfolg der SPD ist in diesem Zusammenhang, den Mindestlohn durchgesetzt zu haben.

(Beifall bei der SPD)

Inzwischen besagen auch Studien arbeitgebernaher Institute, dass es durch den Mindestlohn keine Verdrängungseffekte gibt, im Gegenteil. Wir haben höhere Lohnabschlüsse zu verzeichnen. So verdienen 30 Prozent der Bevölkerung in Erfurt mehr. Was Thomas Oppermann zur Einführung des Mindestlohns gesagt hat, stimmt: Das ist die größte Lohnerhöhung aller Zeiten. Des Weiteren haben wir eine Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu verzeichnen. Angesichts dessen war es richtig, hier ordnungspolitisch einzugreifen. Ich bin froh, dass an dieser Stelle die Politik der SPD und der Gewerkschaften wirkt und dass wir dafür ausreichend Unterstützung haben.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE))

Ich wüsste nicht, wie es um die Aufnahmebereitschaft der deutschen Bevölkerung bestellt wäre, wenn es keinen Mindestlohn gäbe. Denn eines ist klar: Die Flüchtlinge, die nun auf unseren Arbeitsmarkt kommen und die wir schon unter demografischen Gesichtspunkten benötigen, werden – weil ihr Bildungsniveau nicht unseren Abschlüssen entspricht – vor allen Dingen im unteren Einkommensbereich einen Verdrängungswettbewerb auslösen. Ohne den Mindestlohn ginge der Trend eher nach unten. Deswegen ist es auch für die Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung umso wichtiger, dass wir eine Lohnuntergrenze eingeführt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dank der Notenbanken haben wir im Vergleich zum Dollar einen extrem niedrigen Euro-Kurs. Das macht die Exporte billig, und das schafft Raum für zusätzliches Wachstum. Außerdem sorgen die Ölpreise dafür, dass die Kaufkraft steigt. Das alles sind Außenfaktoren, die wir nicht direkt beeinflussen können.

Jetzt ist die Frage, wie wir als Bundestag, als Haushaltsgesetzgeber, darauf finanzpolitisch reagieren. Sowohl was die Bekämpfung der europäischen Krise als auch was die Konjunkturstimulierung betrifft – da bin ich Ihrer Auffassung; man sollte investieren, wenn man im Abschwung ist, nicht im Aufschwung –, sind wir zurückhaltend. Ich bin froh, dass jetzt auch im Bundesfinanzministerium klar ist, dass wir in Deutschland einen Investitionsnachholbedarf haben. Das war im vorigen Jahr noch nicht so. Da haben wir als Sozialdemokraten immer wieder gesagt, dass Investitionsnachholbedarf besteht. Sigmar Gabriel hat die Expertenkommission „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ unter Leitung des DIW-Präsidenten Fratzscher ins Leben gerufen. Damit hat er das Thema gesetzt.

Es ist vollkommen richtig: Wir brauchen auch mehr private Investitionen. Ob sie dann allerdings in den Straßenbau fließen, wie es in Österreich der Fall ist, oder ob es nicht klüger ist, dafür öffentliche Mittel einzusetzen, das wird noch zu entscheiden sein. Das wird vor allem eine Frage der Effizienz sein. Zumindest bisher sind in einigen Bereichen die Antworten noch nicht schlüssig.

Der entscheidende Punkt wird sein, das anzugehen, worauf ein Zuruf abzielte, der hier eben von einem Abgeordneten der Grünenfraktion gemacht wurde. Darin wurde behauptet, Deutschland halte sich nicht an die Regeln. Herr Minister Schäuble hat gesagt: Alle müssen sich an die Regeln halten; dann können wir weitere Vertiefungsschritte in der Europäischen Union vollziehen. – Wir halten uns an die Regeln, was die Verschuldung betrifft. Aber wir haben uns neue Vorgaben im Rahmen des sogenannten Six-Pack gesetzt.

Dabei geht es auch um die Frage des Leistungsbilanzüberschusses. Wir haben in Deutschland einen Leistungsbilanzüberschuss von über 8 Prozent. Wir haben uns dazu verpflichtet, dass er bei maximal 6 Prozent im Drei-Jahres-Durchschnitt liegen soll. Es geht darum, dass wir hier in Deutschland mehr produzieren und verkaufen und weniger importieren. Auf Dauer geht das nicht gut. Was passiert nämlich, wenn es so weitergeht? Dann geschieht eins: Wir exportieren Waren und bekommen dafür Schuldscheine, und irgendwann platzt die damit verbundene Blase, weil die meisten nicht bezahlen können. Folglich kommt es zu immer mehr Abschreibungen, und es müssen wieder Banken gerettet werden. So war die Situation ab dem Jahr 2007.

Daher ist es nur klug, sich auch diesem Aspekt zu widmen und ihn nicht auszublenden. Das ist das, was insbesondere US-amerikanische Ökonomen und andere bemängeln. Ich finde, wir sind klug beraten, da auch die Vorschläge der Europäischen Kommission ernst zu nehmen. Das hat ein bisschen etwas mit unseren Ausgaben zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Welche sind das? Herr Minister Schäuble hat gesagt: Wir haben jetzt eine Priorität – die Flüchtlingshilfefinanzierung. Das war’s; mehr Neues gibt es nicht. – Nein, dieser Drops ist noch nicht gelutscht. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir noch einen enormen Bedarf an Infrastrukturinvestitionen haben. Insgesamt erhöhen wir diese Investitionen zwar um insgesamt 10 Milliarden Euro, erhöhten Investitionsbedarf gibt es aber auch im Bereich Kitaausbau, also bei der Betreuung von Kleinkindern. Hier gibt es einen enormen Nachholbedarf.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Europäische Kommission, der Internationale Währungsfonds, all diese Institutionen schreiben uns ins Stammbuch, dass wir dort mehr machen müssen.

Ich bin froh darüber, dass das Verfassungsgericht das Betreuungsgeld gekippt hat.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Jahre 2018 haben wir zusätzlich 1 Milliarde Euro zur Verfügung. Es ist so, dass es nicht nur in hohem Maße integrativ wirkt, in einer Kita zu sein, die Landessprache zu lernen etc., sondern der Kitaausbau ist auch ökonomisch klug, weil damit die Frauen- und auch die Männererwerbstätigkeit verbessern werden können. Deswegen sollten wir hier nicht so apodiktisch sein und einfach nur sagen: „Die Kommunen bekommen jetzt von uns 3 Milliarden Euro, und das war’s“; denn das würde diesem Bereich nicht gerecht. Diese Mittel würden nicht ausreichen, um alle damit einhergehenden Kosten zu decken. Eine Kürzung der Mittel in den jeweiligen Kommunen und Ländern für Kitas und anderes, um die Notsituation von Flüchtlingen zu lindern, würde deren Akzeptanz nicht fördern. Deswegen sage ich ganz klar: Wir wollen, dass insbesondere die direkten Transfers zugunsten des Ausbaus der Kinderbetreuung in Deutschland verstärkt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vor uns liegen in den nächsten drei Monaten sehr spannende Beratungen, auch vor dem Hintergrund einer eventuellen Einigung über den Länderfinanzausgleich. Ich sehe ihnen trotz der Herausforderung, die vor uns steht, optimistisch entgegen. Wir haben gezeigt: Diese Koalition wird hier handeln. Auch wenn wir das eine oder andere Mal anderer Auffassung sind, werden wir uns im Endeffekt einigen. Ich glaube, dass Deutschland stark genug ist, diese Herausforderung anzunehmen und daraus auch eine Chance für dieses Land zu machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte doch noch mal zu dem Thema kommen, über das wir heute abstimmen werden – nämlich die Frage der Finanzhilfen für Griechenland in den nächsten drei Jahren –, und zu den Konsequenzen, die sich mit dieser Abstimmung verbinden.

Vor vier Wochen hat der Bundestag der Regierung, dem Finanzminister einen Verhandlungsauftrag erteilt. Damals gab es ein sehr uneinheitliches Bild auch im Bundestag selbst: Ablehnung bei der Linksfraktion, bei den Grünen war es gemischt – da war alles dabei –, die Union unsicher. Es ist aber eine der ganz zentralen Fragen in dieser Legislaturperiode, wie unsere Währung, wie Europa zusammengehalten wird. Ich glaube, dass das, was wir jetzt als Ergebnis vorliegen haben, viel besser ist als das, was der Verhandlungsauftrag und die Verabredung der Staats- und Regierungschefs vom Juli vorsahen.

Warum ist das so? Was wären die Konsequenzen, wenn wir hier Nein sagen würden?

Erstens. Die Griechen haben nach einem halben Jahr der Turbulenzen und des Selbstfindungsprozesses der Regierung jetzt sehr eindeutig die Kurve gekriegt. Der Ministerpräsident kämpft um Reformen in seinem Land. Er hat begriffen, dass sich Griechenland nur selbst helfen kann. Insofern ist es absolut zu begrüßen, dass die Griechen sowohl die Bekämpfung von Korruption und Steuerhinterziehung als auch die Wiederbelebung des wirtschaftlichen Wachstums angehen, indem Strukturreformen in diesem Land durchgeführt werden, die dazu führen, dass es zu mehr wirtschaftlicher Beteiligung in Freiheit kommt. Das soll endlich gelingen. Das unterstützen wir, und das haben wir Sozialdemokraten auch immer gefordert.

(Beifall bei der SPD)

Das Zweite ist: Wir haben eine längere Perspektive. Wissen Sie, das ist jetzt das dritte Programm. Wir haben viele Debatten über die Programme geführt, und ich habe oft im Bundestag gesagt – auch entgegen dem, was Teile der damaligen schwarz-gelben Regierung gesagt haben: „Wir geben kein Geld, das kostet alles nichts, es ist nur ein Paket und dann nie wieder“ –: Es kann durchaus sein, dass wir auch über ein drittes Programm reden müssen; man muss dem klar ins Auge sehen. Jetzt zitiere ich einmal eine Zeitung, die der SPD nicht unbedingt nahe steht, Die Welt vom 18. August, die titelt „Wie die drei Affen – und das jahrelang“, also: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. „Unionspolitiker wollten nie über ein drittes Hilfspaket und einen Schuldenerlass für Athen reden. Nun kommt wohl beides.“

Ich will nicht ausschließen, dass beides kommt, insbesondere, was den Schuldenerlass betrifft. Es hängt auch sehr stark vom Wachstum in Griechenland ab, ob das notwendig ist. Aber klar ist, dass man mit einer klaren Haltung, mit Überzeugung herangehen muss, auch mit der Konsequenz, innenpolitisch unangenehme Dinge zu sagen, also der Bevölkerung zu sagen: Es ist wichtig, dass wir den Euro – in allen Ländern – behalten. Es ist unsere Währung, es ist unser Geld. – Damit spielt man nicht, und schon gar nicht, um innenpolitisch kurzfristig Erfolg zu erzielen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU))

Das hat die SPD auch nie getan, sondern wir haben uns sehr stark – selbst in der Opposition – dafür eingesetzt, dieses übergreifende europäische Projekt zu vollenden.

(Zuruf des Abg. Ralph Brinkhaus (CDU/CSU))

Ich will nun aufgreifen, was der Bundesfinanzminister zu Beginn gesagt hat. Er hat von einer unfertigen Währungsunion gesprochen. Das stimmt, sie ist unfertig, weil wir noch in ganz vielen Bereichen Autonomie haben, insbesondere, was die Steuer- und Haushaltspolitik betrifft. Die Frage, die sich damit für die Zukunft stellt, lautet: Wie geht es weiter? Gehen wir zurück zu einem Nationalstaat oder gehen wir in Richtung eines starken und gerechten Europas, insbesondere auch bei der Frage der Besteuerung von Konzernen?

Wir Sozialdemokraten sind ganz klar auf dem Weg, zu sagen: Wir wollen ein starkes Europa, das diese Aufgaben, die Herr Kauder hier eben auch zu Recht beschrieben hat, bewältigen kann. Das geht nur gemeinsam, und deswegen ist es richtig, dass wir als Sozialdemokraten heute – und deswegen werbe ich auch dafür – dem Antrag der griechischen Regierung sehr geschlossen stattgeben und ihr helfen wollen, ihr Land in den nächsten drei Jahren wieder auf Vordermann zu bringen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist gut, dass der Grexit vom Tisch ist. Es ist gut, dass den Griechen – entgegen dem ursprünglichen Programm – auch noch geholfen wird, indem nämlich in den nächsten ein, zwei Jahren nicht so viel gespart werden muss – das ist der sogenannte Primärüberschuss –, sondern es einen langsameren Pfad gibt, auf dem der Überschuss erbracht werden muss.

Ich habe mich, Herr Gysi, doch einigermaßen über Ihre Rede gewundert, in der Sie – wie Herr Kauder – ja auch andere Themen angesprochen haben, aber nicht das, worüber wirklich zu reden gewesen wäre.

Ich komme noch einmal zu dem Griechenland-Punkt zurück: Im Februar haben weite Teile Ihrer Fraktion – das fand ich bemerkenswert – gesagt: Wir stimmen der Verlängerung des zweiten Hilfspakets zu.

(Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Zeit gewinnen!)

Jetzt lehnen Sie den Antrag der Syriza-Regierung ab,

(Klaus Ernst (DIE LINKE): Sie stellen den Antrag, nicht die Griechen stellen den Antrag!)

in dem wir sogar eine Drei-Jahres-Perspektive haben.

Ich will nur einen Punkt herausgreifen: Sie haben gesagt, die Mehrwertsteuererhöhung und -vereinheitlichung für die Hotels auf den Inseln wäre wirtschaftspolitisch unsinnig.

(Katja Kipping (DIE LINKE): Das sind zwei Themen!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Lieber Kollege Schneider, darf der Kollege Ernst eine Zwischenfrage stellen?

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):

Gleich. Ich will nur den Punkt zu Ende bringen.

Sie haben gesagt, dass das wirtschaftspolitisch unsinnig sei. Sehen Sie: In dem MoU stehen viele Sachen, was das Land wirtschaftspolitisch machen muss. Das sind viele kluge Dinge,

(Katja Kipping (DIE LINKE): Beschäftigtenrechte! – Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Privatisierung der Banken!)

beispielsweise die Liberalisierung von angestammten Berufen wie Notaren oder mehr Wettbewerb herzustellen. Hier denke ich an die „Mövenpick-Steuer“, die Hotelsteuer, die die schwarz-gelbe Regierung damals zur Begünstigung der Hotels in Deutschland eingeführt hat. Damals haben Sie dagegengestimmt. Da waren Sie wie wir der Auffassung: Es ist unsinnig, das so zu machen. – Jetzt passiert soll in Griechenland die Steuer erhöht werden, und Sie sagen, das sei unsinnig.

(Katja Kipping (DIE LINKE): Mehrwertsteuer ist eine für alle und trifft nicht nur Hotels!)

Das ist keine Logik, das ist auch keine Dialektik – vielleicht verstehe ich Sie auch nicht –, es ist jedenfalls unsinnig.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Ernst, noch ein Wort zu den Zinsen: Sehen Sie, Herr Gysi hat gesagt, die unabhängige EZB habe jetzt auf Druck Deutschlands dafür gesorgt, dass die Zinsen für die Staatsanleihen Deutschlands gesunken sind, teilweise auf null. Das ist ganz großer Blödsinn.

(Bettina Hagedorn (SPD): Ja!)

Denn erstens ist die EZB unabhängig; es gibt keinen Druck auf sie, im Gegenteil.

(Lachen bei der LINKEN)

Es ist eher andersherum.

Zum Zweiten: Die Staatsanleihen Deutschlands werden am Markt gehandelt. Das sind insgesamt fast 2 Billionen Euro. Die werden pro Jahr sechsmal umgeschlagen; da geht es um circa 10 Billionen Euro. 80 Prozent der Investoren sind Ausländer. Die Preise werden am Markt festgestellt. Ich bin froh, dass wir nicht so viel Zinsen zahlen müssen wie geplant, dass wir diese 100 Milliarden Euro sparen, sie vielmehr investieren können und keine Schulden dafür machen müssen. Darüber bin ich froh und nicht wie Sie der Auffassung, wie Sie es hier gesagt haben, dass wir beim deutschen Sparer sparen. Das ist doch absoluter Blödsinn.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Max Straubinger (CDU/CSU))

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Wenn überhaupt, dann muss die Zwischenfrage jetzt gestellt werden, oder die Redezeit ist vorbei. – Bitte schön, Herr Kollege Ernst.

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Danke schön. – Sie haben es so dargestellt, als würden wir den Antrag von Syriza ablehnen. Ich weiß nicht, ob Ihnen entgangen ist, dass hier der Antrag der Regierung zur Abstimmung steht und nicht der Antrag von Syriza. – Das ist insofern interessant, als Sie daran den Unterschied zwischen unserer und Ihrer Politik erkennen können.

Wir stimmen hier nicht darüber ab – wie der Kollege Oppermann behauptet hat –, ob wir die linksradikale Position von Syriza unterstützen – die steht überhaupt nicht zur Debatte –, sondern wir stimmen über den Weg ab, den die Bundesregierung mit Unterstützung der Sozialdemokraten vorschlägt, der dazu beiträgt, dass das Wachstum in Griechenland weiter geschwächt wird, der im Ergebnis dazu führt, dass die Steuereinnahmen in Griechenland weiter sinken werden, was im Ergebnis dann wiederum dazu führen wird, dass Griechenland nicht in die Lage versetzt wird, seine Schulden zurückzuzahlen. Darüber stimmen wir ab.

Ich bitte Sie einfach, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir hier in Deutschland nur über Dinge abzustimmen haben, die wir beeinflussen können. Wir haben die Regierung hier zu kontrollieren und nicht die griechische. Die Regierung in Deutschland trägt maßgeblich dazu bei, die Erpressung der griechischen Regierung fortzusetzen, sie trägt dazu bei, die Austeritätspolitik, die übrigens von der Sozialdemokratie oft kritisiert wurde, fortzusetzen. Solch einer Politik können wir nicht zustimmen; obwohl wir Syriza unterstützen. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):

Herr Kollege Ernst, zunächst einmal vielen Dank, dass ich ein paar Bemerkungen zu den Positionen der Linkspartei machen kann.

Zu Griechenland. Es gab Wachstum in Griechenland, Finanzminister Schäuble hat zu Recht darauf hingewiesen. Für 2015 wurden fast 3 Prozent Wachstum erwartet. Nachdem dann die Regierung von Herrn Tsipras gewählt wurde, ist es zurückgegangen.

(Katja Kipping (DIE LINKE): Ne! Ne! Ne! Es ist vorher um 25 Prozent gesunken!)

Es ist auch eindeutig, warum es zurückgegangen ist: Diese Regierung wusste nicht, ob sie im Euro bleiben will oder nicht. Sie wollte uns erpressen. Das war die Situation. Das hat zu großer Verunsicherung geführt. Die Wahlversprechen, die die Syriza gemacht hat – Grundsteuer soll es nicht mehr geben etc. –, die Sie in Teilen auch machen, konnten alle nicht eingehalten werden.

(Katja Kipping (DIE LINKE): Sind Sie der Pressesprecher von Herrn Schäuble?)

Trotzdem haben die Griechen gesagt: Die haben es versprochen, deswegen zahlen wir jetzt alle keine Grundsteuer mehr. Deswegen sind die Steuereinnahmen zurückgegangen. Niemand hat mehr investiert, weil keiner wusste, ob der Euro bleibt oder nicht.

Die Griechen selbst haben darüber abgestimmt, ob sie dieser Regierung vertrauen, indem sie ihr Geld von den Konten geholt haben. Das war eine Abstimmung mit den Füßen.

Diese Unsicherheit, die ein halbes Jahr gedauert hat, hat Griechenland extrem viel Zeit und wahrscheinlich wirtschaftliche und soziale Substanz gekostet. Das war ein großer Fehler.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Klaus Ernst (DIE LINKE): Und vorher war alles in Ordnung, ja?)

Ich stelle fest: Im Februar waren Sie noch für die Verlängerung des zweiten Hilfsprogramms.

(Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Nein! Wir haben dem Zeitgewinn zugestimmt!)

Das war noch härter als das, über das wir jetzt abstimmen. Die Primärüberschüsse, die man durch das vorherige Programm erzielen wollte, lagen bei 3,5 oder 4,5 Prozent. Jetzt reden wir über einen geringeren Primärüberschuss im Jahr 2015 von minus 0,25 Prozent. Minus! In 2016 beträgt er nicht einmal 1 Prozent. Das heißt: Griechenland muss weniger sparen als ursprünglich geplant, und dem haben Sie zugestimmt. Ich stelle fest: Der linksradikale Flügel der Linkspartei und Frau Wagenknecht haben sich durchgesetzt, nicht der realistische Flügel, den Sie in Teilen vertreten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der wichtigen Entscheidung, vor der wir heute stehen, sage ich: Die Sozialdemokratie wird dem Hilfspaket zustimmen. Wir werden nachhalten, dass die Reformen in Griechenland auch umgesetzt werden. Ich glaube auch, dass wir noch mehr für Wachstum in Griechenland tun müssen. Mit einem klaren Kurs und einer klaren Haltung sind wir für die Zukunft gut gewappnet. Deutschland ist in den Händen einer Regierung, an der wir Sozialdemokraten beteiligt sind – das zeigt gerade die heutige Debatte –, gut aufgehoben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es gibt mittlerweile eine intensive Debatte in der europäischen Öffentlichkeit. Das zeigen die vielfältige Berichterstattung in den Zeitungen und das Interesse der Bevölkerung an diesem Thema und die vielen Debatten, die wir im Deutschen Bundestag zu Griechenland und anderen Ländern führen. Es ist ein Vorteil, dass es keine Spaltung gibt, sondern ein gegenseitiges Interesse. Wir müssen aber dazu kommen, dass eine solche Spaltung, die durchaus möglich ist, nicht durch Politiker betrieben wird, die ihre jeweilige nationale Öffentlichkeit bespielen und dort Applaus suchen. Das war in Griechenland lange Zeit der Fall, wo die Politiker die Politik, die sie machen mussten, sehr stark auf die anderen Länder, insbesondere auf Deutschland, bezogen haben. Mein Eindruck ist aber auch, dass der eine oder andere im Bundestag die Debatte eher sucht, um die nationale Öffentlichkeit zu bespielen und Vorurteile zu bedienen. Diesen Weg dürfen wir nicht gehen.

(Beifall bei der SPD)

Zu Griechenland haben wir heute zwei Extrempositionen zu dem Erfolg der letzten fünf Jahre erlebt. Auf der einen Seite steht der Bundesfinanzminister, der sagte: Alles war gut, aber dann kam der Regierungswechsel, und damit ist es schlecht geworden. Auf der anderen Seite haben wir die Linkspartei, die sich nicht zwischen Linkspopulismus – wie Herr Gysi heute, als er vom Europa der Banken gesprochen hat – und Rechtspopulismus – wir haften für Kredite, die wir gar nicht gewähren wollten – entscheiden kann. Sie vertritt eine Art Zwischenposition und sagt dann auch noch: Es war alles schlecht.

Ich glaube, beide Positionen sind nicht richtig. Der Bundesfinanzminister hat vorhin den IWF zitiert, der gesagt habe: Es ist alles gut. Ich lese dessen Stellungnahmen anders. Schon im März 2012 hat der IWF eine Analyse zur Schuldentragfähigkeit und zu den wirtschaftspolitischen Maßnahmen und deren Auswirkungen erstellt. Sie haben eine selbstkritische Analyse gemacht, und ich wünschte mir, das würde auch in Deutschland stärker zur Kenntnis genommen. Denn sie haben die fiskalischen Multiplikatoren deutlich unterschätzt. Was heißt das? Sie haben unterschätzt, wie stark sich Steuererhöhungen und auch Ausgabenkürzungen auf die Wirtschaftsleistung Griechenlands auswirken. Deswegen ist die Wirtschaftsleistung in Griechenland stärker eingebrochen als prognostiziert. Ich finde, es steht uns gut an, zu sagen: Das war ein Fehler.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das war ein klarer Fehler. Wir haben zu schnell und zu hart auf Einsparungen und finanzielle Anstrengungen zum Abbau des Defizits gesetzt. Das Defizit lag in Griechenland bei 15 Prozent. Wir haben viel zu wenig auf das geachtet, was Thomas Oppermann heute hervorgehoben hat, nämlich das Institutionenversagen und Staatsversagen in Griechenland. Ich will aber keine rückwärtsgewandte Diskussion führen, sondern nach vorne blicken. Wir Sozialdemokraten stehen nicht für eine Drohung gegenüber Griechenland mit einem Grexit und einem Ausscheiden aus der Währungsunion, wenn sie nicht spuren, zur Verfügung. Das ist mit uns nicht zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Wir profitieren am meisten von allen europäischen Ländern durch die Europäische Union und den Euro. Das ist erstens der Fall, weil der Euro-Kurs niedriger ist, als er es unter Bedingungen wie in der D-Mark-Zeit wäre. Das heißt, unsere Exporte sind billiger, als sie es normalerweise wären. Das gibt Raum für Lohnerhöhungen, die die Gewerkschaften jetzt auch durchsetzen.

Der zweite Punkt ist: Den Haushaltsausgleich im Bundeshaushalt, über den wir uns freuen, auch weil wir dadurch Möglichkeiten haben, zusätzlich zu investieren, haben wir vor allem dadurch erzielt, dass wir extrem niedrige Zinsen auf alle unsere Staatsschulden zahlen müssen. Das sind über 10 Milliarden bzw. 12 Milliarden Euro pro Jahr, die wir einsparen. Ich finde, es steht uns als reichstem und wirtschaftlich stärkstem Land in Europa gut an, an dieser Stelle mit einem Land wie Griechenland gemeinsam die Probleme zu lösen. Wer dort war, hat gesehen, wie sehr die Wirtschaft am Boden liegt.

Ja, die griechische Vorgängerregierung und auch die amtierende Regierung haben in den letzten Jahren wenig dazu beigetragen, dass es besser wird. Aber nun haben wir die Chance, mit einer Regierung, die das Grundübel anpacken will, den korrupten, nicht effizienten Staat zu bekämpfen. Ich finde, wir müssen diese Chance ergreifen und den Griechen so gut wie möglich helfen. So interpretiere ich den Antrag, den der Bundesfinanzminister für heute gestellt hat.

Ich erwarte, dass in diesem Sinne verhandelt wird. Ich will klar sagen: Mich haben die Diskussionen – zuletzt gestern im Deutschlandfunk –, ob der Grexit nicht doch die bessere Variante für Griechenland wäre, mehr als irritiert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn ein Grexit wäre für Europa und insbesondere für Deutschland nicht die bessere Variante, sondern die teuerste Variante. Schließlich würden in einem solchen Fall die Kredite, die wir gegeben haben, sofort fällig. Es wäre für Griechenland nicht die beste Variante, weil dort dann die Banken geschlossen würden und Chaos herrschen würde, genauso wie es die Bundeskanzlerin eben erklärt hat. Aus diesem Grund bitte ich Sie, Herr Bundesfinanzminister: Seien Sie bei den Verhandlungen der Finanzminister Öl und nicht Sand im Getriebe!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Fraktionsvorsitzende der Grünen hat zu Beginn seiner Rede die Sozialdemokraten gescholten, dass wir dem ersten Hilfspaket für Griechenland nicht zugestimmt haben. Es stimmt, dass wir uns damals enthalten haben, und das aus gutem Grund. Der Bundesfinanzminister hat es gerade deutlich gemacht: Griechenland hat in den fünf Jahren niemals dauerhaft und glaubwürdig eine Schuldentragfähigkeit gehabt, sondern es wurden immer beide Augen zugedrückt, wenn ein Kredit gegeben wurde. Deswegen haben wir 2010 gesagt, als von der damaligen Bundesregierung die Krise in Griechenland noch negiert wurde: Wir geben kein Geld etc. Ich kann mich daran noch genau erinnern. Wir haben gesagt: Bevor es Kredite von europäischen Staaten gibt, muss es erst einmal eine Beteiligung der Gläubiger, das heißt der Banken und der privaten Investoren, geben. – Das ist nicht geschehen. Und das ist der Fehler, unter dem wir noch heute leiden.

(Beifall bei der SPD)

100 Milliarden Euro wurden von privaten Gläubigern auf den Staat übertragen, auf die Europäische Union, die Länder der Euro-Zone. Wir reden jetzt über eine Summe von insgesamt 240 Milliarden Euro plus 100 Milliarden Euro Schulden der griechischen Banken bei der Zentralbank über Notfallkreditlinien. Man kann sich die Frage stellen: Gibt es überhaupt noch eine Lösung innerhalb der Regelwerke, die wir uns mit dem ESM, der jetzt gilt, gegeben haben? Man muss sagen: Es wird schwierig.

Man muss sich fragen: Was ist die beste Lösung für Europa, und was ist die wirtschaftlich beste Lösung für Griechenland und die Euro-Zone? Ich bin hier nicht so leichtfertig wie viele andere Ökonomen und auch Politiker, die sagen: Lasst sie herausgehen, alles kein Problem. Wir sind sicher. Wir haben den ESM, die Bankenunion etc. Das wird nicht so einfach sein. Niemand hat vorher innerhalb der hochzivilisierten, hochökonomisierten Welt dieses Experiment des Ausschlusses aus der Währungsunion gemacht. Das erste Mal fällt ein Land aus der Euro-Zone Griechenland beim Internationalen Währungsfonds in den Status von Simbabwe. Sicherlich, kurzfristig wird es vielleicht keine Auswirkungen geben, aber langfristig werden sie gravierend sein. Deswegen müssen wir sehr genau überlegen, was wir jetzt tun.

Zunächst einmal stimmen wir darin überein, dass die griechische Regierung extrem viel Zeit verloren hat und Fehler gemacht hat. Die Besteuerung der Reichsten, die Bekämpfung der Korruption, das Eingeständnis, dass die Fehler auch in Griechenland gemacht wurden – all das fehlt. All das muss, wenn es neue Hilfen gibt, Teil der Programme sein. Wir müssen nicht zu sehr auf die Zahlen schauen, sondern viel mehr auf die Struktur und darauf, ob Griechenland sein Schicksal in die Hand nimmt und die Fehler korrigiert, die im System liegen, um sich selbst zu helfen und nicht immer nur auf andere zu gucken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn das griechische Volk am Sonntag die Entscheidung trifft, im Euro zu bleiben – um nichts anderes geht es: ja oder nein; wenn es ablehnt, dann ist es mehr oder weniger vorbei –, wenn die Griechen bereit sind, die jetzt härter gewordenen Bedingungen zu akzeptieren – die letzten Wochen sind nicht spurlos an Griechenland vorbeigegangen, die Wirtschaft ist eingebrochen, das Loch wird größer, die Banken sind pleite, obwohl sie im November noch sehr gut aussahen , dann, finde ich, muss man mit ihnen reden. Die Tür muss offen bleiben; denn ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion hätte nicht nur Folgen für Griechenland, sondern für die gesamte Euro-Zone – so stabil, wie einige glauben, ist sie nicht. Ich möchte dieses Experiment nicht eingehen, wenn es sich verhindern lässt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was ist die Gefahr? Eigentlich muss die Europäische Zentralbank, der wir die komplette Aufsicht zumindest über die systemrelevanten Banken, auch über die vier großen griechischen Banken, übergeben haben und die dabei ganz unabhängig ist, in dieser Woche feststellen, dass alle vier Banken insolvent sind. Sie wird wahrscheinlich aber eine politische Lösung wählen und nicht so genau hingucken. Das ist extrem schwierig. Denn es ist der erste Anwendungsfall, um festzustellen, ob die europäische Bankenaufsicht glaubwürdig ist. Wenn es nicht einmal gelingt, bei vier relativ kleinen Banken tatsächlich die Konsequenzen zu ziehen, wenn sie insolvent sind, was passiert dann erst, wenn es eine richtige Großbank in Deutschland oder in Europa erwischt? Ist dann die Bankenaufsicht so stark, dass sie es durchzieht und uns letztendlich vor den Verlusten schützt, die im Bankensektor entstehen? Das ist die große Glaubwürdigkeitsfrage.

Die EZB ist die zentrale Institution, die die europäische Währung derzeit noch zusammenhält. Es ist nicht der ESM, es ist nicht eine politische Aussage von uns – es ist die Europäische Zentralbank mit ihrer Feuermacht unter der Führung von Mario Draghi. Insofern sollten wir an dieser Stelle dankbar sein, dass er uns die Zeit gegeben hat. Wir sollten die Zeit aber auch für einen klugen Vorschlag nutzen, wie wir – mit einer wie auch immer gearteten griechischen Regierung und einem Volk, das sich seines Schicksals annehmen will – dann auch helfen können. Bei diesen Hilfen geht es um mehr als nur um Kredite; es wird auch um Wachstumsimpulse gehen. Über kurz oder lang werden wir auch über die Frage der dauerhaften Tragfähigkeit der griechischen Schulden zu sprechen haben. Der teuerste Weg für Deutschland ist der Weg des Austritts Griechenlands aus der Euro-Zone.

(Beifall des Abg. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Denn dass die Griechen mit einer abgewerteten Währung in der Lage sein sollten, in Euro lautende Staatsschulden in Höhe von dann 340 Milliarden Euro zurückzuzahlen, halte ich für ausgeschlossen.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Als diese Koalition vor eineinhalb Jahren ihre Arbeit aufgenommen hat, haben wir uns natürlich auch intensiv um die Finanzpolitik gekümmert. Wir haben festgelegt, dass wir so schnell wie möglich Haushalte aufstellen wollen, die ohne Neuverschuldung auskommen, und dass wir zusätzlich 23 Milliarden Euro – diese Zahl wurde damals genannt – zur Entlastung der Länderhaushalte und im Bildungsbereich investieren wollen. Darin waren auch 5 Milliarden Euro für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur enthalten.

Nun, eineinhalb Jahre später, haben wir bereits für das Jahr 2014 im Vollzug einen ausgeglichenen Haushalt erreicht, sogar mit Überschüssen. Voriges Jahr haben wir auch für 2015 einen Haushalt ohne Neuverschuldung beschlossen. Dabei sind wir von einem geringeren Wachstum ausgegangen, als es nun der Fall ist. Der Bundeswirtschaftsminister hat gestern die Wachstumsprognose für 2015 und 2016 auf 1,8 Prozent hochgesetzt. Dieser Wert ist ein bisschen höher als der unseres Potenzialwachstums. Das zeigt: Wir profitieren von externen Faktoren wie dem niedrigen Ölpreis, dem niedrigen Euro-Kurs, den niedrigen Zinsen, aber auch davon – das ist der Schlüssel –, dass wir eine sehr konsequente, solide Finanzpolitik machen, auf die sich die Leute verlassen können. Dass sie sich darauf verlassen können, bringt uns Spielräume.

Jetzt stellt sich die Frage: Was machen wir mit den finanziellen Spielräumen, die wir durch die gute Wirtschaftsleistung – ich sage: auch durch die gestiegene Binnennachfrage, die ihre Ursache in der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns hat, weil die Leute wieder mehr Geld verdienen und Steuern zahlen können – zur Verfügung haben?

(Beifall bei der SPD)

Was machen wir mit diesen zusätzlichen Mitteln? Ich will auf meine Reden hier im Haus zum Haushalt 2015 verweisen. Ich habe bereits damals auf die bestehende Investitionslücke sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich hingewiesen. Es gab darüber einen Dissens.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Genau!)

Ich kann mich an gegenteilige Veröffentlichungen aus dem Bundesfinanzministerium erinnern. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stand – ich weiß nicht, woher die Überschrift kommt; aber irgendwie muss sie ja Belang haben –, dass die CDU an einer Investitionslücke zweifelt. Ich halte diese Einschätzung für falsch und glaube auch nicht, dass sie gerechtfertigt ist; aber zumindest entsteht ein entsprechender Eindruck. Wir als Sozialdemokraten sagen jedenfalls klar: Wenn wir zukünftig unseren Wohlstand sichern wollen, dann müssen wir sowohl in die private als auch in die öffentliche Infrastruktur investieren. Denn nur wenn wir heute investieren, wird es uns auch in der Zukunft, in fünf oder zehn Jahren, gelingen, bei Produkten und Wettbewerbsfähigkeit an der Spitze der Welt zu sein und dadurch letztendlich gut bezahlte Arbeitsplätze zu sichern.

(Beifall bei der SPD)

So können wir die privaten Investitionen durch Rahmenbedingungen steuern.

Die öffentlichen Investitionen haben wir aber direkt in der Hand. Das ist unsere Verantwortung. Deswegen legt die Regierung heute hier einen Nachtragshaushalt vor – er ist natürlich auch unter Beteiligung des Parlaments aufgestellt worden –, über den wir in den nächsten Wochen beraten und entscheiden werden. Er sieht zwei entscheidende Maßnahmen vor.

Erstens. Die Bundesinvestitionen in die digitale Infrastruktur und die Verkehrsinfrastruktur werden in den nächsten drei Jahren um 10 Milliarden Euro erhöht, zusätzlich zu allem, was wir bisher schon vereinbart haben. Das ist eine klare Richtung, für mehr Substanzerhalt, für mehr Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Deswegen begrüße ich diesen Vorschlag.

Der zweite Punkt betrifft die kommunale Infrastruktur. Bundesminister Schäuble hat darauf hingewiesen: Der Großteil der Investitionen in Deutschland wird von den Kommunen getätigt. In den vergangenen Jahren – da gebe ich Herrn Kollegen Bartsch recht; er zitierte aus Studien des Städte- und Gemeindebundes und von Wirtschaftsforschern – gab es Kommunen, die investiert haben, und manche, die deutlich zu wenig investiert haben, insbesondere diejenigen, die unter enormen Soziallasten leiden. Wir greifen jetzt diesen Kommunen unter die Arme, indem wir ihnen zusätzlich 3,5 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung stellen. Ich hoffe und erwarte, dass die Länder das nicht nur kofinanzieren, sondern dieses Geld auch an die Städte und Gemeinden weitergeben. Denn auch unter dem Gesichtspunkt – Kollege Bartsch hat auf die Flüchtlingsströme hingewiesen –, dass wir in den nächsten Jahren große Anstrengungen unternehmen müssen, um Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren – Integration ist fast genauso wichtig –, muss die Leistungsbereitschaft der Kommunen gewährleistet sein. Wenn, wie in meiner Heimatstadt, erst einmal Turnhallen zur Unterbringung genutzt werden müssen, dann sinkt irgendwann auch die Bereitschaft der Bevölkerung – sie ist noch in großem Maße vorhanden –, die Flüchtlinge mit offenen Armen aufzunehmen. Das müssen wir verhindern. Es ist eine nationale Aufgabe, dass sie mit offenen Armen in der Gesellschaft aufgenommen werden und dass die Kommunen nicht überfordert werden. Deswegen ist dieses Investitionsprogramm der richtige Weg.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zum Abschluss möchte ich noch etwas zu den privaten Investitionen sagen. Diese machen insbesondere bei den Unternehmensinvestitionen den absoluten Hauptteil aus. Der Anteil des Staats liegt, bezogen auf die privaten Unternehmensinvestitionen, bei 10 bis 20 Prozent. Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, gehen diese Investitionen in den letzten Jahren zurück. Das ist ein alarmierendes Zeichen; denn wenn Unternehmen heute zu wenig in die Zukunftsfähigkeit von Produkten investieren, dann fehlt ihnen in zehn Jahren auf dem Weltmarkt, auf dem wir derzeit noch in vielen Bereichen führend sind, die Fähigkeit, Produkte zu guten Preisen zu verkaufen und unseren Wohlstand zu sichern.

Man stellt sich dann die Frage: Woran liegt das eigentlich? Dann muss man sich nur einmal die Gewinnausschüttungen anschauen, gerade bei den großen DAX-Konzernen. Wir haben hier ein Rekordhoch bei den Dividendenausschüttungen zu verzeichnen. Wenn bei den Unternehmen nur noch der Börsenkurs im Mittelpunkt steht, wenn sie möglichst kurzfristig ihren Kurswert steigern, indem sie hohe Dividendenausschüttungen quasi als Alternative zu den mangelnden Zinseinnahmen generieren, dann ist das eine gefährliche Situation. Es kann nicht sein, dass wir eine satte Gesellschaft werden, die auf Dauer nur noch davon lebt, dass die Unternehmen Dividenden ausschütten, und dass Unternehmenserben davon leben, dass die Unternehmen, die in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut worden sind, Gewinne ausschütten, ohne in die Zukunft zu investieren. Das ist eine große Herausforderung. Alles, was wir als Politik tun können, was zum Beispiel die Rahmengesetzgebung bei der Energie, aber auch bei den Steuern betrifft, muss darauf gerichtet sein, dass wir Unternehmen in die Lage versetzen, wieder mehr in die Zukunft zu investieren, als sie es derzeit machen. Das ist im Übrigen auch eine Antwort auf die europäische Frage, was wir gegen zu geringe Unternehmensinvestitionen tun können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege.

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):

Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

Wir beraten in den nächsten Wochen über diesen Nachtragshaushalt. Auch der Verteilungsschlüssel wird – Kollege Bartsch hat darauf hingewiesen – Bestandteil dieser Beratungen sein und ist im Zusammenhang mit der zukünftigen Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern zu sehen; der Minister hat darauf hingewiesen. Auf diese Debatte freue ich mich sehr.

Danke sehr.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Gysi, das waren sehr interessante Pirouetten, die Sie hier gedreht haben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich war mir nicht so ganz sicher, wo Sie denn enden werden, also ob Sie jetzt zustimmen oder nicht.

(Zuruf des Abg. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE))

Das war auch lange Zeit unklar, wie man ja verfolgen konnte.

Jetzt haben Sie gesagt: Mehrheitlich stimmt die Linksfraktion zu.

(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Mit großer Mehrheit!)

Ich finde erst einmal: Das ist in Ordnung. Wir finden den Antrag der griechischen Regierung auf Verlängerung des bereits beschlossenen und bestehenden Hilfsprogramms um vier Monate in Ordnung.

Wir haben hier im Deutschen Bundestag vor etwa zwei Monaten, im Dezember, quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit – es war eine öffentliche Debatte am Donnerstag, um 12 Uhr; nur: selbst an den Fernsehern war kaum jemand, weil parallel eine Pressekonferenz übertragen wurde – schon einmal einer Verlängerung des bestehenden Hilfsprogramms für Griechenland, das wir im Jahr 2012 beschlossen haben, im bestehenden Finanzrahmen zugestimmt. Damals hat Ihr Kollege Bartsch gesagt – ich mag ihn ja; ich zitiere das jetzt nur, damit Sie wissen, worüber Sie abstimmen –:

(Lachen des Abg. Johannes Kahrs (SPD))

Ich will für die Linke klar sagen: Wir wollen uns in diese Strategie nicht einbinden lassen. Das ist nicht unsere Politik.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Kurz vor Schluss sagte er:

Wir lehnen ihn ab,

– den Kurs –

weil er im Kern ein Weihnachtsgeld für die Spekulanten ist. Dass wir dabei mitmachen, werden Sie niemals erleben.

(Beifall bei der LINKEN – Lachen und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Völlig richtig! Gut zitiert! – Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Guter Satz!)

Ich will Ihnen nur sagen: Worüber Sie heute abstimmen, ist exakt das Gleiche wie im Dezember.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Nein! Nein! Das ist einfach nicht wahr!)

– Okay, es sind nicht zwei Monate Verlängerung; es sind vier. Wir geben ihnen sogar noch mehr Zeit, und trotzdem – – Aber egal. Es scheint mir so zu sein, dass das Adrenalin, das sehr stark in griechischen Politikern drin zu sein scheint – das ist nicht ganz unsere Kultur -, auch bei Ihnen jetzt sehr stark Mitverursacher dieses Wandels ist. Aber okay.

(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Das fehlt Ihnen ein bisschen!)

Ich finde das Horrorbild – so würde ich es fast nennen –, das Sie gezeichnet haben, bemerkenswert: Die Linksfraktion, die Linkspartei führt dieses Land. – Sie haben vergessen, dass es in Griechenland nicht nur die Linksfraktion oder Linkspartei gibt, sondern dass die mit einer rechtspopulistischen, nationalistischen Partei koaliert.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Wähler sei davor, dass uns das blüht, dass in Deutschland die Linkspartei mit der AfD koaliert.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber zur Sache. Herr Minister Schäuble, Sie haben gesagt: Es fällt Ihnen nicht leicht, heute hier diesen Antrag zur Verlängerung zu stellen. – Ich kann das ob der öffentlichen Debatte und der Äußerungen, die insbesondere vom griechischen Finanzminister immer wieder kommen, nachvollziehen. Da fällt es einem schwer, immer wieder für Vernunft zu werben. Es ist eine Frage des Anstands, wie man miteinander umgeht. Ich finde es gut und richtig, dass der Bundestag und die anderen nationalen Parlamente, die hierüber ebenfalls entscheiden müssen, sich nicht von Rhetorik leiten lassen. Anstand scheint immer auch eine Frage der kulturellen Definition zu sein. Ich glaube, wir sind hier sehr rational und geben dem Antrag des griechischen Staates auf eine Verlängerung um vier Monate statt. Es geht um eine Summe von etwa 2 Milliarden Euro, die im bestehenden Programm noch zur Verfügung steht. Es sind also keine zusätzlichen Mittel, sondern sie liegen innerhalb des Finanzrahmens.

Bei der Debatte um Griechenland – ich habe meine Rede vom Mai 2010 noch einmal durchgelesen; das Thema beschäftigt uns hier schon eine ganze Weile – sind auch viele Fehler gemacht worden. Es sind zwei politische Fehler auch von Deutschland gemacht worden. Der erste Fehler war, dass zu Beginn der Debatte unter Führung von Union und FDP das Thema Schuldenschnitt nicht berücksichtigt wurde. Die SPD hat dem ersten Paket damals nicht zugestimmt. Wir haben uns enthalten und gesagt, dass wir zwar solidarisch sind, aber die Überrollung der Schulden ohne einen Schuldenschnitt für die privaten Gläubiger nicht mitmachen. Es hat sich im Nachhinein gezeigt – Sie sind dann 2012 damit gekommen –, dass es notwendig gewesen wäre. Dann wäre die Schuldenlast niedriger.

Jetzt mussten wir Griechenland aus ökonomischen Gründen sehr weit entgegenkommen, weil die Schuldentragfähigkeit nicht gegeben war. Deswegen zahlen sie fast keine Zinsen mehr. Die Schuldenlast ist das eine, das andere, das Entscheidende, ist: Wie hoch sind eigentlich die Zinsen? Die Zinsen, die Griechenland bezogen auf seine Wirtschaftsleistung zahlt, sind deutlich geringer als die, die zum Beispiel Portugal zahlt, deutlich geringer als die, die Frankreich zahlt. Deutschland als Benchmark-Staat zahlt noch weniger, nämlich 1,8 Prozent im Durchschnitt. Die Griechen zahlen knapp 2 Prozent.

Entscheidend ist – das ist der zweite politische Fehler gewesen –, dass die Griechen – das Volk und die Partei – für sich selbst annehmen, dass nur sie selbst sich helfen können, dass nicht eine böse Macht von außen – nicht die Troika oder sonst irgendwer – sie in diese Situation gebracht hat; denn Kredite aufgenommen hat immer das jeweilige Land und niemand anderer.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der entscheidende Fehler war, dass die damalige Bundesregierung verhindert hat, dass es eine Volksabstimmung über den Antrag von Papandreou, dem damaligen Ministerpräsidenten, gab, über diese Reformmaßnahmen Konsens zu erzielen. Das war der entscheidende politische Fehler, für den wir heute bezahlen.

Wir müssen auch klar sagen: Die griechische Regierung hat in den vergangenen Jahren auch Fortschritte gemacht. Die Wirtschaftsleistung ist gesunken. Klar, das ist auch logisch. Wenn sie nur über Kredit finanzieren – es gibt im Englischen die Redewendung: Credit bites back –, dann kommt irgendwann der Return. Vorgezogener Konsum ohne entsprechende Wirtschaftsleistung dahinter funktioniert nicht. Genau das ist jetzt der Fall.

Deswegen werden wir nicht nur heute über diese Verlängerung abstimmen. Wenn die griechische Regierung bereit ist, ihre Situation anzunehmen und die richtigen ökonomischen Antworten zu geben, dann werden wir noch einmal über eine Verlängerung reden müssen; nicht über dieses Programm, sondern über ein neues. Das steht aber heute nicht zur Debatte. Die vom Bundestagspräsidenten angemahnte Abstimmung über die unterlegten ökonomischen Reformen – er nennt das ein MoU, also eine Verabredung dessen, was in der Sozialpolitik und bei den Steuern gemacht wird – ist heute nicht die Grundlage der Entscheidung. Wir entscheiden heute ganz klar über das bisherige Reformprogramm.

Es hat in Griechenland eine Wahl gegeben. Das Wahlergebnis ist zu akzeptieren. Wir respektieren es auch, auch wenn uns die Regierung nicht gefällt. Dass das Wahlergebnis Veränderungen mit sich bringen muss, ist auch klar; sonst bräuchten wir nicht zu wählen. Der entscheidende Punkt ist nur: Sollte die griechische Regierung ihre Wahlversprechen, die sie gemacht hat, von den Steuerzahlern anderer Länder, also auch uns, die wir diese Wahl gar nicht durchgeführt haben, finanzieren lassen wollen, dann wird das nicht gehen. Das ist nicht akzeptabel.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich verbinde durchaus eine Hoffnung mit dieser Regierung. Die bisherige Regierung hat die bestehende Situation durch Korruption und vielleicht schlechte Effizienz im Staat selbst geschaffen. Wenn diese Regierung eine Chance verdient hat, dann dazu, dass sie das Steuersystem modernisiert,

(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Richtig!)

dass sie unsere Hilfe, die wir leisten wollen, auch annimmt, und dass sie für eine gerechtere Besteuerung sorgt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Blöderweise hat die neue Regierung eine Veränderung schon vorgenommen, die mich zumindest skeptisch macht. Die internen Kontrollen bei den Steuerbehörden, um zu ermitteln, ob es da Kumpanei mit den Steuerzahlern gibt – so etwas soll vorkommen; in Deutschland ist das schwer vorstellbar, aber es soll da vorgekommen sein –, wurden von der Regierung Samaras auf eine unabhängige Instanz übertragen. Das hat Tsipras bereits geändert; das wird wieder intern gemacht. Das halte ich für sehr schwierig. Auch darüber wird zu reden sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir sind sehr für Wachstum, für Hilfen zur Selbsthilfe, auch für mehr soziale Gerechtigkeit. Aber eines muss klar sein: Diejenigen, die in Griechenland viel Geld verdient haben und die über genügend Vermögen verfügen, müssen dafür auch zahlen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Eckhardt Rehberg (CDU/CSU))

Das wird für die SPD eine Bedingung sein.

Jedem muss klar sein: Die teuerste Lösung – da rede ich nur über finanzielle Aspekte – wäre jetzt der Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone –

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

teuer nicht nur für die Griechen, teuer auch für Deutschland, denn wir haben Kredite von über 60 Milliarden Euro vergeben. Es gibt ja viele Ökonomen, die sagen: Die sollen austreten, dann wird das alles gut, dann haben die wieder die Drachme und werden wettbewerbsfähig. – Das ist schwierig, wenn man keine Exportwirtschaft hat; das hilft einem relativ wenig, wenn man viel importieren muss. –

(Beifall des Abg. Gunther Krichbaum (CDU/CSU))

Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist: Wenn sie tatsächlich die Drachme einführen würden, würden die Schulden trotzdem noch in Euro lauten, und bei einer Abwertung um 50 Prozent würde die Schuldenlast verdoppelt, also überhaupt nicht mehr tragfähig sein. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass alle anderen europäischen Länder die ausgegebenen Kredite wiedersehen würden, ist relativ gering. Deswegen ist das kein Ziel, das die SPD und auch Deutschland verfolgen sollten. Ein wirkliches Wiedererstarken Griechenlands wird es nur im Euro geben – wenn auch die griechische Regierung bereit ist, diesen Weg zu Reformen in ihrem Land, zu eigener Leistungsfähigkeit zu gehen; dabei sollten wir sie unterstützen. Gemacht ist dieser Weg noch nicht. Es liegt jetzt an den Griechen selbst. Wir reichen ihnen dazu die Hand.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass der Kollege Schlecht von der Linkspartei eben Griechenland und den Politikwechsel, der dort stattgefunden hat, angeführt hat, finde ich angesichts der Koalitionskonstellation mit Rechtspopulisten und Linkspopulisten schon bemerkenswert. Ich glaube, dass es da eine Einigkeit gibt: Ihr Ziel ist eine Renationalisierung der Politik und nicht eine Europäisierung. Das zeigt sich in Griechenland gerade sehr deutlich, wenn ich mir diese Koalitionspartner angucke.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Zurufe von der LINKEN)

Wissen Sie, die EZB hat in den vergangenen Jahren immer wieder die Kohlen aus dem Feuer geholt, wenn es darum ging, den Euro zu stabilisieren und die Europäische Union und die Euro-Zone am Laufen zu halten. Da gab es viel Kritik aus Deutschland, viel Kritik, die meines Erachtens unberechtigt war; denn die EZB war die einzige Institution, die gesichert hat, dass die Spekulationen an den Finanzmärkten gegen die Staaten gestoppt wurden. Das ist der große Erfolg, der sich auch in sinkenden Zinsen oder günstigen Refinanzierungen niedergeschlagen hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Schick hat zu Recht darauf hingewiesen: Die lockere Geldpolitik, die die EZB jetzt vollzieht, ist mit Gefahren verbunden, mit Vermögenspreisblasen. Das ist vollkommen klar. Wir haben die Null-Zins-Grenze erreicht. Die EZB macht Geldpolitik nicht nur für Deutschland, sondern für den gesamten Euro-Raum. Man muss klar feststellen, dass sie ihr Inflationsziel, das bei knapp unter 2 Prozent liegt, verfehlt. Wenn man sich die Inflationserwartungen für einen Zeitraum von fünf Jahren anguckt, dann stellt man fest: Sie liegen bei unter 1 Prozent. Die EZB muss also handeln, und ich finde es richtig, dass sie handelt. Nicht zu handeln, wäre keine Option gewesen.

Wenn Sie sich die Bilanzsumme der EZB genau anschauen, dann stellen Sie fest, dass sie bereits 2012 ein Volumen von 3 Billionen Euro hatte; das ist die Zielmarke, die Herr Draghi bzw. der EZB-Rat wieder ausgegeben haben. Derzeit beläuft sich die Bilanzsumme auf 2 Billionen Euro. Sie wäre gesunken, wenn es die Entscheidung für das Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen nicht gegeben hätte. Die Bilanzsumme der EZB wäre weiter gefallen und dem Markt würde Liquidität entzogen werden; denn die geldpolitischen Maßnahmen – Abkürzung LTRO –, den Banken günstige Kredite zu geben, damit sie das Geld verleihen, laufen aus. Die Banken geben das Geld freiwillig zurück; sie nutzen es gar nicht.

Der entscheidende Punkt ist: Wir haben den Bankensektor sehr stark reguliert – der Kollege Staatssekretär hat zu Recht darauf hingewiesen –, und im Gegenzug erwarten wir, dass er jetzt seine Aufgabe erfüllt. Die Aufgabe ist, Kredite durch die Einlagen der Sparer zu finanzieren, damit investiert wird. Das ist die Kernaufgabe, und ich erwarte, dass die Banken dieser Aufgabe nachkommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn man sich die Debatte in Deutschland, die Aufmacher der Zeitungen und die Kommentare, die teilweise abgegeben werden, so anguckt, fragt man sich schon, in welchem Land man lebt. Wenn es nur noch darum geht, den Sparer und die geringeren Zinsen, die er erhält, in den Mittelpunkt zu stellen, wenn es nur noch darum geht, dies als Gefahr an die Wand zu malen, dann frage ich mich schon: Wo ist eigentlich die Hoffnung in die Zukunft, die dieses Land einmal ausgemacht hat?

Eine Medaille hat ja immer zwei Seiten. Natürlich bekommt der Sparer weniger Zinsen für sein angelegtes Geld; das ist klar. Aber er profitiert von einer sehr niedrigen Inflationsrate; das gehört zur Wahrheit dazu. 6 Prozent Zinsen bei 5 Prozent Inflation sind auch nicht besser als 1 Prozent Zinsen bei einer viel niedrigeren Inflation. Der entscheidende Punkt ist doch – das ist die andere Seite der Medaille –, dass die Investitionen verdammt günstig sind, dass es nie so billig war, ein Unternehmen zu gründen und in Wachstum zu investieren, dass es für Familien noch nie so günstig war, den Traum vom Einfamilienhaus oder einer Eigentumswohnung zu finanzieren.

(Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und für den Staat genauso!)

Das sind die Chancen, die in dieser Entwicklung liegen. Ich finde, wir als Politiker müssen diese Chancen betonen. Wir dürfen nicht nur die Gefahren an die Wand malen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lassen Sie mich auf einen zweiten Punkt eingehen. Es stellt sich die Frage – Herr Schick oder Herr Kampeter haben darauf hingewiesen –: Welche Aufgabe hat eigentlich die Finanzpolitik? Natürlich kann die EZB nur eines machen, nämlich Geldpolitik; das ist ihre Aufgabe. Genauso wenig, wie ich erwarte, dass die Bundesregierung die Politik der EZB kommentiert, erwarte ich, dass die EZB die Politik von nationalen Regierungen kommentiert. Von daher hat mich schon sehr gewundert, dass sich der Bundesbankpräsident zum Wahlergebnis in Griechenland geäußert hat; aber das ist ein anderes Thema.

Was ist also unsere Aufgabe als Nationalstaat? Wir müssen alles dafür tun, dass die Investitionen in Deutschland steigen. Die privaten Investitionen sind niedrig, insbesondere im Unternehmenssektor. Die Aktienkurse wurden genannt. Aber nicht nur die Kurse, sondern vor allen Dingen die Dividenden spielen eine Rolle. Dass die DAX-Konzerne die Gewinne zum Großteil ausschütten, anstatt sie zu reinvestieren, zeigt mir, dass sie nicht gerade Hoffnung in gute Produkte und künftige Märkte haben. Das macht mir Sorgen. Ich finde, sie müssen investieren und ihren Kapitalstock langfristig erweitern. Sie müssen in Innovationen investieren und dadurch dafür sorgen, dass wir langfristig gute Produkte haben.

Wir werden in den nächsten Wochen hier im Bundestag über den Haushalt 2016 und vielleicht sogar über einen Nachtragshaushalt 2015 zu entscheiden haben. Ein Schwerpunkt wird sein, dass wir die staatlichen Investitionen deutlich verstärken; Herr Kampeter hat auf die 10 Milliarden Euro, die wir investieren wollen – das ist die Untergrenze –, hingewiesen. Wir werden sinnvolle staatliche Investitionen auch zur Erhaltung unseres Kapitalstocks auf den Weg bringen. Das wird dazu führen, dass die Nachfrage nach Gütern aus anderen Ländern steigt. Das ist unser Beitrag, den wir hier leisten können.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen den Weg noch weiter in Richtung einer gemeinsamen Steuerpolitik gehen. Es geht dabei nicht nur um Steuerdumping von Unternehmen in Europa, dass es wettbewerbsfähige Steuersätze sind, sondern auch um Investitionen und gerechte Unternehmenssteuern. Jedes Unternehmen sollte dort besteuert werden, wo es seinen Umsatz macht. Dann sind wir, glaube ich, gemeinsam auf einem guten Weg.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind fast am Ende des Hilfsprogramms für Griechenland angelangt. Herr Kollege Bartsch, Sie haben versucht, Bilanz zu ziehen. Ich will dies auch tun und es mit der Empfehlung der SPD-Fraktion für die spätere Abstimmung verbinden.

Herr Kollege Bartsch, Sie haben die sozialen Einschnitte in Griechenland beschrieben. Dies ist berechtigt. Ich glaube, niemand stellt dies in Frage. Die Bedingungen, die mit den gewährten Krediten in Höhe von 240 Milliarden Euro verknüpft waren, haben diese vorgesehen. In Ihrer Rede haben mir allerdings die Alternativen gefehlt. Was wäre die Alternative zu der Gewährung von Krediten unter Auflagen gewesen?

Die einzige Antwort, die ich kenne, lautet: Die Alternative wäre ein direkter Transfer von Mitteln aus Deutschland, aus der Slowakei und aus den anderen europäischen Ländern in Form eines Zuschusses gewesen. Das wäre die einzige Alternative gewesen.

Sie haben auch zu Recht über die Souveränität des Parlaments in Griechenland gesprochen, die jetzt eingeschränkt ist. Ja, wir haben es immer wieder gesagt, dass dies eine schwierige Situation für die Demokratie ist. Wir als deutsches Parlament haben jedoch Entscheidungen bezogen auf die Legitimation zu treffen, die wir von unseren Wählern bekommen haben. In dem Wahlprogramm der SPD aus dem Jahr 2009 stand nicht, dass wir direkte Transfers, also Überweisungen und Zuschüsse an die jeweiligen anderen nationalen Parlamente, leisten. Ich glaube, in den Wahlprogrammen der Linken und der Grünen stand dies auch nicht.

(Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Das ist nicht die Alternative!)

Von daher gibt es in der Entwicklung Griechenlands Licht und Schatten. Es waren jahrzehntelang demokratisch getroffene Entscheidungen in Griechenland, die dazu führten, dass Leopard-Panzer angeschafft wurden, dass über Jahrzehnte auf Pump gelebt wurde, dass es keine ordentliche Steuerverwaltung gab und ein Unmaß an Korruption herrschte.

(Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Da haben Christdemokraten und Sozialdemokraten regiert! – Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Ihre Schwesterpartei!)

– Ich glaube, Ihre waren nicht besser. – Diese von den damaligen konservativen oder sozialdemokratischen Parteien demokratisch getroffenen Entscheidungen haben dazu geführt, dass Griechenland in die Situation kam, uns und die anderen europäischen Länder um Hilfe zu bitten.

(Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Wir kommen erst jetzt!)

Wir haben diese Hilfe gewährt.

Wir haben uns als Sozialdemokraten bei der Abstimmung über das erste Hilfspaket enthalten, und zwar aus einem Grund, der auch heute wieder ein Thema ist: Die Gesamtschuldenlast Griechenlands ist extrem groß. Schon 2010 im Rahmen der ersten Debatte, in der ich auch gesprochen habe, waren wir der Auffassung, dass wir einen Schuldenschnitt brauchen, und zwar insbesondere für die privaten Gläubiger. Dieser ist erst viel später gekommen, und er hat uns knapp 100 Milliarden Euro gekostet, als wir es als Staaten zu 100 Prozent übernommen haben, private Gläubiger auszuzahlen. Das war ein Fehler, den die damalige Bundesregierung gemacht hat. Das können wir nicht mehr ändern. Wir müssen mit der Situation leben, wie sie ist.

Ich sehe bei den Schatten, die es gibt, auch Licht. Sie haben die sicherlich unterdurchschnittlichen Wachstumsraten erwähnt, die es gegeben hat. Es gibt aber Licht; denn es gibt in diesem und im nächsten Jahr positive Wachstumszahlen. In Deutschland träumen wir von den in Griechenland prognostizierten 3 Prozent. Daher glaube ich, es ist richtig, die griechische Regierung jetzt zu unterstützen, wenn sie uns bittet, das Programm mit den bereits zugesagten Hilfskrediten nicht zum 31. Dezember enden zu lassen, sondern es um zwei Monate zu verlängern. Dem stimmen wir als Sozialdemokraten zu. Es ist für uns eine wichtige Bedingung, dass Wirtschaftswachstum zustande kommt.

Wichtig ist auch die Frage, die Sie, Herr Bartsch, berechtigterweise gestellt haben, nämlich ob eigentlich alle, die es können, tatsächlich ihre Steuern bezahlen. Ich halte es für ganz zentral, dass die Reichsten in Griechenland tatsächlich ihre Steuern zahlen. Jede Unterstützung, die wir in Deutschland auch bei der Beratung der Verwaltung leisten können, von der Berichte sagen, sie sei unterdurchschnittlich, wollen wir geben.

Es gibt auch an anderer Stelle Licht: Griechenland hat immer Chancen gehabt, europäische Investitionsmittel aus den sogenannten Strukturfonds zu bekommen. Im Jahr 2010 sind gerade einmal 20 Prozent der bereitgestellten Mittel abgeflossen. Im Jahr 2014 sind es über 80 Prozent. Es geht also voran. Wir sollten das griechische Parlament und die Regierung sowie die Bevölkerung, die in den vergangenen Jahren wirklich sehr gelitten hat, dabei unterstützen, dass aus diesem Lichtschimmer am Horizont tatsächlich die Sonne wird, auch wenn sie dort mehr scheint als bei uns in Deutschland, was die Temperaturen angeht.

Zur vorsorglichen Kreditlinie: Die Kollegen der Grünen haben hier und auch im Ausschuss die Frage gestellt, ob wir heute dem Finanzminister das Mandat erteilen dürfen, können oder wollen, über die vorsorgliche Kreditlinie im Rahmen des Finanzrahmens, den wir bereits verabredet haben, zu verhandeln.

(Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein! Das stimmt nicht! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Doch!)

Es gibt hier ein zweistufiges Verfahren: Zunächst wird das Mandat erteilt, dass er darüber verhandeln darf, und ganz am Schluss entscheiden wir, ob es auch so gemacht wird.

(Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Carsten, darum geht es nicht!)

Jetzt stellt sich die Kernfrage: Liegen alle Unterlagen dafür vor?

(Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist die Maßgabe!)

Ich habe mir gerade noch einmal die Unterlagen des Wissenschaftlichen Dienstes und auch die Vorabberichte der Troika angesehen. Im Antrag der Bundesregierung steht unter Punkt III – Maßgaben – vollkommen zu Recht – ich zitiere –:

Die für eine Beschlussfassung … erforderlichen Dokumente … der Leitlinie für vorsorgliche Finanzhilfen liegen derzeit noch nicht vor. Die Zustimmung des Deutschen Bundestages wird daher unter der Maßgabe beantragt, dass die endgültigen Dokumente der EU-Kommission im Benehmen mit der EZB die diesem Antrag beigefügte vorläufige Einschätzung der EU-Kommission bestätigen.

Unter dieser Maßgabe beschließen wir,

(Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und wer bewertet das?)

und nur dann wird die Bundesregierung darüber beschließen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie der Auffassung sind, dass die Unterlagen in ihrer Endfassung nicht dem entsprechen, was uns jetzt vorläufig vorliegt, dann haben wir im Bundestag die Chance – das sage ich Ihnen zu –, es noch einmal zu beschließen. Nur sollten wir heute nicht wegen solcher Kleinigkeiten – es sind wirklich Kleinigkeiten – die gesamte Beschlussfassung zurückstellen.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): So ist es!)

Das wäre ein falsches Signal; denn die Lage ist fragil. Der Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen. Es stehen Wahlen in Griechenland an. Ich weiß nicht, ob es am 29. Dezember eine Mehrheit für einen Staatspräsidenten gibt. Das ist die souveräne Entscheidung des griechischen Parlaments. Klar ist aber: Wenn es sie nicht gibt, wird es Neuwahlen geben. Ich sage allen Kollegen hier im Bundestag, aber auch den Kollegen im griechischen Parlament: Es wird bei den Konditionen und der Frage eines Schuldenschnitts mit einem Regierungswechsel keine Veränderungen geben. Eine Regierung und ein Parlament stehen auch in der Nachfolge zu den Entscheidungen, die vorher getroffen wurden. Das ist auch richtig so;

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Wahlen lohnen sich nicht?)

denn man muss sich auf die Entscheidungen verlassen können.

(Abg. Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Es gibt eine Frage des Kollegen Willsch, die ich gerne zulassen möchte.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von der CDU?

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):

Sehr gerne.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Er hat sich schon vorab hingestellt.

Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):

Er hatte ja schon gesagt, dass er die Frage zulassen möchte.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Ja, aber er hat es nicht zu entscheiden.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)

Dumm gelaufen.

Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):

Ich füge mich vollständig den Regeln. – Lieber Kollege Carsten Schneider, wir haben in der vergangenen Legislaturperiode im Haushaltsausschuss intensiv das Zustandekommen der diversen Rettungsinstrumente diskutiert. Mich überrascht es nicht, dass am Ende das Geld – 240 Milliarden Euro – alle ist, die Frist verlängert werden muss, die Zinsen gesenkt werden müssen oder was auch immer noch aufgerufen werden wird.

Erstens: Wir haben beim ESM das Instrumentarium der vorsorglichen Kreditlinie eingeführt, um prinzipiell solventen und soliden Staaten, die vielleicht in eine kurzfristige Finanzierungsschwierigkeit geraten, Wasser unter den Kiel zu geben. Das praktische Beispiel war damals Spanien. Spanien wollte kein Programm. Deshalb hat man Spanien mit der vorsorglichen Kreditlinie versorgt, um die Banken zu rekapitalisieren.

(Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Quatsch! Das stimmt nicht!)

Für den Fall, über den wir hier diskutieren ? ein nicht solides Land, ein Land am Rande des Kollapses –, war dieses Instrument nie gedacht. Oder täusche ich mich da?

Zweitens: Ich überlege mir, was der haushaltspolitische Sprecher der SPD in der Opposition zu der Grobeinschätzung gesagt hätte, die uns die Kommission vorgelegt hat. Da heißt es: Der Finanzierungsbedarf Griechenlands im nächsten Jahr kann zwischen 6 und 12 Milliarden Euro liegen. – Wenn man das auf unsere Volkswirtschaft umbräche, hieße das, ein deutscher Finanzminister würde dem Haushaltsausschuss bzw. dem Parlament einen Etat vorlegen – wir haben jetzt Dezember 2014 und reden über den Finanzbedarf in 2015 – und sagen: Ich weiß nicht genau, ob ich 100 Milliarden oder 200 Milliarden Euro finanzieren muss. – Um es klarzumachen: Das ist die Größenordnung. Was hätte denn der haushaltspolitische Sprecher in der Oppositionsfraktion dazu gesagt?

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Danke, Herr Willsch. – Herr Kollege Schneider.

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):

Ich beginne mit der letzten Frage. – Die Tatsache, dass der Finanzierungsbedarf zwischen 6 und 12 Milliarden Euro liegt, resultiert daraus, dass es keine Einigkeit zwischen der EU-Kommission, dem IWF und dem griechischen Staat darüber gibt, welche Wachstumszahlen für das nächste Jahr zu prognostizieren sind; die Griechen sagen, es sei ein bisschen mehr, die Kommission sagt, es sei ein bisschen weniger. In den vergangenen Jahren waren die griechischen Zahlen, zumindest was die Wachstumsprognose betraf, solider. Über diese Zahlen werden sie sich einigen. Davon hängt dann auch ab – das wissen Sie, Herr Kollege –, wie sich die Steuereinnahmen, die Arbeitslosigkeit und die Sozialversicherungen entwickeln. Dementsprechend gibt es einen Überschuss – einen Primärüberschuss haben sie eh – oder ein zusätzliches Defizit, das sie im Zweifel decken müssen.

Genau darum geht es auch bei der vorsorglichen Kreditlinie; damit bin ich bei Ihrem ersten Punkt. Wir nutzen hier die ECCL; das ist quasi ein Dispokredit, ein Kontokorrentkredit. Er wird zur Verfügung gestellt, ist aber an Konditionen gebunden. So muss Griechenland weiterhin der Troika Bericht erstatten. Ich halte das auch für notwendig; denn ich glaube, dass es richtig ist, den Druck auf das griechische Parlament aufrechtzuerhalten, damit es die strukturellen Reformen vorantreibt. Das erscheint mir auch vor dem Hintergrund notwendig, dass der griechische Präsident schon Mitte des Sommers gesagt hat, Griechenland steige aus dem ganzen Programm aus. Ich habe das für eine Illusion gehalten.

Es ist das erste Mal, dass dieses Instrument, die vorsorgliche Kreditlinie, genutzt wird. Wir haben dem spanischen Staat im Rahmen des ESM einen Kredit zur Verfügung gestellt, der auf die Bankenrekapitalisierung konditioniert war. Dieses Instrument gab es damals schon; es ist genutzt worden. Die vorsorgliche Kreditlinie, die quasi ein Sicherheitsnetz ist, gab es noch nicht. Wir werden sie aber brauchen. – Damit ist die Beantwortung der Frage beendet.

Ich möchte auf die Unsicherheit an den Finanzmärkten eingehen. Wir führen gerade eine Diskussion darüber, ob die Europäische Zentralbank stärker am Anleihemarkt investieren soll. Sie tut es bereits, weil wir eine schwierige ökonomische Situation haben. Ich glaube, dass wir bei den Zinsspreads, also bei den Zinsaufschlägen für einige Länder wie Italien und Spanien, die sehr gering geworden sind, eine unnatürliche Situation haben, was viel mit der Liquidität der EZB zu tun hat. Es hat den Ländern in den vergangenen Jahren viel Entlastung gebracht, dass sie nicht die höheren Zinsen zahlen müssen. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass jede Verunsicherung in einem der Euro-Länder sofort einen Dominoeffekt auf alle anderen hätte. Aus diesem Grund ist es extrem wichtig, dass wir Griechenland nicht am 31. Dezember 2014 mit einem Schlag dem Kapitalmarkt überlassen. Griechenland müsste sich dann nämlich zu Zinsen von 12 oder 13 Prozent refinanzieren, die es nicht zahlen könnte; das sind in etwa die Aufschläge bei einer zehnjährigen Anleihe. Aus diesem Grund ist es unser ureigenes und richtiges Interesse, zu sagen: Innerhalb des bereits vom Bundestag genehmigten Finanzvolumens stellen wir einen Dispokredit zur Verfügung, damit sich Griechenland, wenn es notwendig ist, darüber zusätzlich refinanzieren kann. Das erscheint mir nicht nur notwendig, sondern auch zwingend. Es wäre auch ein Zeichen an das griechische Parlament, dass wir weiterhin zu unserer Solidarität stehen, die wir zugesagt haben.

Uns Sozialdemokraten ist auch wichtig, dass wir den Fokus noch viel stärker auf das Wachstum richten. Das ist sowohl bei den Strukturreformen und den angebotsseitigen Reformen als auch bei der Frage der Investitionen zentral. Darum geht es 2015. Ein erster kleinerer Schritt ist das Juncker-Programm. Wir werden hier in Deutschland und in Europa weitere Schritte brauchen, um dauerhaft leistungsfähig zu bleiben und wieder zu Wachstum zu kommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)