Selbst als Notmaßnahme tauge die Einführung von Elite-Bonds nicht, sagt der SPD-Haushaltspolitiker Carsten Schneider. Finanzminister Wolfgang Schäuble wirft er vor, mithilfe von Eurobonds die Fiskalunion voranzutreiben.

Friedbert Meurer: Viel ist darüber geschrieben worden, dass wir eine Krise der Demokratie erleben – Krise deswegen, weil die Politik als machtlos gilt, sie sei machtlos geworden gegenüber den Finanzmärkten. Sie seien bestenfalls noch Getriebene der Märkte und Börsen. Und wenn im Bundestag dann zum Beispiel über den Euro-Rettungsschirm abgestimmt wird, dann heißt es, das ist alternativlos, Abgeordnete müssen ihre Bedenken hinten anstellen, oder werden sogar geschurigelt. Um den Einfluss des Bundestages auf Maßnahmen, den Euro zu retten, geht es heute in einer Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht. Karlsruhe hatte die Etablierung eines neunköpfigen Sondergremiums gestoppt, das im Zusammenhang mit dem Euro-Rettungsschirm steht und dem neun Mitglieder des Haushaltsausschusses angehören sollten. Zwei SPD-Abgeordnete haben gegen dieses Neunergremium geklagt. Wenn das Bundesverfassungsgericht entscheidet, also vielleicht noch vor Weihnachten, vielleicht hat sich bis dahin schon alles erledigt, denn nicht wenige Experten bezweifeln, dass der Euro-Rettungsschirm nicht der Weisheit letzter Schluss ist und empfehlen, wahlweise gemeinsame Euro-Anleihen einzurichten, also Eurobonds, oder die Europäische Zentralbank soll Staatsanleihen im großen Stil aufkaufen. Jüngste Volte der Überlegungen, die angeblich auch von der Bundesregierung überprüft wird, sind Elitebonds. Das sind Anleihen einer Handvoll europäischer Staaten mit bester Bonität. Vorerst aber bemühen sich die Euro-Finanzminister, den Rettungsschirm aufzuspannen und zu hebeln. In Berlin begrüße ich jetzt am Telefon Carsten Schneider, SPD-Bundestagsabgeordneter, Mitglied im Haushaltsausschuss, und er war oder ist auch schon vorgesehen, Mitglied in jenem Neunergremium zu sein, über das das Bundesverfassungsgericht heute verhandelt. Guten Tag, Herr Schneider.

Carsten Schneider: Guten Tag, Herr Meurer.

Meurer: Um mal mit diesem Gremium zu beginnen: Gehen Sie davon aus, dass es das überhaupt noch geben wird?

Schneider: Na ja, ich bin skeptisch. Das, was das Verfassungsgericht jetzt als Fragen gestellt hat, als auch überhaupt die Anordnung, eine einstweilige Anordnung, dass das Gremium nicht konstituiert werden darf, da gehe ich eher davon aus, dass das nichts mehr wird.

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Mit den Steuergeschenken lenkt die Bundesregierung von der Diskussion um die EU-Maßnahmen ab. Das ist der Vorwurf von Carsten Schneider, Haushaltspolitiker der SPD.

Steffi Dobmeier: Immer mehr Hilfsgelder gehen nach Griechenland, und die schwarz-gelbe Regierung will die Steuern senken. Wie geht das denn zusammen, Herr Schneider?

Carsten Schneider: Eigentlich gar nicht. Die ganze Diskussion ist eine Bluttransfusion für die FDP, damit die Partei zeigen kann, dass sie noch lebt. Mir scheint es, als wolle die Regierung ablenken von der Diskussion um die Euro-Maßnahmen. Mit der Realität hat das aber nichts zu tun.

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„Sparmaßnahmen sind notwendig, aber auch die Impulse sind notwendig.“ Der haushaltspolitische Sprecher der SPD, Carsten Schneider, fordert „so etwas wie eine Art Marshall-Plan“ für Griechenland, aus EU-Mitteln finanziert.

Christian Bremkamp: Die neue griechische Regierung muss heute die erste wichtige Hürde nehmen, damit das Land nicht bankrott geht. Um Mitternacht wird nach tagelanger Debatte eine Abstimmung zur Vertrauensfrage stattfinden, dies hatte Ministerpräsident Papandreou nach der Bildung seiner neuen Regierung am Sonntag beantragt. Die Bewegung „Empörte Bürger“ hat derweil neue Demonstrationen angekündigt, will aus Protest gegen weitere Sparmaßnahmen alle Zufahrtswege zum Parlament blockieren. Die desaströse wirtschaftliche Lage hat Griechenland also auch in eine schwere politische Krise manövriert. Am Telefon begrüße ich jetzt Carsten Schneider, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag, Herr Schneider.

Carsten Schneider: Guten Tag, Herr Bremkamp. Ich grüße Sie.

Bremkamp: Die deutschen Banken wollen sich, so zumindest die Ankündigung, an der Rettung Griechenlands beteiligen. Ein Grund zum Aufatmen?

Schneider: Nein, überhaupt nicht. Ich traue diesen Aussagen nicht, weil es vollkommen zuwider den Interessen der Aktionäre der Banken steht, sich dauerhaft längerfristig eine Staatsanleihe zu kaufen, die einen Ramschstatus hat. Da würden sie sich fast schon strafbar machen. Und Herr Kemmer, das ist ja nur der Vertreter des Bankenverbandes, hat da auch gar keine exekutive Funktion. Ich habe vorige Woche Gespräche in Frankfurt mit Bankern geführt, und die haben mir gesagt, ich bin doch nicht wahnsinnig, den einen Tag bin ich derjenige, der den Griechen keine Solidarität gibt, und die Woche darauf bin ich derjenige, der sich dort engagiert. Die werden sich also nicht engagieren, zumal ihr Anteil mit jedem Tag, der vergeht, auch immer geringer wird.

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Volker Paczulla: Herr Schneider, wie viele Milliarden wird der Deutsche Bundestag noch bereitstellen, um Griechenland, womöglich Portugal und die Euro-Währung zu retten?

Carsten Schneider: Wahrscheinlich werden die Summen höher sein, als bisher vermutet wird. Genau wissen wir es nicht. Die Bundesregierung ist hier von Anfang an einen falschen Kurs gefahren. Erst wurde das Problem totgeschwiegen, dann medial aufgebauscht, und bis heute erhält der Bundestag keine Informationen, wie es weitergehen soll. Schwarz-Gelb drückt sich davor, zu sagen, welchen Preis Deutschland bereit ist, zur Rettung der Gemeinschaftswährung zu zahlen. Das Ergebnis ist viel Missstimmung in der Bevölkerung und auch bei den Abgeordneten des Bundestages.

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Das Streitgespräch zwischen Carsten Schneider und Wolfgang Thierse für NEUE GESELLSCHAFT/FRANKFURTER HEFTE im April 2011 moderierten Dagmar Mensink, Leiterin des Referats für Kirchen und Religionsgemeinschaften beim Parteivorstand der SPD, und Thomas Meyer.

Thomas Meyer: Es gibt die Initiative, in der SPD einen Arbeitskreis sozialdemokratisch-gesinnter Laizisten zu gründen, um das Verhältnis Staat-Religionsgemeinschaften neu zu diskutieren. Was erstrebt dieser Arbeitskreis?

Carsten Schneider: Ich finde es gut, dass es eine Initiative von Leuten gibt, die sich die grundsätzliche Frage stellen, ob das derzeitige Verhältnis von Staat und Kirche – etwa was die finanziellen Beziehungen oder den Religionsunterricht betrifft – wirklich noch in die heutige Zeit passt.

Auch deshalb, weil unsere Gesellschaft sich zusehends pluralisiert. Anfang der 50er Jahre gehörten 90 % der Bevölkerung in Westdeutschland christlichen Religionsgemeinschaften an. In meinem Wahlkreis Erfurt/Weimar leben zum Beispiel heute nur noch 20 % Protestanten und 5 % Katholiken; die allermeisten sind konfessionsfrei. Sicher gibt es in dieser Initiative auch radikale Laizisten, die für eine vollständige Trennung von Staat und Religion stehen. Das ist nicht meine Position. Mir geht es um einen weltanschaulich neutralen Staat, der keine Religionsgemeinschaft bevorzugt oder benachteiligt. Wie genau diese Neutralität ausgestaltet ist, muss immer wieder aufs Neue Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung sein. Dabei müssen auch alte Traditionen auf den Prüfstand.

Meyer: Gehen Sie davon aus, dass die Debatte zu diesen Themen in der SPD heute unterentwickelt ist?

Schneider: Ja, und sie wird auch in der gesamten Gesellschaft kaum geführt. Deshalb finde ich es gut, diese Fragen aus heutiger Sicht grundsätzlich neu zu diskutieren.

Dagmar Mensink: Es ist aber ein Unterschied, ob man die Neubalancierung dieses historisch gewachsenen Staatskirchenrechts als Frage stellt oder wie der Arbeitskreis einen Forderungskatalog nach einem strikten Laizismus vorlegt.

Wolfgang Thierse: Deutlich gesprochen: Was diese Gruppe der Laizisten fordert, ist eine fundamentale Veränderung, erstens des Grundgesetzes; zweitens des Verhältnisses von Staat und Kirche mit dem Ziel, Religion und Kirche aus dem öffentlichen Raum zurück zu drängen, was de facto eine Forderung nach einer staatlich privilegierten säkularistischen Weltanschauung ist. All das habe ich in der DDR erlebt: kein Gottesbezug in der Verfassung, keine Kreuze in den Schulen, keine Eidesformel „So wahr mir Gott helfe“, kein Religionsunterricht als Pflichtfach, keine Kirchensteuer, keine Militärseelsorge, so der Forderungskatalog der Laizisten. Das alles ist im Grunde die Forderung nach einem Staat, der eine säkularistische Weltanschauung anstelle von Religion privilegiert. Es geht ihnen um weit mehr als ein faires Verhältnis zwischen unterschiedlichen Weltanschauungsgemeinschaften.

Meyer: Herr Schneider, fühlen Sie sich in dieser Interpretation mit Ihrer Initiative richtig verstanden?

Schneider: Zunächst: Es handelt sich nicht um „meine“ Initiative, sondern ich sympathisiere mit ihr. Nehmen wir nur mal die muslimischen Glaubensgemeinschaften in Deutschland: Für sie zieht der Staat keine Kirchensteuern ein. Muslimischen Religionsunterricht gibt es bisher nur an wenigen Schulen. Und sie verfügen über keine Wohlfahrtsverbände, deren soziale Dienstleistungen der Staat finanziert. Auf diese Herausforderungen gibt es keine einfachen Antworten, aber die SPD muss Klarheit gewinnen, für welches Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften sie künftig steht – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Sarrazin-Debatte und der wachsenden Angst vor dem Islam. Dabei geht es mir übrigens nicht darum, die kirchliche Arbeit zu diskreditieren. Im Gegenteil haben die Kirchen eine sehr wichtige, stark bindende Funktion.

Meyer: Eine gewisse Verwirrung scheint durch die Begriffswahl zu entstehen. Der Begriff des Laizismus wird in der Bundesrepublik verfassungsrechtlich nicht verwendet. Da ist vielmehr von der aktiven religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates die Rede. Der Staat soll mit allen religiösen und weltanschaulichen Verbänden in eine Interaktion treten, dabei aber alle gleich behandeln. Laizismus meint hingegen eine strikte Trennung von Religion und Staat wie in Portugal und Frankreich.

Thierse: Es gibt einen klaren Unterschied zwischen dem Begriff der säkularen Rechtsordnung und einem Staat säkularistischer Weltanschauung. Der Staat des Grundgesetzes ist weltanschauungsneutral auf der Basis einer säkularen Rechtsordnung, die die gleiche Freiheit für die weltanschaulichen Überzeugungen aller Bürger ermöglicht. Auf dieser Basis ist ein kooperatives Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften entstanden. Das muss weiterentwickelt werden, insofern neue Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zahlenmäßig zunehmen. Die bisher dominierende Stellung der beiden christlichen Kirchen wird relativiert. Die Einziehung der Kirchensteuer durch den Staat ist eine von den Kirchen bezahlte Dienstleistung des Staates in der Überzeugung, dass mit den Kirchensteuern auch Leistungen für die Gesellschaft erbracht werden. Der Staat unterstützt ja nicht nur die Kirchen in ihren sozialen Leistungen, sondern ein breites Spektrum sozialer Organisationen unterschiedlicher Weltanschauungsgemeinschaften. Da verhält sich der Staat neutral und vernünftig, weil er subsidiär handelt. Er bedient sich vernünftigerweise der freiwilligen Organisationen in der Gesellschaft unter der Voraussetzung, dass diese selber finanziell und durch menschliches Engagement wichtige Dienstleistungen erbringen. Damit ist der Sozialstaat der Bundesrepublik sehr gut gefahren.

Meyer: Herr Schneider, ich habe Sie so verstanden, dass im Hinblick auf all das die Soll-Vorstellung ganz in Ordnung ist, aber der Ist-Zustand sehr defizitär.

Schneider: Man muss das in Zukunft alles mehr öffnen und vor allem garantieren, dass solche sozialen Leistungen ausgeschrieben und dann dezentral vergeben werden. Und wenn wir Steuergelder für soziale Dienstleistungen ausgeben – Beispiel Kindergarten -, dann erwarte ich nicht nur, dass da eine gute Betreuung stattfindet, sondern dass die Einrichtung auch Mitgliedern aller Konfessionen wie Konfessionsfreien offen steht. In der Realität ist es aber nicht so.

Thierse: Es gibt doch keine Regelung, dass evangelische oder katholische Kindergärten nicht-evangelische oder nicht-katholische Kinder nicht aufnehmen dürfen – im Gegenteil. Sie sind inzwischen ökumenisch und pluralistisch.

Schneider: Meine Erfahrung ist da eine andere. Ein weiterer Punkt ist das Arbeitsrecht. Hier muss der Staat mehr Einfluss haben auf die Rolle der Kirche als Arbeitgeberin, etwa im Fall von Diakonie und Caritas. Beide haben immerhin fast eine Million Beschäftigte – mehr als die Automobilindustrie. Für Pfleger und Krankenschwestern in diesen Einrichtungen muss das ganz normale Arbeitsrecht gelten. Privilegierungen sind nicht gerechtfertigt.

Thierse: Man muss darüber diskutieren, in welchem Ausmaß es Einschränkungen des üblichen Arbeitsrechts in Tendenz-Betrieben geben kann. Das betrifft übrigens auch andere Tendenzunternehmen, etwa Parteien. Da teile ich die Position der Gewerkschaften, dass hier gleiches Arbeitsrecht hergestellt werden muss.

Mensink: Die Frage ist, ob das Selbstverständnis eines kirchlichen Arbeitsverhältnisses nicht aus theologischen Gründen anders gefasst werden darf als ein profanes Arbeitsverhältnis. Darf das nicht auch in dem Arbeitsrecht der Bundesrepublik Platz haben? Es bleibt dann immer noch die Frage zu klären, ob und wie Abweichungen z. B. im Mitbestimmungsrecht gerechtfertigt werden können, doch meine ich, dass es gute Gründe gibt, das Selbstverständnis der Kirchen auch in ihren Arbeitsorganisationen sehr ernst zu nehmen.

Schneider: Dem widerspreche ich. Wenn staatlich finanziert eine Dienstleistung erbracht wird, sei es in einem evangelischen oder katholischen Kindergarten oder Krankenhaus, dann hat das nichts mit dem Glaubensbekenntnis zu tun. Das sind öffentliche Dienstleistungen und wir haben ja ein Antidiskriminierungsgesetz. Da darf im Bewerbungsverfahren nicht, wie ich das in meinem Wahlkreis erlebt habe, die religiöse Zugehörigkeit ausschlaggebend sein. Sonderreglungen für Tendenzbetriebe kommen in Frage für die innere Verwaltung, wo es um die Kirche selbst geht. Aber bei den ausgelagerten Dienstleistungen, die wir im öffentlichen Interesse finanzieren, gilt des Prinzip der Gleichbehandlung

Meyer: Zurück zur Anfangsfrage. Herr Schneider, Ihr Ausgangspunkt war, dass sich die religiöse Zusammensetzung der Bevölkerung grundlegend verändert hat. Daher die Frage an Sie beide: Gibt es eine Zustimmung für die These, dass ein Bedarf besteht, das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften neu zu regeln, da sich die religiöse Zusammensetzung der deutschen Bevölkerung erheblich verändert hat, andere Religionen und Nicht-Religiöse in großem Umfang hinzugekommen sind? Braucht die SPD dafür ein neues Forum?

Thierse: Unsere säkulare Rechtsordnung mit ihrer Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist die geeignete Grundlage, mit diesen Veränderungen zu Rande zu kommen. Sie schließt positive und negative Religionsfreiheit ein, sich zu einer Religion zu bekennen oder nicht, die Religion bzw. weltanschauliche Überzeugung zu wechseln und sie schließt ausdrücklich auch ein, sich auch öffentlich sichtbar zu bekennen. Die Laizisten wollen Religion zurückdrängen in den privaten Raum. Das ist doch keine Antwort auf die veränderte weltanschauliche Zusammensetzung der Bevölkerung. Das ist eher die Wiederkehr des alten kämpferischen Atheismus, der uns seit 150 Jahren vertraut ist. Wir haben heute allerdings zu lernen, dass die Religions- und Weltanschauungsfreiheit für alle Weltanschauungsgemeinschaften gleichermaßen gilt und dass diese sich einfügen müssen in die säkulare Rechtsordnung.

Schneider: Diese Veränderungsprozesse werden weiter voranschreiten und enorme Schwierigkeiten mit sich bringen. Die SPD muss darüber diskutieren, welche Position sie dabei einnehmen will. Ich bin sicher, dass es eine heftige öffentliche Auseinandersetzung gäbe, wenn in meinem Wahlkreis Erfurt in der Innenstadt eine Moschee gebaut werden sollte. Wenn man das ernsthaft will – und ich bin da wirklich für weltanschauliche Neutralität des Staates -,dann muss die SPD auch darauf vorbereitet sein.

Thierse: Widerspruch. Die SPD ist darauf vorbereitet. Die Diskussion findet in all den Orten statt, in denen eine Moschee gebaut werden soll und da hat die SPD eine sehr vernünftige Einstellung vorgetragen – nämlich klaren Einsatz für Religionsfreiheit. In meinem Wahlkreis z. B. waren die Sozialdemokraten für den Bau einer Moschee in Pankow. Wir sind eine Partei, die aus unterschiedlichen weltanschaulichen Motivationen Übereinstimmung in ihren politischen Grundwerten gewinnt. Der Islam mit seinem Anspruch auf öffentliche Wahrnehmung ist jetzt eine Herausforderung für bequeme Gewohnheiten.

Meyer: Es gibt Einige in der SPD, die meinen, die neue Situation erzeuge einen neuen Diskussionsbedarf, und sie wollen dafür ein Forum einrichten. Sollte man ihnen das verwehren? Im Godesberger Programm steht die berühmte Formel des weltanschaulichen Pluralismus, dass die Grundwerte aus humanistischen, klassisch-philosophischen oder christlichen Motiven vertreten werden. Dort steht auch ein Bekenntnis zur öffentlichen Rolle der Kirchen. Von den genannten Motivationsgruppen sind nur die Christen in der Partei besonders organisiert. Kann das nicht auch für die anderen Motivationsgruppen im Rahmen des Programms gelten?

Thierse: Ich habe selbstverständlich nichts dagegen, dass in unserer Partei über Grundfragen weltanschaulicher Natur und aus unterschiedlicher Motivation diskutiert wird. Aber diese Laizistengruppe ist mit Forderungen aufgetreten, die auf eine Veränderung der Verfassung, des Verhältnisses Staat-Kirche und der Programmatik der SPD zielen. Sie wollen einen Staat säkularistischer Weltanschauung und die Kirche aus dem öffentlichen Raum zurückdrängen. Aber Arbeitsgemeinschaften und -kreise sind in unserer Partei dann willkommen, wenn sie im Sinne der Ziele der gesamten Partei tätig werden und nicht solche, die bestimmte Positionen gegen das Parteiprogramm durchsetzen wollen.

73 % der SPD-Mitglieder gehören heute einer Religionsgemeinschaft an, mehr als im Bevölkerungsdurchschnitt. Das ist auch gut erklärlich, weil der christliche Glaube eine starke Motivationsquelle ist für soziales und politisches Engagement. Wenn diese Motivation abgeschnitten wird, dann schwächt das die Partei erheblich.

Schneider: Das sehe ich anders. Es wäre nicht gut, die Diskussion abzuwürgen. Ich fände es sinnvoll, dieses Jahr zu nutzen, um das Thema grundsätzlich zu diskutieren, bevor man überlegt, einen neuen Arbeitskreis in der SPD dafür einzurichten. Die ablehnende Reaktion des Parteivorstandes war eher kontraproduktiv, weil sich die Mitglieder dieser Laizisten-Initiative jetzt als Märtyrer fühlen können, deren Diskussionsangebot unterdrückt werden soll. Es muss in der SPD die Möglichkeit geben, auch solche Positionen zu vertreten, die aus der Tradition von Aufklärung und des Humanismus kommen. Genauso, wie es die anderen Positionen gibt. Ich verstehe die Argumente ja, die hier vorgetragen werden. Deswegen muss das Ganze ein offener Prozess sein. Es ist wichtig, dass es auch in der SPD immer Leute gibt, die die bestehende Balance zwischen Staat und Religion hinterfragen. Mich stört es beispielsweise, wenn der katholische oder der evangelische Bischof ein öffentliches Gebäude einsegnen. Eigentlich ist das doch eine Sache des Staates, mit der die Kirche wenig zu tun.

Meyer: Wolfgang Thierse sagt, diese Laizisten-Initiative passt nicht in die SPD, weil viele ihrer Forderungen dem Parteiprogramm widersprechen. Wenn sie sich aber als eine Motivationsgruppe versteht, die sich auf humanistisch-aufklärerischer Grundlage an der Debatte über sozialdemokratische Politik in diesem Handlungsbereich beteiligt, dann wäre das ja etwas anderes, oder?

Mensink: Dann wäre es auch eine Analogie zum Arbeitskreis Christinnen und Christen in der SPD. Bis jetzt aber liegt nur ein Forderungskatalog vor, der eine strikte Trennung nicht nur zwischen Staat und Religionsgemeinschaft, sondern auch zwischen Öffentlichkeit und Religion fordert. Das entspricht nicht dem SPD-Programm und ist aus meiner Sicht auch keine adäquate Antwort auf die neuen Herausforderungen. Die Frage heute ist, wie wir die verschiedenen Religionsgemeinschaften gleichermaßen an den Möglichkeiten beteiligen können, die das Grundgesetz vorsieht, und nicht, wie wir die Religion in öffentlichen Räumen möglichst beschränken.

Meyer: Ist es sinnvoll, unabhängig von den konkreten Forderungen dieser Laizisten-Gruppe, den Gedanken eines Forums für säkulare Humanisten in der SPD weiter zu verfolgen?

Schneider: Man muss diesen Sozialdemokraten auf alle Fälle das Gefühl geben, dass sie in der SPD willkommen sind, dass sie das Wort ergreifen können und ernst genommen werden mit ihren Anliegen. Das finde ich schon aus der aufklärerischen Tradition der SPD heraus zwingend notwendig. Die neuen Fragen, die sie stellen, dürfen nicht einfach weggewischt werden.

Thierse: Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen dieser Gruppe und dem Arbeitskreis Christinnen und Christen in der SPD. Dieser Arbeitskreis ist ein Diskussionskreis, der über ethische Begründungen für sozialdemokratische Politik debattiert. Zum Beispiel, welche Neubegründungen wir für Solidarität brauchen in einer pluralen Konkurrenzgesellschaft, wo Solidarität nicht mehr selbstverständlich ist. Die Gruppe der Laizisten hingegen will die SPD und das Grundgesetz verändern und das Verhältnis von Staat und Weltanschauungsgemeinschaften im Lande. Sie wollen die SPD ins 19. Jahrhundert zurückführen Es macht keinen positiven Sinn für die SPD, hinter Godesberg zurückzufallen.

Würden sich die Laizisten mit ihren Forderungen in der Partei durchsetzen, dann wäre die SPD keine Volkspartei mehr!

Schneider: Als Volkspartei müssen wir doch bestimmte Punkte, die die Bevölkerung bewegen, aufgreifen und, wo es sinnvoll ist, Veränderungen anstreben. Etwa beim Religionsunterricht, der immer noch ein versetzungsrelevantes Pflichtfach ist. Auch grundgesetzlich geschützte Traditionen dürfen hinterfragt werden! Aus meiner Sicht brauchen wir eher einen gemeinsamen Unterricht aller Schüler in den weltanschaulichen Grundlagen unserer Kultur – wie in Brandenburg oder Berlin. Optional können die Schüler dann Religionsunterricht wählen.

Wichtig ist auch die Frage der staatlichen Finanzierung: Viele Leute wissen gar nicht, dass wir den Kirchen jährlich zur Selbstwirtschaftung staatliche Mittel in Höhe von mehreren Hundert Millionen Euro zur Verfügung stellen, quasi ohne Verwendungsnachweise zu verlangen. Das sind immer noch Entschädigungen für ehemaligen Kirchenbesitz, der vor mehr als 200 Jahren in Staatsvermögen überging. So etwas muss doch auch mal ein Ende haben können.

Thierse: Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach, aber freiwillig, das gehört zur Religionsfreiheit. Den Religionsunterricht zu ersetzen durch einen staatlich verfügten Weltanschauungsunterricht halte ich für eine Parteinahme des Staates für säkularistische Weltanschauung. Das kennen wir aus der DDR. Der Staat hat sich an dieser Stelle zurückzuhalten. Bei der staatlichen Finanzierung der Kirchen muss man wissen, dass sie der Ersatz für die früher aus Landbesitz erzielten Beträge sind, die durch die Säkularisierungsenteignungen verloren gegangen sind. Aber über dieses sehr spezielle Thema und über weitere konkrete Fragen wäre gesondert zu reden.

 

Carsten Schneider ist haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Er unterstützt die Idee, einen Arbeitskreis „LaizistInnen in der SPD“ zu gründen.

Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestages, ist u. a. einer der Sprecher des Arbeitskreises „Christinnen und Christen in der SPD“.

Alexander Del Regno: Die Grünen stellen in Baden-Württemberg den Chef einer grün-roten Regierung und stehen auch in den neuesten Umfragen vor der SPD. Wie gehen Sie damit um?

Carsten Schneider: Wir sehen diese Entwicklung natürlich nicht ohne Sorge. Zwar sind die Grünen auf Bundesebene und in den meisten Ländern unsere bevorzugten Koalitionspartner, aber sie sind auch unsere Konkurrenten. Wir müssen also einfach besser werden.

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Der ehemals jüngste Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider über die neue FDP-Spitze

Felix Voigt: Mit Philipp Rösler wird jetzt voraussichtlich ein 38-Jähriger an die Spitze der FDP rücken. Kommt ein solches Amt zu früh für ihn?

Carsten Schneider: Es ist ja mehr der Not geschuldet, als dass Westerwelle in der Regierungspolitik gescheitert ist. Es ist doch ein Witz, das Westerwelle einen Generationenwechsel ankündigt, und selbst erst 49 ist. Eigentlich geht es darum, dass er die Partei nicht mehr im Griff hat und jetzt auf einen zurückgreifen will, der Kabinettsrang hat ? aber alle außer Rösler nicht für einen Neuanfang stehen. Von daher hat diese Wahl eher mit der beschränkten Auswahl zu tun.

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Der SPD-Haushaltspolitiker Carsten Schneider hat die Sorge geäußert, dass das Erfolgsmodell der EU an wirtschaftlichen Fragen zerbrechen könnte. Deshalb stimmten die Sozialdemokraten den Hilfen für Irland zu. Klug wäre es auch gewesen, wenn Portugal bereits den finanziellen Rettungsschirm der EU in Anspruch genommen hätte.

Friedbert Meurer: Im Deutschen Bundestag haben gestern Abend alle Fraktionen des Parlaments im Haushaltsausschuss dem Plan ihre Zustimmung erteilt. Der Republik Irland sollen mit Unterstützung Deutschlands insgesamt 85 Milliarden Euro an Krediten angeboten werden, um die Insel aus ihrer Schuldenkrise herauszuholen. Umfragen zufolge ist im Land die Stimmung allerdings ganz anders verteilt als im Bundestag. Viele Deutsche glauben, wir würden hier als Zahlmeister missbraucht. Das Argument der Politik und der Experten dagegen lautet, es geht um den Euro und von dem profitiere doch gerade Export-Europameister Deutschland.

Mitglied im Haushaltsausschuss ist für die SPD als haushaltspolitischer Sprecher Carsten Schneider, und mit ihm sind wir jetzt in Berlin verbunden. Guten Tag, Herr Schneider.

Carsten Schneider: Hallo, Herr Meurer.

Meurer: Wenn Sie als Abgeordneter in Ihrem Wahlkreis in Erfurt die Frage beantworten sollen, warum stimmt ihr für so viel Geld für Irland, was sagen Sie dann?

Schneider: Ja, weil wir in der gesamten Euro-Zone eine sehr schwierige Situation haben mit den Refinanzierungen der Staaten, der Schuldenfinanzierung, und die Frage steht, ob die Euro-Zone und die Mitgliedsstaaten, also Irland, Griechenland, dauerhaft noch ohne unsere Bürgschaften in der Lage sind, am leben zu bleiben. Wenn das nicht der Fall sein sollte, bedeutet das ein Ausstieg aus der Europäischen Union, und ich habe die Sorge, dass dieses Erfolgsmodell, dieses vor allen Dingen friedliche Erfolgsmodell an dieser wirtschaftlichen Frage zerbrechen könnte mit auch ungeahnten Folgen für unsere Ökonomie, und deswegen stimmen wir den Hilfen, den Krediten für Irland zu.

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Carsten Schneider, SPD-Haushaltsexperte, wirft der Regierung vor, bei der Etatplanung 2011 getäuscht und getrickst zu haben.

Das Parlament: Herr Schneider, der Bundestag hat am vergangenen Freitag den Haushalt 2011 verabschiedet. Es ist bei den parlamentarischen Beratungen gelungen, die Neuverschuldung von 57,5 Milliarden Euro auf 48,4 Milliarden Euro zu senken. Ist das nicht ein schöner Erfolg?

Carsten Schneider: Es ist zumindest ein Erfolg der Bevölkerung Deutschlands, die dafür gesorgt hat, dass in den letzten Jahren keine Panik ausgebrochen ist. Auch die Konjunkturprogramme der Großen Koalition zeigen jetzt ihre Wirkung. Es ist jedoch auch klar, dass die jetzige Regierung an diesen Erfolgen nur einen geringen Anteil hat. Der Rückgang der Neuverschuldung berücksichtigt diese konjunkturellen Verbesserungen nicht. Es werden also mehr Schulden als nötig gemacht.

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