Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Solms, Sie haben eben darauf rekurriert, dass man, wenn man Fehler gemacht hat, sie auch korrigieren muss. Das ist grundsätzlich richtig. Mit dem jetzigen Programm für Griechenland korrigieren Sie einen Fehler, nämlich den, eine Beteiligung privater Gläubiger an der Sanierung Griechenlands auszuschließen, wie das bisher der Fall war. Auch das ist ein Grund, weshalb wir dieses Mal zustimmen werden.

(Beifall bei der SPD)

Peer Steinbrück hat es schon gesagt: Wir haben von Beginn an gefordert, dass der Finanzsektor einen maßgeblichen Beitrag für die Sanierung und die Wiederherstellung der Ordnung der öffentlichen Finanzen in Europa leisten muss. Ich kann hinsichtlich der Finanztransaktionssteuer nur unterstreichen: Sie ist notwendig. Sie wehren sich aber dagegen, dass auch diejenigen einen Teil der Last tragen müssen, die in den vergangenen Jahren profitiert haben.

(Beifall bei der SPD)

Die Beteiligung des Privatsektors haben wir als Sozialdemokraten als einen von zwei Marksteinen von Anfang an gefordert. Diejenigen, die über Jahre hinweg hohe Zinsen erhalten haben, müssen auch an der Sanierung beteiligt werden. Das passiert jetzt. Das ist der erste richtige Schritt.

Über den zweiten Schritt, der aufgrund der Analyse hinzukommen müsste, können Sie heute im Handelsblatt etwas nachlesen. Ihr Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung empfiehlt Ihnen, auch das Thema Wachstum noch viel mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Man muss ganz klar sagen: Hier gibt es eine große Lücke. Nichts aus dem bisher bestehenden Programm hilft, Wachstum oder Stabilität in Griechenland, geschweige denn in Europa, zu generieren.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben hier 2004, 2005, 2006 gezeigt, dass man auch mit aktivierender – Herr Brüderle, Sie haben das vorhin „keynesianisch“ genannt –

(Otto Fricke (FDP): Linkskeynesianisch!)

– „Linkskeynesianisch“! Nennen Sie es, wie Sie wollen. – Heute profitieren Sie durch die guten Arbeitsmarktzahlen davon, dass wir das damals gemacht haben.

(Beifall bei der SPD – Rainer Brüderle (FDP): Hartz IV!)

Mit dem neuen Griechenlandprogramm, das mit einem Volumen von 154 Milliarden Euro – das Haftungsvolumen Deutschlands beträgt 44,4 Milliarden Euro – auf zwei Jahre angelegt ist, ist klar, dass Griechenland mindestens in den nächsten zwei Jahren vom Kapitalmarkt weg sein wird. Das heißt, Private werden sich an der Finanzierung nicht mehr beteiligen.

Ich finde, es gehört zur Ehrlichkeit dazu, zu sagen – Peer Steinbrück hat das vorhin zu Beginn der Analyse gesagt – dass es auch nach zwei Jahren nicht anders sein wird. Es wird uns etwas kosten, Griechenland dauerhaft im Euro und in der Europäischen Union zu halten, aber das ist es uns wert, weil uns der Erhalt der Europäischen Union und vor allen Dingen auch der europäischen Währung das wert sein müssen. Alle anderen Alternativen, die es gibt, sind deutlich teurer.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das hat vor allem damit zu tun, dass Sie sich in der Koalition in den letzten zwei Jahren nie sicher waren, was eigentlich das Problem ist, was man dagegen tun kann, wie man es dem Volke sagen kann und ob Sie es sich überhaupt trauen. Bisher gab es nur einen einzigen vernünftigen Krisenhelfer, und das war die Europäische Zentralbank. Sie hat Ende vergangenen Jahres mit den 500 Milliarden Euro den Banken noch ein Aspirin gegeben und wird das in dieser Woche erneut tun, indem sie den Banken unbegrenzte Liquidität gewährt. Das hilft aber nur kurzfristig, nicht dauerhaft.

Deswegen ist die Lösung Griechenlands für den Finanzsektor, aber auch zugunsten des Vertrauens in die politische Handlungsfähigkeit der Europäischen Union – denn darum geht es -, sich nicht von den Märkten diktieren zu lassen, ob wir eine Staatengemeinschaft mit einer gemeinsamen Vorstellung von Recht und Ordnung, von Freiheit, Sicherheit, Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit sind oder nicht. Deswegen brauchen wir stabile Mechanismen, die uns in manchen Punkten von den Märkten unabhängig machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die heutige Debatte ist ein Zwischenspiel für das, was im März mit einer Ausweitung des dauerhaften europäischen Stabilitätsmechanismus noch kommen wird.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege.

Carsten Schneider:

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Aber ich glaube, dass das vor der Abstimmung für die Kollegen von Bedeutung ist.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das gilt aber für andere Redner natürlich meistens auch.

Carsten Schneider:

Natürlich. – Es ist nur ein erster Schritt, und Sie werden auch an dieser Stelle wieder eingeholt werden und wenn nicht einer Ausweitung, dann zumindest einer Parallelität der beiden Fonds, die wir derzeit haben, zustimmen. Denn das hat auch das G20-Treffen vom Wochenende gezeigt: Wir können von anderen Ländern keine Solidarität erwarten, wenn wir nicht selbst bereit sind, sie zu gewähren. Wir von der SPD sind dazu bereit.

(Beifall bei der SPD)

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Gesetz ist ein weiterer Beleg für die Gültigkeit des Merkel’schen Gesetzes: Was vorher heftig dementiert und ausgeschlossen wird, wird später umso deutlicher und schneller Realität.

(Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Das ist Unsinn!)

Genau das ist hier der Fall.

(Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Das wird leider durch Wiederholungen nicht richtiger!)

Sie haben zu Beginn dieser Koalition –  ich habe mir den Koalitionsvertrag noch einmal angesehen -, nachdem Sie das Restrukturierungsgesetz, auf das Kollege Barthle hingewiesen hat, durch den Bundestag gebracht haben, ausgeschlossen, dass jemals wieder die Notwendigkeit bestünde, dass ein Gesetz wie das Soffin-Gesetz, das der Bankenrettung dienen soll, das Licht der Welt erblickt. Aber jetzt legen sie ein Gesetz vor, das Sie selbst „Soffin-II-Gesetz“ nennen.

Herr Minister Schäuble, ich habe Sie im Haushaltsausschuss des Bundestages im November/Dezember 2010 mehrfach gefragt, ob es sinnvoll und klug ist, das Soffin-Gesetz auslaufen zu lassen, sich die Möglichkeit zu nehmen, mit Kapital, aber auch mit Garantien zur Stabilisierung des Finanzmarkts beizutragen. Sie haben stets geantwortet: Das brauchen wir nicht mehr. Wir haben das Restrukturierungsgesetz. Wir haben das geregelt.  Jetzt sehen wir: Genau dieses Gesetz – es gibt nur ein paar Änderungen; Kollege Barthle hat das erläutert –  wird dem Deutschen Bundestag wieder vorgelegt. Das ist wieder eine 180-Grad-Wende in Ihrer Politik. Erst haben Sie die ökonomische Einschätzung des IWF, von Teilen der SPD und anderen, dass dieses Gesetz notwendig ist, für absurd erklärt. Sie haben gesagt, dass Sie das nicht brauchen. Heute brauchen Sie es aber doch.

(Beifall bei der SPD)

Worum geht es? Wieder werden 400 Milliarden Euro an Garantien zur Verfügung stehen, für die der Bund und damit der deutsche Steuerzahler geradesteht. Das ist nicht ohne Risiko. Banken können Garantien bekommen, um Anleihen zu platzieren. Wir als SPD sehen die grundsätzliche Notwendigkeit für ein solches Gesetz. Allerdings sind wir bei einzelnen Maßnahmen anderer Meinung. Das betrifft zum Beispiel die Frage: Wer zahlt eigentlich die Zeche, wenn es zu einem Ausfall kommt? Sie sagen – das werden Sie heute beschließen – : Die Zeche zahlt die Allgemeinheit, die zahlt der Steuerzahler. Das halten wir für nicht vertretbar.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hier sehe ich eine große Einigkeit mit der Bundeskanzlerin. Sie ist heute nicht anwesend. Abstimmen wird sie wahrscheinlich auch nicht. Am Mittwoch, dem 15. September 2010, hat sie im Rahmen ihrer Rede zum Haushalt 2011 gesagt – es ging da um den Bankenrestrukturierungsfonds; ich zitiere:

Es ist vollkommen klar: Je risikobehafteter das Kapital ist und die Geschäfte sind, umso mehr Abgabe – Bankenabgabe – muss gezahlt werden, damit in Zukunft nicht mehr der Steuerzahler für solche Krisen eintreten muss, sondern die Banken das selber tun müssen.

Das hat die Bundeskanzlerin vor anderthalb Jahren gesagt.

Was ist heute? Was wird mit diesem Gesetzentwurf vorgeschlagen? Kommt es durch Ausfälle –  ich halte das für nicht ganz so unwahrscheinlich wie Kollege Barthle –  zu einer Inanspruchnahme des Bundes, dann zahlt der deutsche Steuerzahler, die Allgemeinheit, und es zahlen eben nicht die Banken und der Finanzsektor. Das ist der entscheidende Grund, warum wir als SPD diesem Entwurf so nicht zustimmen werden.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das heißt nicht: Wir entziehen uns der Verantwortung. Wir sagen: Wir brauchen das. Wir werden auch nicht populistisch sagen: Jetzt gibt es wieder Geld für die Banken und für die anderen nicht.

(Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Das ist verantwortungslos, was Sie da machen, Schneider!)

Ich sage nur: Der Sektor muss diese Kosten im Zweifel selbst tragen –  durch eine Besteuerung oder eine Veränderung der Bankenabgabe -; denn diese Kosten entstehen. Wir sehen das bereits bei dem bestehenden Soffin-I-Gesetz. Durch die damals notwendig gewordene Enteignung und Abwicklung eines Teils der Hypo Real Estate wird es zu hohen Verlusten kommen. Schätzungen liegen vor; das genaue Ergebnis werden wir kennen, wenn das Portfolio nicht mehr besteht.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Warten wir einmal ab, Herr Kollege!)

Herr Minister Schäuble, man hat den Eindruck, dass bei Ihnen außer Europa nichts mehr stattfindet. Sie sind immer noch Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland. Es geht um die Zukunft des Finanzmarktes in Deutschland. Was Sie diesbezüglich in den vergangenen zwei Jahren auf den Weg gebracht haben, ist fast nichts. Dabei geht es um die Struktur des Bankensystems in Deutschland. Nehmen Sie das Beispiel Landesbanken: Im September 2010 haben Sie zu einem Gipfel eingeladen. Ziel war es, das Problem zu lösen. Was war das Ergebnis? Es gab keins. Die Bundesregierung hat die Segel gestrichen. Der Bund hat 2 Milliarden Euro zusätzlich bei der WestLB investiert und höchstwahrscheinlich verloren. Das war Ihre Entscheidung. An der Struktur des Landesbankensystems – hier brauchten wir wirklich Reformen, sowohl hinsichtlich der Anzahl als auch hinsichtlich des Bilanzvolumens – gibt es aber keine Veränderungen.

Nehmen Sie als zweites Beispiel die Einlagensicherung. Es gibt ein Einlagensicherungssystem der privaten Banken, eines der Genossenschaftsbanken und eines der Sparkassen. Ich persönlich habe ernsthafte Zweifel an der Notwendigkeit von drei verschiedenen Systemen und an der Leistungsfähigkeit der Systeme. Was haben Sie diesbezüglich in den letzten anderthalb, zwei Jahren auf den Weg gebracht? Nichts, gar nichts! Auch an dieser Stelle: Versagen.

Jetzt komme ich zu den Eigentumsverhältnissen. Nehmen wir die Hypo Real Estate als Beispiel. Ich will gar nicht auf den Buchungsfehler von 55 Milliarden Euro eingehen –  das war ja nur eine „Kleinigkeit“, die da durchgegangen ist -, sondern auf die Frage: Was passiert eigentlich mit dem Rest der Hypo Real Estate? Ist es wirklich notwendig, dass Sie als bürgerliche, marktwirtschaftlich  – das gilt vor allem für die FDP –  orientierte Koalition versuchen, die Deutsche Pfandbriefbank, die Sie nebenbei abgespalten haben  – sie ist zu 100 Prozent staatliches Eigentum -, zu finanzieren, obwohl es für deren Geschäftsmodell nur einen sehr schwierigen Markt gibt? Die Expertenkommission von Professor Zimmer, die Sie per Koalitionsvertrag und Bundesregierungsbeschluss einberufen haben, hat Ihnen empfohlen, diese Bank abzuwickeln, sie vom Markt zu nehmen. Das wäre für den Finanzplatz Deutschland eine wichtige strukturelle Entscheidung gewesen. Was machen Sie? Mit Staatsgeld, mit Staatsgarantien halten Sie diese Bank am Leben; dies birgt ein hohes Risiko, dass zukünftig wieder Verluste entstehen. Da kann ich keine Ordnungspolitik erkennen, im Gegenteil. Deswegen meine ich, dass Sie auch an dieser Stelle im Finanzsektor in Deutschland versagt haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich könnte diese Liste noch weiterführen. Ich will jetzt aber erläutern, was wir als SPD-Fraktion an diesem Gesetzentwurf kritisieren; wir haben –  in Teilen gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen –  entsprechende Änderungsanträge im Ausschuss eingebracht.

Die erste Frage, die Frage der Kosten, habe ich schon genannt.

Die zweite Frage ist: Freiwillige Eigenkapitalzuführung oder notfalls durch Zwang? Die Amerikaner und die Briten haben gute Erfahrungen damit gemacht, dass sie im Rahmen der Finanzkrise gesagt haben – es war vor allem der damalige Finanzminister Paulson – : Wenn ihr in Schwierigkeiten seid und zusätzliches Eigenkapital braucht, um Verluste auszugleichen und Vertrauen wiederzugewinnen, dann ist es notwendig, das schnell und zügig zu erledigen.

Sie legen jetzt eine rein freiwillige Lösung vor. Es gab ja den Referentenentwurf. In der Phase konnten die Banken bzw. die Vorstände sozusagen überlegen, ob man staatliche Hilfe haben möchte oder nicht. Ich zitiere nur Herrn Blessing, den Chef der Commerzbank, der sagte: Da gehe ich nie wieder hin. – Die wollen das also nicht. Diese Einzelinteressen mögen nachvollziehbar sein; im Interesse des öffentlichen Gutes „Finanzmarktstabilität und öffentliche Finanzen“ ist das aber nicht. Deswegen ist ein staatliches Eingriffsrecht an dieser Stelle unumgänglich. Sie selbst hatten im Referentenentwurf eine bessere Möglichkeit vorgesehen. Herr Minister Schäuble, ich kann die Veränderung des Entwurfs nur so interpretieren, dass Sie sich gegenüber der FDP nicht durchsetzen konnten; aber es ist ein großer Fehler, sich auf die Freiwilligkeit und die Einsicht der Bankvorstände zu verlassen. Das haben die vergangenen drei Jahre gezeigt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die dritte Frage lautet: Wie beteiligen wir uns an Banken? Niemand hier will Staatsbank spielen, im Gegenteil: Wir haben immer deutlich gemacht, dass man sich so schnell wie möglich lösen sollte, zum Beispiel von der Deutschen Pfandbriefbank, und dort als Staat dauerhaft kein Kapital halten sollte. Wenn es aber notwendig ist, dass wir uns beteiligen, dann, so meine ich, muss es zwingend so sein, dass wir auch das Sagen haben. Das ist ebenfalls eine Lehre aus den vergangenen drei Jahren. Das Sagen zu haben, bedeutet, sich tatsächlich Aktienkapital und Mitspracherechte zu sichern und in Teilen auf die Geschäftspolitik Einfluss zu nehmen; denn es ist unser Geld, das Geld des Steuerzahlers, das hier investiert wird. In diesem Sinne muss klar sein, dass wir als Bundestag dann auch die Rechte haben, zu kontrollieren und Einfluss zu nehmen. Das steht für uns an erster Stelle. Sie sehen das nur als Möglichkeit im Gesetzentwurf vor. Diese Möglichkeit kann so oder so genutzt werden. Das ist uns eindeutig zu wenig. Ganz klar: Wenn man sich beteiligt, dann muss man auch Aktienkapital halten!

Der vierte Punkt findet sich auch in einem unserer Änderungsanträge wieder. Wir sind der Auffassung: Wenn eine Bank Stabilisierungsmaßnahmen erhält, darf es keine Boni und keine Dividendenausschüttung geben. Solange die Bank vom Staat gestützt wird, muss klar sein, dass Gewinne nicht an Mitarbeiter und Aktionäre ausgezahlt, sondern dazu verwendet werden, das Eigenkapital zu stärken, sodass wir als Staat nicht mehr das Risiko tragen. Es kann nicht sein, dass der Staat für die Risiken geradesteht und das private Kapital die Gewinne mitnimmt.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist nicht soziale Marktwirtschaft, wie wir sie uns vorstellen.

Der fünfte Punkt: die Befristung des Gesetzes. Sie befristen das Gesetz bis zum 31. Dezember 2012; es wird also letztendlich in der praktischen Anwendung etwa ein Dreivierteljahr gelten. Wir haben – das ist ein gutes Beispiel, wie man Europapolitik nicht machen sollte – durch die Stresstests der europäischen Bankenaufsicht mehr Verunsicherung geschaffen als Sicherheit.

Herr Minister Schäuble, Sie gehören der EBA ja nicht an. Aber Sie haben als Finanzminister mit den Beschluss gefasst, dass ein Stresstest durchgeführt werden soll, und nach dem Beschluss, dass er durchgeführt werden soll, zugelassen, dass sechs bis acht Wochen lang hin und her überlegt und hoch und runter über die Frage diskutiert wurde: Was ist hartes Eigenkapital und was nicht? Die Anforderungen wurden permanent verändert. Staatsanleihen wurden „gestresst“ – das heißt, sie müssen näher am Marktwert bilanziert werden -, was dazu führt, dass jetzt keiner mehr Staatsanleihen kauft. Deswegen: Ein Grund dafür, dass sich Europa jetzt in einer Krise befindet, besteht darin, dass Sie diesen verkorksten Stresstest zugelassen haben. Sie hätten ihn verhindern müssen.

(Beifall bei der SPD)

Der Stresstest hatte zur Folge, dass Staatsanleihen als unsicher gelten. Sie befördern das sogar durch die Aufsicht, indem festgelegt wurde, dass sie derzeit zum Marktpreis zu bilanzieren sind. Das führt dazu, dass jetzt keine Staatsanleihen mehr gekauft werden. Die Nullgewichtung, die wir bisher hatten, wurde ad absurdum geführt. Sie selbst haben einen Katalysator geschaffen, der bewirkt, dass die Verunsicherung an den Märkten größer wird.

Deswegen, meine Damen und Herren: Wir stimmen diesem Gesetzentwurf so nicht zu, weil er unvollkommen ist, weil er die Rechte des Parlaments und des deutschen Steuerzahlers nicht ausreichend würdigt und weil Sie der FDP an dieser Stelle viel zu weit entgegengekommen sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD –  Norbert Barthle (CDU/CSU): Aha! Aber zu einem eigenen Gesetzentwurf kein einziges vernünftiges Argument! Das ist interessant!)

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Abschluss der Haushaltsdebatte, die ja die zentrale Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition ist, kann man nur sagen: So leicht hat es eine Regierung einer Opposition noch nie gemacht, die Fehler, die sie begangen hat, offenzulegen.

(Beifall bei der SPD – Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Und daran ist die Opposition gescheitert!)

Sehr geehrter Herr Meister, bei der zentralen Frage der Haushaltskonsolidierung, die Europa derzeit beschäftigt: Wie finanziert sich ein Staat, wie kann er überleben, wie geht er mit seinen Finanzen um?, beansprucht die Regierung für sich Führung in Europa.

Was leisten Sie in Deutschland 2011, in diesem Jahr? Rekordsteuereinnahmen, Rekordwachstum, 22 Milliarden Euro neue Schulden.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Da steht auch Leistung dahinter!)

Nächstes Jahr, 2012 – darüber stimmen wir heute ab -!: noch mehr Wachstum, noch mehr Steuereinnahmen, noch mehr Schulden! Das ist das Dokument des Versagens Ihrer Regierung.

(Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Falsch! Falsch!)

– Sie sagen: falsch. Dann müssen Sie mir das erklären.

Wir schließen das Haushaltsjahr 2011 ab mit 22 Milliarden Euro Schulden. Jetzt legen Sie uns einen Haushaltsplan für das nächste Jahr mit einer Kreditermächtigung von 26 Milliarden Euro Schulden vor. Ich kann es gerne als Grafik aufmalen: 22 Milliarden Euro, 26 Milliarden Euro; mir scheint es so, als sei das Letzte mehr.

Allerdings: Man kann nie sicher sein, angesichts der Rechenkünste im Finanzministerium – ich denke nur an 55 Milliarden Euro, die einfach einmal spurlos verschwinden und dann wieder auftauchen -, ob dies bei Ihnen tatsächlich bekannt ist. Sie scheinen von der Realität wirklich nicht überzeugt zu sein. Sie machen im nächsten Jahr trotz dessen, dass wir in Deutschland die besten Wachstumsaussichten und die höchsten Steuereinnahmen überhaupt hatten, neue Schulden in Höhe von 26 Milliarden Euro.

(Christian Lange (Backnang) (SPD): Riesensauerei ist das!)

Das sind 20 Prozent mehr. Das ist ein Skandal!

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen Vertrauen und Zuverlässigkeit in die öffentlichen Finanzen. Von Deutschland geht das gegenteilige Signal aus. Sie haben noch den kruden Versuch unternommen, das Ganze als „wachstumsfreundliche Konsolidierung“ zu erklären. Ich weiß nicht genau, was Sie damit meinen. Wollen Sie damit begründen, dass Sie mehr Schulden machen müssten, damit die Wirtschaft wächst? Das schien teilweise so in Ihrer Argumentation.

Es gibt ja rechte Ökonomen und linke Denkschulen. In einem aber stimmen alle überein: Wenn es spitze läuft, wenn die Konjunktur auf dem Höhepunkt ist, dann müssen Sie sparen, damit Sie dann, wenn es schlechter läuft, wieder investieren können.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Bei Ihnen läuft es immer schlecht! Das ist das Problem!)

Sie drehen diesen Grundsatz um. Es läuft spitze, Deutschland steht gut da, die Menschen sind fleißig, die Steuereinnahmen sind gut, und Sie erhöhen die Schulden. Das ist verantwortungslos.

(Beifall bei der SPD)

Man kann viel über Märkte sagen. Teilweise handeln sie irrational; das erkennt man in Europa derzeit bei Italien und Spanien. Am Mittwoch jedoch gab es ein Signal von den Märkten: Das erste Mal seit der Euro-Einführung konnte eine Bundesanleihe, also das, was wir für die Schulden begeben, nur zu 60 Prozent platziert werden, wir haben also nur für 60 Prozent Kreditgeber gefunden. Das war nicht nur ein Donnerschlag, sondern das war das Urteil des Marktes über Ihre verheerende Finanzpolitik. So ist es auch in allen Zeitungen kommentiert worden.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt da ja diese Kreditausfallversicherungen. Die sind ein guter Seismograph dafür, dass jemand, der uns Geld gibt, auch Vertrauen hat, dass er das Geld zurückbekommt.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Welche Interessen vertreten Sie?)

Dann kauft er Kreditausfallversicherungen. Haben Sie sich, Herr Kollege Michelbach, einmal die Kursentwicklung dazu angesehen?

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Ja, ja!)

Ich habe das gerade noch einmal getan. „FAZ“ heutiger Tag, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“: Das Volumen dessen, was bisher ausgegeben wurde, ist seit Juli um 40 Prozent gestiegen. Das heißt, die Leute sichern sich mehr ab, weil sie Sorge um die Finanzen in Deutschland haben. Der Preis, meine Damen und Herren, hat sich binnen vier Monaten verdreifacht – verdreifacht! Das ist ein ganz klares Zeugnis für Ihre verfehlte Finanzpolitik, mit der Sie Deutschland letztlich in die Sackgasse führen.

(Beifall bei der SPD – Christian Lindner (FDP): Deswegen sind auch unsere Zinsen so gesunken!)

Wissen Sie, Sie erzählen, Sie wollen sparen. Sie tun das Gegenteil. Außer bei einem einzigen Etat. Das ist der für Arbeit und Soziales. Da, wo es um die Schwächsten geht, da sparen Sie – das gestehe ich Ihnen zu -, bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik, wo es um Bildung geht, wo es um Existenzgründungen geht, beim Existenzgründungszuschuss.

(Zuruf von der FDP: Da spart doch niemand!)

Wir sind für Selbständigkeit von Menschen, dafür, ihnen Chancen zu geben. Da sparen Sie.

(Beifall bei der SPD – Klaus Barthel (SPD): 11 Prozent mehr!)

Bei allen anderen Haushalten gibt es mehr Geld.

Ich habe mich gefragt, als ich die Zahlen so gesehen habe: Wie kann das eine Regierung eigentlich verantworten?

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Ja!)

Wie kann das eine möchte-gern-bürgerliche Regierung von Schwarz und Gelb eigentlich verantworten?

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): „Möchte gern“ ist richtig!)

Ich kann es mir nur so erklären: Ihnen fehlt noch die Kraft, Entscheidungen zu treffen, die letztlich im Sinne des Landes sind und vielleicht der einen oder anderen Parteifarbe wehtun. Alles, was Sie tun, ist nur noch Kitt für Ihre Koalition. Sie verteilen Geschenke – Steuersenkungen, Heimprämie etc. -, um Ihre Koalition zusammenzuhalten, aber sind nicht mehr in der Lage, die zentralen Fragen Deutschlands zu beantworten. Dazu wäre es notwendig, in diesem Jahr die Schulden zu reduzieren, und nicht, sie steigen zu lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Schneider, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Otto Fricke?

Carsten Schneider:

Gern.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön, Herr Fricke.

Otto Fricke (FDP):

Herr Kollege Schneider, erstens, dass der Sozialhaushalt sinkt, ist doch wunderbar, solange die Quote einigermaßen in Ordnung ist, wenn es darauf basiert, dass wir weniger Arbeitslose haben. Aber – zweitens – ich verstehe durchaus, dass Sie in Ihrer Aufgabe als Opposition hier Kritik üben und sagen: Nur bei dem einen Haushalt, da sinken die Ausgaben.

Deswegen würde ich jetzt gern von Ihnen hören, bei welchen Haushalten die SPD möchte, dass die Ausgaben sinken. Wenn Sie jetzt bitte nicht wieder mit irgendwelchen Erhöhungen kommen, sondern mir sagen – Sie kritisieren die Ausgaben -: In welchen Haushalten möchte die SPD die Ausgaben senken? Das wäre eine nette Antwort von einem Haushälter.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Carsten Schneider:

Sehr geehrter Herr Kollege Fricke,

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Jetzt sind wir gespannt!)

Die Finanzpolitik in Deutschland in den vergangenen Jahren, seit 10, 15 Jahren, ist dadurch geprägt,

(Otto Fricke (FDP): Das war nicht die Frage!)

dass sie zum Großteil über Einsparungen konsolidiert hat. Wir haben in Deutschland eine Steuerquote, die bei 22 Prozent liegt.

(Otto Fricke (FDP): Das war nicht Frage!)

– Ich komme zu meiner Antwort, zu meinem Punkt. – Ich halte es für entscheidend – das haben wir hier im Bundestag auch als Antrag eingebracht -, dass wir Subventionen abbauen,

(Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Schneider verweigert sich dem Sparen!)

dass wir die ungerechte Vermögensverteilung in Deutschland abbauen.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Antworten!)

Das ist der Einzelplan 60, meine Damen und Herren. Da wollen wir Subventionen abbauen.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Ah, ah!)

Herr Kollege Fricke, was haben Sie denn getan? Nehmen Sie doch nur einmal den Punkt Hotelsteuer. Sie haben hier im Deutschen Bundestag wieder die größte Einzelsubvention durchgesetzt, nämlich das Hotelsteuerprivileg mit einer Milliarde Euro, „Mövenpick-Steuer“.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen diese abbauen, genauso, wie wir das in allen anderen Bereichen machen, exakt durchdekliniert.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nur hohle Phrasen!)

Wir kommen auf eine Neuverschuldung von 20 Milliarden Euro, Sie kommen auf eine von 26 Milliarden Euro. Da sparen wir letztlich Geld, meine Damen und Herren, und da ist es auch richtig angelegt.

(Beifall bei der SPD – Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Ihre Redezeit sollte man sich hier sparen! – Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Peinlicher geht es gar nicht!)

Sehen Sie, Sie reden in Ihrem Koalitionsvertrag von Bürokratieabbau, Sparen etc. Wenn ich mir nur anschaue, dass Sie, liebe FDP, sich das Entwicklungshilfeministerium sparen wollten und jetzt 166 neue Stellen dort schaffen – ein Drittel mehr, als es dort bisher Beschäftigte gibt -, dann ist das das Gegenteil von Sparen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian Lindner (FDP): Sie haben keine Antwort auf die Frage des Kollegen Fricke!)

Aber auch – das ist der entscheidende Punkt – Herr Kollege Schäuble, der Finanzminister, führt das Wort des Konsolidierens im Mund, tut aber auch das Gegenteil. Nehmen Sie auch da den zentralen Bereich des Personals! Sie kürzen bei der Zollverwaltung, bei denjenigen, die unterwegs sind, um Mindestlohn durchzusetzen, um Schwarzarbeit zu bekämpfen. Da wird gekürzt. In Ihrem eigenen Haus, im Ministerium, haben Sie 66 neue Stellen ausgebracht.

(Otto Fricke (FDP): Das sind doch zum großen Teil gar nicht neue Stellen!)

Ich habe noch nie erlebt, dass das Finanzministerium gegen den Trend so beim Personal im eigenen Ressort prasst.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will jetzt nicht noch einmal die Bundesbank zitieren, die belegt hat, dass Sie von Ihrem Konsolidierungskurs vollkommen abgekommen sind, dass das Sparpaket zerfleddert wurde, dass die Süddeutsche Zeitung schreibt: Eins ist klar: Schwarz und Gelb können mit Geld nicht umgehen. Dies haben wir in dieser Woche erleben müssen.

Der entscheidende Punkt ist, dass Sie die Lösung der Probleme, die durchaus vorhanden sind, in die nächste Legislatur schieben. Man weiß ja nie, wie lange Ihre Koalition hält; aber Sie sind bis 2013 gewählt. Die Beschlüsse, die Sie getroffen haben, sei es die Herdprämie oder die Steuersenkung, bei der für die Leute letztendlich ein Kännchen Kaffee übrig bleibt und die Sie auf Pump finanzieren wollen, vergrößern das Defizit in den Jahren 2013 und 2014. Dadurch gibt es hier ungeklärte Mehrausgaben – technisch spricht man von einer globalen Minderausgabe – von 5 Milliarden Euro, aber auch Lücken aufgrund zusätzlicher Beschlüsse im Umfang von 6 Milliarden Euro, sodass Sie nach derzeitigem Stand im nächsten Jahr etwa 30 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen müssen.

Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Schäuble, wird dazu führen, dass Sie in Europa nicht mehr sagen können: Richtet euch an Deutschland aus; dann wird es gut sein. Im Gegenteil: Sie diskreditieren die deutsche Position; Sie verspielen die Chance, mit einer soliden Finanzpolitik – man muss das Vertrauen langfristig gewinnen – eine Vorbildwirkung zu erzielen. Sie brechen die Schuldenbremse, Sie erhöhen die Schulden im nächsten Jahr. Sie sind damit dafür verantwortlich, dass der Vertrauensverlust und die Verwirrung in Deutschland anhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir Sozialdemokraten setzen dem ein klares Stoppsignal entgegen. Wir wollen die Verschuldung senken. Wir wollen, auch durch die Besteuerung von hohen Vermögen und Finanztransaktionen, mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland erreichen. Wir wollen, dass solide Finanzen als Markenkern nicht nur der SPD, sondern auch der Bundesrepublik gelten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beginnen die Debatte über den Bundeshaushalt 2012, wie ihn der Haushaltsausschuss vor zwei Wochen beschlossen hat.

Wir befinden uns im zweiten Jahr der schwarz-gelben Koalition

(Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Zwei gute Jahre!)

in einem europäischen Umfeld, das durch eine kritische Situation der Staatsfinanzierung – darum geht es ja beim Bundeshaushalt – gekennzeichnet ist, in einem Umfeld, in dem Länder mit hoher Verschuldung Probleme haben, sich dauerhaft am Kapitalmarkt zu refinanzieren, und in einem Umfeld, in dem der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU Deutschland als fiskalisches Vorbild für Europa gepriesen hat. Er tat das auf dem Leipziger Parteitag mit folgenden Sätzen:

Wir spüren, dass wir dieses Europa in eine neue Zeit führen müssen.

Weiter sagte er:

Auf einmal wird in Europa Deutsch gesprochen.

Er forderte einheitliche Prinzipien der EU: Schuldenbremse, Haushaltsdisziplin und stärkere Kontrolle.

Abgesehen von dem diplomatischen Geschmäckle – ich hätte so nicht formuliert – schließe ich daraus, dass sich die Bundesregierung als Vorreiter für Solidität in Europa sieht. Ich frage mich natürlich: Stimmt das? In ganz Europa wird gekürzt, gespart, und die Defizite werden reduziert. Was ist die Situation in Deutschland? Wenn ich mir den Haushalt 2012 ansehe, dann erkenne ich: In Deutschland werden die Defizite beim Bund – die Verantwortung dafür tragen Sie – nicht reduziert, sondern erhöht und ausgeweitet.

(Beifall des Abg. Joachim Poß (SPD) – Norbert Barthle (CDU/CSU): Falsch!)

– Herr Kollege Barthle, ich wusste, dass Sie das jetzt sagen. Deshalb habe ich Ihnen einmal eine Grafik mitgebracht, damit Sie es richtig erkennen.

(Der Redner hält eine Grafik hoch)

– Hier sind die Zahlen für das Jahr 2011, dieses Jahr, dargestellt. Die Nettokreditaufnahme beträgt 22 Milliarden Euro. Was haben Sie für nächstes Jahr beschlossen? Das steht hier am Freitag dieser Woche zur Abstimmung: 26,1 Milliarden Euro. Jetzt frage ich Sie: Was ist höher?

(Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Halt mal ein bisschen höher! ? Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Wir können das so schlecht sehen!)

22 oder 26?

Mit dieser Entscheidung, sehr geehrter Herr Finanzminister, liebe schwarz-gelbe Koalition, haben Sie jede finanzpolitische Autorität in Europa verwirkt. Das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer in Europa Wasser predigt und zu Hause Wein trinkt, der muss sich nicht wundern, wenn seine Autorität verwirkt ist und wenn letztendlich nicht mehr auf ihn gehört wird. Sie tun das insbesondere vor dem Hintergrund einer ausgezeichneten konjunkturellen Lage in Deutschland.

Verglichen mit den Planungen 2009/2010 ist das Defizit gering; das will ich zugestehen. Für 2011 wurde mit knapp 49 Milliarden Euro geplant, im Ist sind es voraussichtlich 22 Milliarden Euro im Jahre 2011. Die Frage ist nur: Warum ist es von 2010 auf 2011 gesunken? Das ist ganz einfach: Weil die Konjunktur brummt, weil wir Steuermehreinnahmen haben, weil die Leute in Deutschland fleißig sind, weil wir gute Unternehmen und einen guten Mittelstand sowie ein gutes Handwerk haben, steigen die Steuereinnahmen, sinkt die Arbeitslosigkeit und haben wir mehr in der Kasse und weniger Ausgaben. Das ist der Grund, warum das Defizit sinkt. Das sind aber Selbstläufer, das sind automatische Stabilisatoren, an denen Sie keinerlei Anteil haben.

(Beifall bei der SPD – Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): So einfach ist das nicht!)

Vor eineinhalb Jahren haben Sie ein Sparpaket vorgelegt. Wir als Sozialdemokraten haben hier immer kritisiert, dass es dadurch zu einer ganz eindeutigen sozialen Schieflage kommt; denn von den 80 Milliarden Euro, die Sie über einen Zeitraum von vier Jahren sparen wollten, betrafen 40 Milliarden Euro nur den Sozialbereich: Kürzungen beim Elterngeld, Kürzung beim Arbeitslosengeld II – Stichwort: Rentenversicherung – etc. Alle anderen Maßnahmen sind mittlerweile versandet. Ich nenne hier nur einmal die ambitionierte Bundeswehrreform und die Finanztransaktionsteuer, die Sie einführen wollten, wozu Sie Ihren Koalitionspartner aber nicht bewegen können. Das Einzige, was von dem vor eineinhalb Jahren mit brachialer Rhetorik angekündigten Sparpaket übrig geblieben ist, sind die Kürzungen im Sozialbereich in Höhe von 40 Milliarden Euro. Alles andere ist weg. Hier zeigt sich, dass Sie das soziale Gewissen in Deutschland nicht mehr verkörpern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In Ihrem Koalitionsvertrag steht:

Wir stellen den Mut zur Zukunft der Verzagtheit entgegen.

(Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Genau!)

Ich weiß nicht, ob Sie ab und zu einmal den Koalitionsvertrag lesen. Ich schaue manchmal hinein und vergleiche. Mit Blick auf die Haushaltsberatungen kann ich nur sagen: Sie sind so etwas von verzagt. Daher müsste es heißen: Mit unserer Verzagtheit stellen wir uns dem Mut zur Zukunft entgegen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Das hat nicht gezündet!)

Ihre Etatplanung ist voller Löcher. Nehmen Sie nur einmal die Beschlüsse des Koalitionsausschusses von vor drei Wochen. Bei Ihnen hat zwar alles nur eine geringe Halbwertszeit, aber ich versuche, das einigermaßen ernst zu nehmen. Sie haben schon Beschlüsse für die Jahre 2013 und 2014 gefasst. Wir sind allerdings noch im Jahre 2011. Daher frage ich mich: Warum muss man das jetzt schon beschließen? Aber bitte schön! Bei Ihnen ist schon jetzt Weihnachten. Im Juni feiern Sie schon Weihnachten. Sie verteilen Geschenke für die nächste Legislaturperiode, die dann andere zu bezahlen haben, aber okay.

Sie haben beschlossen, die Steuern zu senken, und zwar im Volumen von 6 Milliarden Euro, davon betreffen 4 Milliarden den Bund. Sie haben beschlossen, ein Betreuungsgeld in Höhe von 2 Milliarden Euro für Männer oder Frauen einzuführen, die zu Hause bleiben und ihre Kinder erziehen.

(Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Das ist falsch! Sie haben es nicht verstanden!)

Makroökonomisch sinnvoll wäre zwar, die Arbeitskräfte gerade jetzt zur Verfügung zu haben und angesichts der demografischen Entwicklung in den Kita-Ausbau zu investieren, aber das sei einmal dahingestellt. Ihre Politik führt jedoch dazu – ich zeige Ihnen die Grafik noch einmal – dass die im Jahre 2014 von Ihnen geplante Kreditaufnahme von 18 Milliarden Euro um 6 Milliarden Euro Koalitionskitt steigen wird. Hinzu kommt, dass darin noch eine globale Minderausgabe von 5 Milliarden Euro enthalten ist. Das heißt, nach jetziger Planung haben Sie ein Defizit, optimistisch geschätzt, von knapp 30 Milliarden Euro: 22 Milliarden Euro in 2011, 30 Milliarden Euro in 2014. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sind finanzpolitisch gescheitert!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle (CDU/CSU): Abenteuerlich! – Zuruf des Abg. Dr. Volker Wissing (FDP))

– Wenn Sie mir das nicht glauben, sehr geehrter Herr Wissing, dann lesen Sie die Kommentare dazu in der FAZ, in der Süddeutsche Zeitung und im Handelsblatt. Ich will aus dem Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, die Sie schätzen, vom gestrigen Tage zitieren:

Vor diesem Hintergrund

– es wird dabei auf die langfristige Tragfähigkeit der Finanzen eingegangen –

sollte die strukturelle Defizitrückführung Priorität haben. Die an mehreren Stellen erfolgte Aufweichung des ursprünglich vereinbarten Konsolidierungskurses – wie jüngst mit den Beschlüssen des Koalitionsausschusses…- weist allerdings in eine andere Richtung. Dabei werden insbesondere die schrittweisen Aufwärtsrevisionen der Steuereinnahmenprognose im Konjunkturaufschwung zum Anlass genommen, die Beseitigung der strukturellen Haushaltschieflage zu verzögern.

Auf Seite 74 heißt es:

Mit dem Bundeshaushalt 2012 ist eine merkliche Abkehr von den Konsolidierungsbeschlüssen vom Juni 2010 verbunden.

Sechs, setzen. Diese Sätze sind der Beleg für Ihre finanzpolitische Unsolidität.

(Beifall bei der SPD – Norbert Barthle (CDU/CSU): Außerirdisch!)

Wenn das nicht so bitter wäre, könnte man mit Humor darüber hinwegsehen. Aber wir haben derzeit in Europa eine Existenzkrise. Statt Ihrer Vorbildfunktion nachzukommen – Sie wollen die Schuldenbremse exportieren, alle anderen sollen sie implementieren; ganz abgesehen davon, dass Sie, liebe FDP, damals nicht zugestimmt haben – weichen Sie die Schuldenbremse in Deutschland auf.

(Dr. Volker Wissing (FDP): Albern!)

Sie setzen die Regeln nicht so um, wie sie der Deutsche Bundestag beschlossen hat und wie es dem Geist des Gesetzes angemessen wäre. Das sagen Ihnen der Bundesrechnungshof, der Sachverständigenrat und auch die Deutsche Bundesbank. Sie veranschlagen 50 Milliarden Euro – das werden wir im März 2012 sehen – als höhere Kreditaufnahme, sodass Sie die Möglichkeit haben, irgendwann weitere Steuersenkungen zu finanzieren. Wer so handelt, der wird der Verantwortung Deutschlands und auch seiner Führungsrolle in Europa überhaupt nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir Sozialdemokraten setzen dem einen Pakt für Bildung und Entschuldung entgegen. Mit den Vorschlägen, die wir hier präsentieren und auf die ich eingehen werde, halten wir die Schuldenbremse nach genauer Anwendung der Regelungen ein. Wir kommen damit in diesem Jahr auf eine Kreditaufnahme von 20 Milliarden Euro. Wir schaffen Vorsorge in Höhe von 1,5 Milliarden Euro für mögliche Ausfälle bei den internationalen Krediten, zum Beispiel für Griechenland.

Vorsorge bei Ihnen: Null! Sie fahren sehenden Auges mit Vollgas auf eine Wand zu. Sie wissen noch nicht einmal, wie Sie in diesem Fall reagieren sollen. Das ist abenteuerlich! Das ist nicht nach Art der schwäbischen Hausfrau! Das ist letztendlich eine Vollkaskoversicherung. Es bedeutet, dass der Bund am Ende zahlt und die Steuerzahler in der Zukunft, wenn die Steuereinnahmen nicht mehr so sprudeln wie bisher, mit höheren Zinsen belastet werden.

Ich glaube, es ist logisch und entspricht der ökonomischen Theorie: Man muss als Staat auch in schlechten Zeiten handeln können. Wir haben das 2009 im Rahmen der Konjunkturprogramme getan. Man muss zusätzlich investieren und die automatischen Stabilisatoren walten lassen.

(Otto Fricke (FDP): Und was hat es gekostet?)

– Sie haben damals nicht zugestimmt, sehr geehrter Herr Fricke. Sie profitieren heute von diesen Maßnahmen, die dazu geführt haben, dass wir Deutschland aus der Krise herausgebracht haben und ein Wachstum erzielen, von dem Sie nicht einmal geträumt haben.

(Beifall bei der SPD)

Wissen Sie, was die Kehrseite der Medaille ist? Wenn es gut läuft, muss man die Mittel dafür einsetzen, die Schulden zu reduzieren. Das tun Sie aber nicht.

(Dr. Volker Wissing (FDP): Märchenstunde mit Carsten Schneider!)

Nein, Sie machen den klassischen Fehler: In guten Zeiten prassen Sie, Sie erhöhen die Ausgaben, machen Steuergeschenke und führen das Defizit nicht im notwendigen Maße zurück. Das ist brandgefährlich, weil kein anderes Land in Europa in einer konjunkturellen Schwächephase zu expansiver Finanzpolitik noch in der Lage ist. Ich will es nicht herbeireden, aber wir befinden uns in einer fragilen Situation im Euro-Raum, von dem wir abhängig sind. Sie werden keine Kraft mehr haben, um gegenzusteuern. Das ist der dramatische Punkt, an dem wir heute stehen.

Deshalb ist diese Finanzpolitik nicht weitsichtig, sondern kurzsichtig. Sie ist – das sieht man auch heute – gescheitert, weil sie keine Vorsorge trifft.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wie bauen wir das Defizit ab? Ich will zwei Punkte nennen. Erstens durch Subventionsabbau. Wir haben Ihnen eine exakte Liste vorgelegt, auf der wir zum einen ökologisch schädliche Subventionen aufgeführt haben und zum anderen die Subventionen im Einkommensteuerrecht, mit denen wir nach der Rasenmähermethode verfahren wollen.

(Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Die Sozis können nicht mit Geld umgehen! – Norbert Barthle (CDU/CSU): Sie haben vergessen, die Steuererhöhungen zu erwähnen!)

– Das kommt noch, sehr geehrter Herr Kollege.

Bisher haben Sie im Subventions- und Bürokratieabbau nichts bewirkt.

Sie haben in den Ministerien 480 neue Stellen geschaffen. Die FDP hat besonders heftig zugelangt.

(Bettina Hagedorn (SPD): Das ist ein Skandal!)

Nehmen wir nur Herrn Niebel als Entwicklungshilfeminister. Vor der Wahl wollte er das Ressort abschaffen. Nach der Wahl wird es mit 160 Stellen erst richtig aufgepumpt. Dass Sie sich nicht ein bisschen schämen, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Die Defizite, die wir in den Staatshaushalten haben, gehen vor allem auf die Finanzkrise und die Rettungsmaßnahmen zurück, die wir als Bundesrepublik für den Finanzsektor und letztendlich für die Sparer mitgetragen haben.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege Schneider, Herr Koppelin würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Carsten Schneider:

Gerne.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):

Lieber Herr Kollege Carsten Schneider, fangen wir mit dem Entwicklungshilfeministerium an: Ist dir bekannt, dass vorher 700 Stellen gestrichen worden sind und dass wir gemeinsam beschlossen haben, diese Stellen zu schaffen, um die Reform im Entwicklungshilfeministerium zusammen mit der GIZ durchzuführen? Das war das Entscheidende: 700 Stellen wurden gestrichen.

Wir haben immer den Abbau von Stellen im öffentlichen Bereich gefordert, etwa 1,5 Prozent in den Ministerien. Kannst du dem Hohen Hause erklären, warum die Sozialdemokraten in ihrem Antrag gefordert haben, diese Stellen nicht abzubauen? Es geht um 3 000 Stellen. Wir ziehen das durch. Ihr wart dagegen.

Carsten Schneider:

Das kann ich Ihnen exakt sagen, lieber Kollege Koppelin. Sie machen eines: Oben in den Ministerien wird kräftig aufgebaut, in der höchsten Besoldungsstufe ab A 16 aufwärts. Da geht es um 5 000 bis 6 000 Euro brutto. In den unteren Chargen rasieren Sie gnadenlos weg.

(Beifall bei der SPD – Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Das ist doch unwahr!)

Nehmen Sie den Zoll oder die Bundespolizei. In all diesen Bereichen, in denen wir die Leute vor Ort brauchen, die mit ihrer Arbeit die Aufgaben des Staates wahrnehmen – wir brauchen sie auch bei der Kontrolle der Schwarzarbeit – wird rasiert. Die Stellen bei den untersten Einkommen werden weggestrichen, und bei den obersten wird in ihren Ressorts dicke zugelangt. So etwas habe ich in allen Haushaltsberatungen bisher nicht erlebt: Es wird dicke zugelangt, und vor allem: Die Hälfte aller Stellen geht in die FDP-Ressorts.

Man kann nun denken: Rette sich, wer kann. Ob das für Deutschland gut ist, mag dahingestellt sein. Sie sollten zumindest dazu stehen, dass Sie in den Ministerien in den Stäben und Grundsatzabteilungen Personal aufbauen und in den untersten Bereichen Stellen streichen. Das machen wir Sozialdemokraten nicht mit. Damit haben Sie recht.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Möchten Sie eine zweite Frage des Kollegen Koppelin zulassen?

Carsten Schneider:

Ja.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Bitte schön, Herr Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):

Lieber Kollege Carsten Schneider, darf ich dich einladen, morgen an der Debatte über den Verteidigungsetat teilzunehmen? Wir haben im unteren Bereich der Besoldungsgruppen über 700 Stellen angehoben, damit die Soldaten endlich befördert werden können.

(Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist aber ein schlechtes Beispiel!)

Carsten Schneider:

Lieber Kollege Koppelin, in diesem Punkt geht es um die Frage der Stellenhebung, also um die Eingruppierung. Wenn jemand in einer A-8-Stelle eingruppiert ist und diese Stelle angehoben wird, dann wird keine neue Stelle geschaffen. Das Einkommen, das in diesen Besoldungsgruppen sehr gering ist, wird erhöht. Dem haben wir zugestimmt. Das will ich ganz klar sagen. Der entscheidende Punkt ist aber, dass Sie pauschal Stellen im unteren Besoldungsbereich bei den nachgeordneten Behörden, die Deutschland zusammenhalten und für Recht und Ordnung sorgen, einsparen und sich selbst die Pfründe in den Ministerien schaffen. Das machen wir nicht mit. Das ist doch ganz klar.

(Beifall bei der SPD)

Es tut mir leid, dass ich das so sagen muss, aber es ist letztendlich das, was Sie beschlossen haben.

Meine Damen und Herren, einen zweiten Bereich möchte ich noch kurz ansprechen. Es geht um die Frage von Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Ein Teil unserer Gegenfinanzierung ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro. Wir sind der Auffassung, dass wir Billigstlöhne in Deutschland nicht mehr subventionieren sollten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer arbeiten geht, muss von seiner Arbeit auch leben und seine Familie ernähren können. Es kann nicht sein, dass einem Menschen, der eine Arbeitsstelle in einem Unternehmen antritt, gesagt wird: Du erhältst 6 Euro und wenn das nicht reicht, weil du zwei Kinder hast, dann geh zum Amt und lass dir dort zusätzlich Unterstützung geben. – Das wollen wir nicht. Da soll ein Schlussstrich gezogen werden. Deswegen sind wir für einen gesetzlichen Mindestlohn.

(Beifall bei der SPD)

Ich hoffe, dass der Minimindestlohn, den die CDU auf ihrem Parteitag beschlossen hat, auch in den Bundestag eingebracht wird. Dann könnten wir die Ungerechtigkeit in der Vermögens- und Einkommensverteilung, die es in diesem Land gibt, nämlich dass die Reichen immer reicher werden und für die Ärmsten nichts übrig bleibt, beseitigen und für die nötigen Staatseinnahmen sorgen, die notwendig sind, um sauber und solide durch diese Finanzkrise zu kommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE))

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Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier ist viel von „Vertrauen“ die Rede gewesen. Es ist richtig: Es geht nicht nur um das Vertrauen des Parlaments in die Regierung und ihre Aussagen, sondern auch um Vertrauen darauf, dass die Handlungen der Regierung in Europa zu einem Ziel führen, durchdacht sind und gemeinschaftlich angegangen werden. Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, dieses Vertrauen kann man nach der am gestrigen Nachmittag erfolgten Absage der Regierungserklärung nicht mehr haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kollege Barthle und Kollege Kalb, Sie erwarten von uns, der Opposition, dass wir der Bundesregierung, die den Namen nicht wirklich verdient, den Rücken stärken, obwohl Sie selbst ihr permanent in den Rücken fallen. Das ist nicht wirklich Aufgabe der Opposition.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben gesagt: Wir stehen hier für ein wehrhaftes Europa. Wir haben dem Euro-Rettungsfonds trotz dieser Regierung zugestimmt, aber gesagt: Es muss klar sein, worüber wir abstimmen. Ich habe, wie der Kollege Schick, im Haushaltsausschuss und hier im Plenum an Herrn Schäuble die Fragen gerichtet: Gibt es eine Hebelung oder nicht? Denken Sie darüber nach, die Mittel zu hebeln? – Eine Hebelung bedeutet nicht, die Mittel nur zu effektivieren; das ist ein Euphemismus. Letztendlich bedeutet eine Hebelung, dass man, wie es der Kollege Claus gesagt hat, wieder ins Kasino geht. Denn eine CDO ist nichts anderes als eines dieser Produkte, die wie Massenvernichtungswaffen wirken. Da haben Sie, Herr Brüderle, gesagt: Auf gar keinen Fall! – Sie haben es geleugnet. Der Bundestag, die Öffentlichkeit und die Kollegen hatten den Eindruck, das alles gebe es gar nicht. Währenddessen ist auf der IWF-Jahrestagung insgeheim darüber verhandelt worden. Das ist der eigentliche Skandal, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Frage ist doch: Reicht das Volumen von insgesamt 440 Milliarden Euro aus, um überzeugende Signale an die Finanzmärkte zu geben? Die klare Antwort lautet: So, wie es ist, nein. – Das haben wir schon von Anfang an gesagt. Sie haben doch nur, damit Sie noch halbwegs eine Mehrheit in dieser Stümperkoalition zusammenbekommen, nichts mehr gesagt.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie haben das durch den Bundestag gepeitscht, ohne darauf einzugehen, dass Sie schon über eine Hebelung, über eine Risikoausweitung der deutschen Haftung verhandelt haben. Es darf nicht sein, dass diese Diskussion nur im Haushaltsausschuss unter ferner liefen, fernab der Öffentlichkeit, geführt wird, sondern es muss so sein, dass die entsprechenden Entscheidungen hier im Bundestag getroffen werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist vollkommen klar, dass, wenn Sie ein Volumen in fünffacher Höhe der Fondsmittel generieren wollen, damit auch ein höheres Risiko einhergeht. Das wird Ihnen auch jeder Ökonom sagen. Ich würde gerne das eine oder andere Instrument bewerten, aber uns liegt dazu bis heute noch nichts vor. Das ist der wahre Skandal. Bis heute hat Herr Schäuble nichts weiter dazu gesagt, als dass es Verhandlungen gibt. Das ist nicht akzeptabel. Das ist nicht überzeugend und führt zu weiterer Verunsicherung.

Für uns stellt sich jetzt die Frage: Stimmen wir den Richtlinien in der Fassung, wie sie uns seit gestern Mittag auf Deutsch vorliegen, heute in einer noch schnell einberufenen Sitzung zu? Die neuen Richtlinien liegen mir bislang nicht vor. Angeblich sollen sie noch kommen. Bei dem, was wir gestern bekommen haben, handelte es sich nur um einen Entwurf des Entwurfs.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Nun zu den Repogeschäften. Man wird gegenüber dieser Regierung bösgläubig. Man wird auch, wenn man all das sieht, gegenüber der EZB bösgläubig.

(Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Wir werden nur bei Carsten Schneider bösgläubig!)

Warum kann die EZB Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt kaufen? Weil es in den Verträgen nicht ausdrücklich verboten wurde. Deswegen schauen wir uns ganz genau an, was in diesen Richtlinien steht. Jetzt kann das Finanzministerium hundertmal sagen, man wolle nur für Liquiditätsgeschäfte zusätzliche Ausleihungen ermöglichen. Rechtlich verboten ist es allerdings nicht, auch in anderen Fällen zu hebeln. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So wie Sie hier die ganze Zeit das Parlament, die Öffentlichkeit und die eigene Koalition an der Nase herumführen, tun Sie es auch in diesem Punkt. Deswegen sagen wir: Nur wenn das klargestellt ist, nur wenn der Bundestag darüber entscheidet und abstimmt, nur dann ist es möglich, die Tragweite wirklich zu begreifen und auch die Öffentlichkeit angesichts all dieser Milliardensummen halbwegs aufzuklären und mitzunehmen. Das ist ja sowieso schon schwer genug. Dieses Signal muss also vom Bundestag ausgehen. Deswegen stimmen wir dem Antrag der Grünen zu.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa ist in einer kritischen Situation. Aber noch viel kritischer als die Situation an den Finanzmärkten in Europa ist die Situation dieser Koalition; denn nicht anders kann ich die Büttenrede interpretieren, die Sie, Herr Brüderle, heute an die Adresse Ihrer Koalition gerichtet, gehalten haben.

(Beifall bei der SPD)

Sie war weder angemessen noch in der Sache irgendwie berechtigt.

Herr Minister Schäuble, Sie haben eben gesagt, wir hätten darauf verzichtet, Sie gestern im Haushaltsausschuss zu hören. Das Gegenteil ist richtig: Ich habe beantragt, dass Sie uns im Haushaltsausschuss, bevor wir hier im Bundestag über diesen Gesetzentwurf abstimmen – das auch nach Ihren Aussagen das wichtigste Gesetz dieser Legislaturperiode ist – Klarheit darüber verschaffen, ob weitere Maßnahmen geplant sind oder nicht, ob wir in Richtung einer weiteren Verschuldung gehen oder nicht. Sie sind diese Antwort, auch im Rahmen der Frage des Kollegen Schick, schuldig geblieben. Ich finde das nicht hinnehmbar!

Ich habe den Eindruck, dass wir, insbesondere vor dem Hintergrund der wackligen Koalitionsmehrheit, hinter die Fichte geführt werden sollen. Worum geht es in diesem Paket? Es wird nicht nur um die 750 Milliarden Euro gehen. Es wird auch um die Frage gehen, ob das Risiko eventuell noch höher ist. Das wird mit dem Begriff „Hebel“ beschrieben.

Ich will zitieren, was in der heutigen Ausgabe des Handelsblatts steht:

Berlin habe Barroso „dringend gebeten“, das heikle Thema in seiner Grundsatzrede zur Lage der EU am Mittwoch im Straßburger Europaparlament nicht zu erwähnen, sagte ein hochrangiger Vertreter der Euro-Zone. … Dabei ist der Hebel längst beschlossene Sache. Frankreichs Premier François Fillon hat ihn vorgestern im französischen Parlament bereits angekündigt: „Wir werden Vorschläge machen, um den Kampf gegen die spekulativen Angriffe auszuweiten.“ Dabei sprach er ausdrücklich von einer „Hebelung der Mittel“ des Fonds.

Herr Minister, ich finde, Sie wären Ihrer Verantwortung als Bundesfinanzminister vor dem deutschen Volk, aber auch vor den Kollegen, die hier im Bundestag abstimmen, dann gerecht geworden, wenn Sie Auskunft darüber gegeben hätten, was Sie beim Internationalen Währungsfonds beraten und bereits zugesagt haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist nicht so, dass der Deutsche Bundestag darüber entscheiden wird, ob es diesen Hebel geben wird. Es ist so, dass der Haushaltsausschuss darüber entscheiden wird. Jeder, der heute diesem Gesetzentwurf seine Stimme gibt, muss wissen, dass er diese Entscheidung an die Mitglieder des Haushaltsausschusses delegiert. Das muss man wissen, bevor man abstimmt! Sie wollen das aber nicht transparent machen, weil Sie Angst um die eigene Mehrheit in Ihrer Koalition haben. Das ist der Grund.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Angst und Unsicherheit ziehen sich ebenso wie Ihr permanenter Zickzackkurs, wenn überhaupt von einem Kurs die Rede sein kann, durch die gesamte Griechenland-Krise.

Ich will kurz daran erinnern, wie das Ganze abgelaufen ist. Im Februar 2010 haben Sie gesagt: Griechenland ist kein Problem. Es wird kein deutsches Geld geben. – Im Mai haben wir ein Hilfspaket in Höhe von 22 Milliarden Euro beschlossen. Der Kollege Fricke sagte hier noch: 22 Milliarden Euro und keinen Cent mehr. Dem hat keiner von Ihnen widersprochen. Am selben Tag, an einem Freitag, ist die Bundeskanzlerin nach Brüssel gefahren und hat dort ein Paket über 123 Milliarden Euro vereinbart.

Meine Damen und Herren, Sie sind in Europa Getriebene der Märkte. Sie führen nicht. Sie haben Deutschland isoliert, und Sie haben mit Ihrem fehlerhaften Krisenmanagement die Krise verschärft, statt zu deeskalieren.

(Beifall bei der SPD)

Dass Sie Angst um Ihre eigene Mehrheit haben, kann ich nachvollziehen. Denn bei allem, was Sie bisher beschlossen haben, ist das Gegenteil eingetreten; denn Sie sind von den Märkten und der Notwendigkeit, die anderen europäischen Länder zu überzeugen, überholt worden.

Ich habe einen Entschließungsantrag herausgesucht, den die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP am 26. Oktober 2010 zu dem Thema vorgelegt haben. Darin geht es um den Stabilitätspakt, der gestern im Europäischen Parlament beschlossen worden ist. Unter Punkt 3 des Antrags steht – ich zitiere -:

Diese Sanktionen müssen zudem früher als bisher und weitgehend automatisch zum Einsatz kommen.

Genau diesen Automatismus hat die Bundeskanzlerin einen Tag später in Deauville geopfert. Der Stabilitätspakt war nicht Bestandteil ihrer Verabredung mit Herrn Sarkozy. Erst das Europäische Parlament hat ihn wieder eingebracht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Unter Punkt 5 des Antrags steht:

Dies beinhaltet zur Vermeidung von Fehlanreizen den Verzicht auf die Einrichtung eines dauerhaften Fonds für überschuldete Staaten, in dem andere Staaten der Währungsunion oder die EU Kredite oder Garantien bereitstellen müssen. Auch eine Entfristung des gegenwärtigen Rettungspakets wird abgelehnt …

Heute beschließen wir wieder das glatte Gegenteil von all dem, was Sie uns vor einem Jahr vorgetragen haben.

(Beifall bei der SPD)

Das, was wir heute beschließen wollen, ist zwar richtig, es hätte aber ein Jahr früher kommen müssen. Dann hätte es erst gar keine Krisensituation in Italien und Spanien gegeben, die dazu führt, dass wir heute mit mehr Geld gegen die Finanzmärkte vorgehen müssen. Diesen Punkt muss man Ihnen vorhalten; denn Sie sind nicht bereit, Führung zu übernehmen und der deutschen Öffentlichkeit zu sagen, was für Vorteile wir von Europa haben. Sie setzen auf Populismus, sind damit aber letztlich zu Recht gescheitert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie machen uns, die wir die Verantwortung mittragen, Vorwürfe. Wir sind an dieser Stelle von Ihrer Seite beschimpft worden. Ich habe in Washington viele Gespräche mit Vertretern anderer Länder geführt. Ihre erste Frage war immer: Wird denn die Opposition mit dafür stimmen? Das ist uns wichtig. Denn auch wir wissen, dass diese Regierung nicht mehr lange hält, und wir brauchen Sicherheit in Europa.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

All das, was dazu geführt hat, dass wir in Europa so stark sind, dass wir wirtschaftlich prosperieren und dass die Arbeitslosigkeit sinkt, haben Sie abgelehnt. Sie haben die Konjunkturprogramme, das Kurzarbeitergeld und die Investitionsprogramme abgelehnt. Das alles aber macht uns heute stark. Nichts davon ist Ihr Thema gewesen. Sie haben das in der Oppositionszeit abgelehnt und keine Alternativen gehabt.

(Beifall bei der SPD)

Sie sollten still sein und dankbar dafür sein, dass Sie trotz dieser Regierung eine breite Mehrheit im Bundestag bekommen werden.

Zum Thema Schuldenbremse: Sie tun jetzt so, als wären Sie der intellektuelle Urheber gewesen. Wenn ich mich richtig entsinne, geht der Entwurf der Schuldenbremse – die hoffentlich auch in anderen nationalen Parlamenten eingeführt wird und dazu führt, dass Europa auch eine Stabilitätsunion wird und letzten Endes stärker daraus hervorgeht als bisher, dass die Länder zusammenrücken, die Finanzpolitiken vereinheitlicht werden und das bisherige Steuerdumping unterbunden wird – auf Peer Steinbrück zurück. Wie haben Sie sich damals in der Abstimmung im Deutschen Bundestag verhalten, Herr Brüderle? Sie haben sich enthalten. Sehr mutig!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD ? Zurufe von SPD: Oh! – Hört! Hört!)

Wir Sozialdemokraten werden heute dem Gesetzentwurf zustimmen. Wir sind der Auffassung, dass wir ein wehrhaftes Europa brauchen, das zusammenhält, und zwar unter der klaren Kondition, die Haushalte zu sanieren und die Wettbewerbsfähigkeit herzustellen, aber auch den sozialen Zusammenhalt in Europa nicht zu gefährden. Das bedeutet, auch die Finanzmärkte an den Kosten der Krise zu beteiligen. Das haben Sie in den letzten Jahren verhindert.

(Beifall bei der SPD)

Das bedeutet, dass die Finanzmärkte, diejenigen, die Spekulationsgewinne erzielen und noch heute enorme Gewinne mit griechischen Papieren machen, besteuert werden und dass die daraus resultierenden Steuereinnahmen genutzt werden, um die Investitionstätigkeit in Griechenland und anderen südeuropäischen Ländern voranzubringen. Reines Sparen ist zu wenig. Wir brauchen einen Ansatz, der die Investitionstätigkeit wieder anregt.

(Beifall bei der SPD)

All dies bleiben Sie leider schuldig. Meine Hoffnung ist, dass die anderen europäischen Länder Sie so wie bisher auf den rechten Weg bringen. Eine weitere Hoffnung, die ich habe, ist: Jede Abstimmung in diesem Parlament wird zu einem Lackmustest für diese Regierung. Über kurz oder lang werden Sie daran zerbrechen. Heute werden Sie vielleicht noch einmal die Mehrheit bekommen. Aber das wird nicht auf Dauer so sein. Je früher Ihre Regierungszeit endet, desto besser für Europa und für Deutschland!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ? Norbert Barthle (CDU/CSU): Wunschbilder der Opposition! Das kann man nicht verstehen!)

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Haushaltsdebatten in dieser Woche Revue passieren lässt und die Zeitungen liest, bekommt man den Eindruck, es ging um vieles – insbesondere bei der Koalition -, aber nur wenig um den Haushalt und die Lage in unserem Land 2012.

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Das lag an euren Beiträgen! – Otto Fricke (FDP): Weil ihr nichts zu kritisieren gefunden habt!)

Wenn Redner von der Koalition gesprochen haben, dann ging es eher darum, eine Bindungswirkung herzustellen, damit sie noch irgendwie zusammenhält, vor allen Dingen bei der Euro-Frage. Das war der wirklichen Lage in Deutschland und in der Welt, wie sie sich am heutigen Tage darstellt, nicht angemessen. Ich sage das auch bezogen auf den Haushalt.

Wir befinden uns in einer sehr kritischen weltwirtschaftlichen Situation. Die OECD senkt weltweit die Wachstumsprognosen, auch für den Euro-Raum und für Deutschland. Herr Trichet, der EZB-Präsident, hat gestern – die Überschrift im heutigen Handelsblatt lautet: „Trichet steuert um“ – eher Leitzinssenkungen in Aussicht gestellt als weitere Erhöhungen. Auch die Wachstumsprognosen sind gesenkt worden. An den internationalen Finanzmärkten haben wir fast die gleiche Situation wie 2008, was die Nervosität des Interbankenmarkts und das Vertrauen der Banken untereinander betrifft. Diesen Eindruck habe ich insbesondere, wenn ich den Absturz des DAX sehe.

Wenn man das betrachtet und auch unsere Verantwortung berücksichtigt, wird deutlich, dass die Bundesregierung mit diesem Haushalt keine Antwort auf diese Situation gegeben hat. Es ist sicherlich richtig, dass es nicht Aufgabe der Bundesregierung ist, schwarzzumalen. Das wollen auch wir nicht. Aber es heißt doch: Jede revolutionäre Tat beginnt mit dem Aussprechen dessen, was ist.

(Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Lassalle!)

– Lassalle. Brüder im Geiste.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Nachhilfestunden für Sozialisten!)

Deswegen gehört ein Blick in das Ist dazu.

Ich versuche das zu reflektieren, was hier in dieser Woche besprochen wurde und was diesem Haushalt zugrunde liegt. Dann sehe ich, dass Sie noch im Konjunkturhochsommer leben. Aber wenn der Herbst kommt, sind Sie überhaupt nicht darauf vorbereitet, in einer solchen Krisensituation zu handeln. Bisher galt: Unser Land hat sich gut entwickelt, und zwar trotz dieser Regierung.

(Bettina Hagedorn (SPD): Richtig!)

Ich mache mir ernsthafte Sorgen, was passiert, wenn es unserem Land einmal nicht so gut geht und wir immer noch diese Regierung haben.

(Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs (SPD): Abwählen! – Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Dann haben wir immer noch diese Opposition!)

Passen Sie auf: Sie haben in einer Situation, in der wir die höchsten Steuereinnahmen und das höchste Wirtschaftswachstum haben, für dieses Jahr einen Haushalt vorgelegt, der die drittgrößte Neuverschuldung vorsieht, die es jemals in der Bundesrepublik gab.

(Otto Fricke (FDP): Das stimmt doch gar nicht! – Gegenruf der Abg. Bettina Hagedorn (SPD): Doch! Natürlich stimmt das!)

Vieles hat eine Rolle gespielt. Sie haben es mit Ausweichmanövern versucht und gesagt, die Sozialdemokraten in NRW würden nicht sparen. Der Haushalt sei daher verfassungswidrig.

(Otto Fricke (FDP): Das hat das Gericht festgestellt!)

Ich habe mir das alles noch einmal genau angeschaut. Ich habe mir den Haushalt unter der Annahme angeschaut, dass wir noch die alten Schuldenregeln hätten. In NRW und allen anderen Bundesländern gilt sie derzeit noch, das heißt, dass die Kreditaufnahme nur so hoch sein darf wie die Investitionen. Wenn das so wäre, dann wären die Haushalte des Bundes 2010, 2011 und 2012 verfassungswidrig,

(Otto Fricke (FDP): Aber das gilt doch gar nicht mehr!)

weil Sie die Investitionen in einer Art und Weise kürzen, wie Sie es noch nie getan haben. Damit sparen Sie an der Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

(Beifall bei der SPD – Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In Niedersachen bei Schwarz-Gelb ist es genauso!)

Ich komme zu den Landeshaushalten, weil ich die Argumente aufgreifen will, die Sie angeführt haben. Die Landeshaushalte von Niedersachsen, Hessen, Schleswig-Holstein und Saarland sind allesamt verfassungswidrig,

(Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Alles Schwarz-Gelb!)

und zwar in den Jahren 2009, 2010 und 2011.

(Bettina Hagedorn (SPD): Ja!)

Wer regiert dort eigentlich?

(Johannes Kahrs (SPD): Nicht mehr lange!)

Schwarz-Gelb, noch. Zu Ihrer Verantwortung haben Sie kein Wort gesagt. Warum ist das so? Warum sind die Länder in Gänze in einer so schwierigen Situation? Weil Sie gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit mit einem Gesetz, dass Sie „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ genannt haben – der Volksmund sagt dazu:  „Hoteliersbegünstigungsgesetz“ oder „Mövenpickgesetz“ -, dafür gesorgt haben, das den öffentlichen Haushalten zweistellige Milliardenbeträge entzogen worden sind,

(Heinz-Peter Haustein (FDP): Stimmt doch gar nicht!)

die dafür hätten genutzt werden können, die Konsolidierung voranzutreiben. Sie haben das Gegenteil davon getan.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wer so fahrlässig handelt und es in den besten wirtschaftlichen Zeiten, die wir haben, was die Einnahmesituation betrifft, nicht schafft, die Kreditaufnahme deutlich zu senken – was Ihre Verpflichtung wäre, damit Sie auch in schlechten Zeiten agieren können; aber genau das tun Sie nicht –

(Zuruf des Abg. Otto Fricke (FDP))

– ich rede vom Bund -, der gerät sehenden Auges – ich vermute, es wird Sie in dieser Legislatur noch treffen – in die Situation, dass er nicht mehr handeln kann, wenn die Wirtschaft abschmiert. In diese Situation kommen wir, weil Sie den Gegenwartskonsum fördern, nicht in die Zukunft investieren und den Haushalt nicht in dem Maße konsolidieren, wie das notwendig wäre.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Barthle, es ist richtig: Wir haben dazu ein Konzept vorgelegt. Wir Sozialdemokraten wollen – dazu haben wir uns klar bekannt – die Schuldenbremse einhalten, wie der Bundesrechnungshof, die Bundesbank und der Sachverständigenrat das fordern und wir hier im Bundestag das übrigens auch beschlossen haben.

(Bettina Hagedorn (SPD), an die CDU gewandt: Und wie Sie es nicht tun!)

Das bedeutet für das Jahr 2012: 5 Milliarden Euro weniger Kreditaufnahme, als Sie sich gönnen. Sie haben, konjunkturell bedingt, 20 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen. Die Nettokreditaufnahme senken Sie um 13 Milliarden Euro. Das heißt: Sie haben 7 Milliarden Euro verprasst.

In den FDP-geführten Ressorts wurde eine Viertelmilliarde Euro zusätzlich verbucht. Wo ist eigentlich Ihr liberales Sparbuch geblieben?, frage ich mich da.

(Beifall bei der SPD – Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Schublade!)

Ich sage das nicht einfach so im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung, sondern aus echter Sorge.

(Widerspruch bei der FDP)

– Ja. Hören Sie: 2009 konnten wir aus der Krise herauskommen, weil wir Vorsorge getroffen haben. Es hat uns geholfen, dass wir einen nahezu ausgeglichenen Staatshaushalt und bei der Bundesagentur für Arbeit eine Reserve in Höhe von 18 Milliarden Euro hatten. Sie tun das Gegenteil. Sie verprassen das Geld heute, sodass Sie später, wenn es kritischer werden könnte, keine Luft, um atmen zu können, und keinen Spielraum mehr haben werden, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.

(Beifall bei der SPD – Bettina Hagedorn (SPD): Sie haben auch in die Rentenkasse gegriffen! – Johannes Kahrs (SPD): Pleitegeier!)

Dieser Haushalt ist nicht sozial gerecht, nix da! Vor einem Jahr hat dieses Kabinett nach einer Nachtsitzung in Meseberg – damals noch mit Herrn Westerwelle; lang sind die Zeiten her – ein Konsolidierungsprogramm mit einem Volumen von 80 Milliarden Euro vorgelegt. Real umgesetzt wurden 40 Milliarden Euro. Diese 40 Milliarden Euro betreffen zum größten Teil den Etat von Frau von der Leyen.

(Bettina Hagedorn (SPD): So ist es!)

Sie kürzen bei den Arbeitslosen in diesem Land, während die Vermögenden ungeschoren davonkommen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Norbert Barthle (CDU/CSU): Das stimmt doch nicht! Luftverkehrsteuer zum Beispiel!)

Das ist ungerecht.

Als Antwort darauf haben wir ein Steuer- und Finanzierungskonzept vorgelegt, einen Nationalen Pakt für Entschuldung und Bildung. Ja, Sie haben recht: Wir wollen den Spitzensteuersatz erhöhen.

(Bettina Hagedorn (SPD): Ja!)

Ab einem Einkommen von 64.000 Euro soll der Steuersatz sukzessive auf 49 Prozent steigen. Dieser Satz soll ab einem Einkommen von 100.000 Euro gelten.

(Otto Fricke (FDP): Abkassieren!)

Das trifft – das können Sie in der Süddeutschen und der FAZ nachlesen – die oberen 4 Prozent. Mit Verlaub, angesichts dessen, was wir an Risiken übernommen haben, um Banken und damit letztendlich auch Einkommen und Vermögen zu sichern – nicht nur deswegen haben wir das getan, aber das ist natürlich auch ein Punkt -, ist es nur gerecht, wenn wir das Angebot, das uns viele Millionäre in diesem Staat machen – sie wollen dem Staat ein wenig geben, damit er existieren kann -, annehmen. Das muss aber in Gesetzesform gegossen werden, wie es sich gehört. Hier müssen Recht und Gesetz gelten; Steuergerechtigkeit gehört dazu.

(Beifall bei der SPD)

Minister Schäuble hat in seiner Einführungsrede am Dienstag sehr viel über die Schuldenbremse gesprochen. Er hat gesagt, wie wichtig sie sei, insbesondere in den ersten Jahren. Ich habe hier wirklich schon oft dargelegt, dass Sie die Schuldengrenze untergraben, indem sie von falschen Werten ausgehen. Ich versuche in jeder Haushaltsausschusssitzung, ebenso wie die anderen aus meiner Fraktion, das anzubringen.

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Das können wir bestätigen! Wir können es schon auswendig!)

Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht, der diese Schlupflöcher schließen würde. Aber Sie tun das Gegenteil.

(Bettina Hagedorn (SPD): Richtig!)

Sie behaupten hier zwar, dass Sie sich an die Schuldenbremse halten. Sie tun es aber, dem geballten Sachverstand dieser Republik zum Trotz, nicht. Sie bunkern 50 Milliarden Euro auf dem Kontrollkonto, die Sie für zusätzliche Kredite nutzen können, obwohl sie Ihnen nicht zustehen. Wenn Sie, Herr Minister Schäuble, diese Möglichkeit nicht nutzen wollen, erwarte ich von Ihnen, dass Sie hier, an dieser Stelle – Sie reden ja nachher noch -, klipp und klar sagen: Diese 50 Milliarden Euro werden wir niemals anrühren; deswegen werden wir dem gesetzlich einen Riegel vorschieben. Nur dann gilt es, und nur dann glaube ich es; denn Sie haben in den vergangenen zwei Jahren hier so viele Pirouetten gedreht, dass man Ihrem Wort an sich nicht mehr glauben kann.

(Beifall bei der SPD)

Hier war, insbesondere vonseiten der FDP, viel von der Schuldenbremse und davon, wie toll sie ist, die Rede; diese Ansicht teile ich. Ich habe mir einmal das Verhalten bei der Schlussabstimmung dazu angesehen. Ein einziger Abgeordneter der FDP hat zugestimmt; das war Florian Toncar. Alle anderen haben dagegen gestimmt oder sich enthalten. Das ist ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der SPD)

Ich will hier noch ein paar Sätze zur Europäischen Union und zur Debatte über den Euro sagen; das hängt natürlich alles zusammen. Im Rahmen der Kritik, die hier vorgetragen worden ist – insbesondere am Mittwoch -, verstieg sich Herr Westerwelle zu der Aussage, die Änderung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sei der größte Fehler seit 1945; ich glaube, Herr Westerwelle, das haben Sie so gesagt. Größer geht es nicht. Ein bisschen Aufklärung ist an dieser Stelle notwendig.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sah so, wie er ausgestaltet war, vor, dass man sich 3 Prozent Defizit pro Jahr leisten konnte, egal, ob in guten oder in schlechten Zeiten; es waren immer 3 Prozent.

(Otto Fricke (FDP): Nein! Stimmt doch nicht!)

Ich sage Ihnen: Das war falsch. Gerade in guten Zeiten müssen Sie Vorsorge treffen, um in schlechten Zeiten Defizite machen zu können. Genau das sieht der neue Stabilitäts- und Wachstumspakt vor. Bei nahezu ausgeglichenen Haushalten, „close to balance“, muss in guten Zeiten sogar Vorsorge getroffen werden,

(Bettina Hagedorn (SPD): Ja, also jetzt! Genau!)

und das Geld darf nicht ausgegeben werden – Sie tun das Gegenteil; Sie brechen ihn gerade -, um in schlechten Zeiten agieren zu können.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): 86 Milliarden Euro!)

Ich sage Ihnen: Wir Sozialdemokraten stehen dazu, und das steht im Übrigen auch im Grundgesetz.

(Beifall bei der SPD)

Denn dieser Pakt war das Vorbild für die Schuldenbremse. – Das sind also alles nur Abwehrkämpfe.

Frau Bundeskanzlerin, wenn wir Sozialdemokraten damals eines falsch gemacht haben – das will ich klar sagen -, dann war es, dass es damals keine Automatismen gegeben hat oder sie für die Bundeshaushalte nicht genutzt wurden. Aus Fehlern muss man lernen, und wir Sozialdemokraten tun das. Aus diesem Grund unterstützen wir die Kommission und das Europäische Parlament in dem Vorhaben, dass die Sanktionen demnächst immer automatisch verhängt werden sollen. Ich frage mich, warum Sie eigentlich in Deauville beim Spaziergang mit Herrn Sarkozy genau das wieder gestrichen haben. Genau das ist nämlich der Punkt. Sie fordern hier im Bundestag Sanktionen ein, und in Europa opfern Sie sie. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Das ist doch nicht ehrlich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich hoffe, dass Sie in den Haushaltsberatungen noch Einsicht zeigen werden, sowohl bezüglich dieser Flanke der sozialen Ungerechtigkeit

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): So ein Quatsch!)

bei der Finanzierung, Kollege Michelbach, als auch bei den Ausgaben, insbesondere im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik, wo die Schwächsten der Schwachen jede Chance auf Hilfe von Ihnen, Frau von der Leyen, versagt bekommen werden. Die Umwandlung von Pflicht- in Ermessensleistungen ist nichts weiter als eine reine Kürzungsorgie zulasten der Schwächsten in dieser Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich hoffe, dass Sie mit uns dafür sorgen, dass die Vermögen in diesem Land ein Stück weit mehr dazu beitragen, dass dieses Land sicher, sozial ausgewogen und fortschrittlich ist, fortschrittlich insbesondere dadurch, dass wir notwendige Zukunftsausgaben im Bereich Bildung finanzieren und dass wir die zusätzlichen Mittel nehmen, um die Neuverschuldung für 2012 deutlich unter die von Ihnen gesetzte Marke zu senken, nämlich auf 22 Milliarden Euro statt auf 27 Milliarden Euro. Jeder Euro mehr Schulden wird dazu führen, dass wir in Zukunft bei steigenden Zinslasten noch höhere Belastungen haben werden, dass die Zukunftsfähigkeit, die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland eingeschränkt wird und dass wir irgendwann nur noch Ewigkeitslasten tragen. Das wollen wir Sozialdemokraten nicht. Deswegen stehen wir zu unserem Konzept, Mehreinnahmen bei den oberen 4 Prozent zu generieren, Schulden in den guten Jahren, wie wir sie gerade erleben, abzubauen und in die Zukunft zu investieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Situation in Europa und in Deutschland ist, was die wirtschaftliche und finanzielle Situation betrifft, fragil. Wir erleben Unsicherheiten an den Finanzmärkten wie den Absturz des DAX in den vergangenen Tagen und die Ausschläge bei den italienischen Staatsanleihen. Das zeigen auch Umfragen zu dem Thema, worin die deutsche Bevölkerung ihr größtes Problem und ihre größte Sorge sieht. Das sind nicht mehr wie früher die Arbeitslosigkeit oder andere Punkte, sondern es ist die Stabilität der Währung und der Staatsfinanzen. Das muss uns für die Arbeit an diesem Haushalt 2012 und der mittelfristigen Finanzplanung Mahnung und Leitplanke sein.

Herr Minister Schäuble, bei Ihrer Einbringungsrede hatte ich den Eindruck, dass sie eher an Ihre Koalition gerichtet war als an die deutsche Bevölkerung oder diese Parlamentsopposition. Denn die Zitate von Herrn Dahrendorf in Bezug auf die Verschuldung, das strukturelle Defizit und die Verwendung von konjunkturellen Mehreinnahmen schienen mir sehr stark in Richtung FDP und auch Teile der CDU/CSU zu gehen.

(Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Das haben die auch so verstanden! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß (SPD): Nein, das haben die nicht verstanden!)

Denn nicht erwähnt haben Sie, dass Sie mit dem Kabinettsbeschluss zum Haushalt ein Schreiben der drei Parteivorsitzenden vorgelegt haben – zwei davon saßen, glaube ich, auch mit am Kabinettstisch -, in dem zur Kenntnis gegeben wurde, dass Sie noch in diesem Herbst über Steuersenkungen entscheiden wollen.

(Otto Fricke (FDP): Ja! Das hat er doch gesagt!)

– Er hat aber nicht gesagt, wie er es finanzieren will. Die entscheidende Frage ist: Hält der Haushalt 2012 die von Ihnen hochgehaltene Schuldenbremse ein oder nicht?

(Otto Fricke (FDP): Um 10 Milliarden Euro!)

Dabei haben wir ganz entschieden einen Dissens.

(Otto Fricke (FDP): 10 Milliarden Euro drunter!)

Ich habe vorhin die Deutsche Bundesbank angesprochen. Mit Verlaub, es geht nicht nur um die Deutsche Bundesbank, sondern auch um den Bundesrechnungshof und den Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Lage. Alle drei plus die SPD sind der Auffassung, dass Sie die Schuldenbremse nicht so einhalten, wie wir sie im Bundestag beschlossen haben.

(Beifall bei der SPD – Otto Fricke (FDP): Doch!)

– Das tun Sie eben nicht. Deswegen sind Sie kein Vorbild für Europa, wenn Sie so wie hier in Deutschland in den ersten Jahren der Anwendung die Schuldenbremse verletzen. Wenn andere europäische Länder das machen würden, dann würden Sie ihnen verbal die Ohren langziehen.

(Beifall bei der SPD – Otto Fricke (FDP): Wir sind doch selbst darunter! Das ist schlicht gelogen!)

Warum tun Sie das nicht? Sie liegen allein im Jahr 2012  5 Milliarden Euro über dem, was maximal zulässig wäre. Ich will Ihnen auch sagen, wo sie geblieben sind.

Wir sind uns völlig einig, dass die konjunkturelle Lage exzellent ist. Wir Sozialdemokraten sind die Letzten, die sich darüber ärgern würden. Wir freuen uns.

(Otto Fricke (FDP): Das haben wir aber bisher kein einziges Mal gehört!)

Denn, mit Verlaub, wir haben einen kleinen Anteil daran. Wir freuen uns mit den Deutschen, die zusätzliche Arbeitsplätze bekommen, und mit den Unternehmen, die Aufträge haben und Steuern zahlen. Darüber sind wir froh.

(Dr. Volker Wissing (FDP): Aber Sie stänkern den ganzen Tag herum!)

– Das ist aber nicht Ihr Verdienst, Herr Kollege Wissing.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist vielmehr das Verdienst der fleißigen Menschen in Deutschland.

Gegenüber dem letzten Finanzplan zeigt die aktuelle Lage, dass es eine konjunkturelle Verbesserung gibt: 14,5 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen und 5 Milliarden Euro weniger Ausgaben für den Arbeitsmarkt. Das macht knapp 20 Milliarden Euro.

Sie senken die Neuverschuldung aber nicht um 20 Milliarden, sondern nur um 13 Milliarden. Wo sind diese 7 Milliarden Euro geblieben? –

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Bernd Scheelen (SPD): Das wollen wir wissen!)

Ich höre nichts.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Finanztransaktionsteuer, Kernbrennstoffsteuer!)

– Aha. Damit sind wir beim entscheidenden Punkt: Ihren Maßnahmen, die wir schon immer als Luft und Wolken, als Wolkenkuckucksheim kritisiert haben. In Ihren vor einem Jahr präsentierten Meseberg-Beschlüssen haben Sie mit großem Auftritt Einsparungen in Höhe von 80 Milliarden Euro angekündigt. Die Hälfte ist übriggeblieben. Es werden nur 40 Milliarden Euro eingespart.

Wo werden diese 40 Milliarden Euro eingespart? Sie haben einzig und allein bei den sozial Schwächsten zugelangt.

(Beifall bei der SPD)

Das sind die Maßnahmen, die durchgegangen sind. Alle anderen Maßnahmen, die Sie beschlossen hatten, sind weggefallen.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Das stimmt nicht!)

Deswegen fehlt Ihnen das Geld, lieber Kollege Barthle. Deswegen machen Sie zu hohe Schulden in der konjunkturell besten Zeit, die wir jemals in Deutschland gesehen haben, mit den höchsten Steuereinnahmen, die es in Deutschland jemals gab, und dem besten Wachstum. Der Höhepunkt war zuletzt 2008. Wir liegen 2012 deutlich höher als 2008. Trotzdem betreiben Sie die dritthöchste Neuverschuldung, die es jemals gegeben hat. Meine Damen und Herren, das ist kein Ruhmesblatt, das ist ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister Schäuble, ich habe mir den Bundesbankbericht vom Mai 2011 extra herausgesucht. Der Bundesbankpräsident, Herr Weidmann, ist im Kabinett anders aufgetreten. Er hat es aber nicht öffentlich gemacht, obwohl ich ihn darum gebeten habe. Er tat es nicht, warum auch immer. Es geht in dem Bundesbankbericht um einen Sicherheitsabstand, von dem Sie, Herr Kollege Barthle, immer sagen, dass Sie seine maximale Höhe nicht ausschöpfen würden.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): So ist es!)

– Das stimmt. – Aber Sie haben die maximale Höhe zu hoch angesetzt. Das ist das Problem. Ich zitiere nun die Bundesbank:

Ein solcher Sicherheitsabstand sollte aber nicht dadurch geschaffen werden, dass die Obergrenze durch eine problematische Auslegung gedehnt wird. Gerade dies scheint allerdings angelegt zu sein, da in den derzeitigen Planungen als Ausgangspunkt der Obergrenze für den strukturellen Defizitabbaupfad von 2011 bis 2016 – entgegen der Intention der Schuldenbremse – ein veralteter und deutlich überhöhter Schätzwert für das strukturelle Defizit des Jahres 2010 verwendet wird. Hierdurch

– Achtung! –

ergeben sich zusätzliche Verschuldungsspielräume von kumuliert rund 50 Mrd €.

(Beifall bei der SPD – Sören Bartol (SPD): Hört! Hört!)

Wir haben hier im Juni einen Gesetzentwurf zur harten Auslegung der Bestimmungen über die Schuldenbremse vorgelegt. Sie haben dem nicht zugestimmt. Herr Kollege Barthle, Sie waren im Haushaltsausschuss, als ich den Punkt betreffend die 50 Milliarden Euro erwähnt habe. In der Anhörung hatte die Bundesbank dies dargestellt, und ich habe es mir zu eigen gemacht. Sie haben gesagt: Wir lösen das Problem. – In der Schlussberatung war davon nichts mehr zu hören. Sie wissen, dass Sie über eine Kriegskasse von 50 Milliarden Euro verfügen, also noch Pfeile im Köcher haben, und diese Kriegskasse erhalten Sie sich. Das aber ist das Gegenteil von solider Finanzpolitik und von Transparenz, die Sie sich heute hier bescheinigen.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):

Gern.

Otto Fricke (FDP):

Herr Kollege Schneider, wir alle hier im Parlament wissen, dass Sie seit zwei Jahren darauf herumreiten, dass man für die Schuldenbremse, die Sie selber beschlossen haben, die aber anscheinend Ihrer Meinung nach nicht präzise genug formuliert war, eine andere Interpretation findet. Ich stimme Ihnen zu: Wenn es um Berechnungen geht, deren Grundlagen nicht genau definiert sind, kann man unterschiedlicher Meinung sein. Ich gehe davon aus, dass auch hinter Ihrer Intention ein guter Wille steckt. Deswegen frage ich Sie: Wie hoch hätte die Neuverschuldung im Jahr 2011 nach Ihrem Modell sein dürfen und wie hoch darf sie im Jahr 2012 sein, wenn Sie das so genau wissen?

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):

Herr Kollege Fricke, im Jahr 2012 muss sie nach unserer Berechnung zwischen 21,5 Milliarden Euro und 22 Milliarden Euro liegen. Nach Ihrer Berechnung liegt sie bei 27 Milliarden Euro im Jahre 2012.

(Otto Fricke (FDP): Wir haben das noch nicht beschlossen!)

Ich komme gleich zu unseren Vorstellungen im Einzelnen. Im Rahmen der Haushaltsberatungen werden wir Ihnen klipp und klar unsere Vorschläge vorlegen, um die Verschuldung in dieser Größenordnung abzubauen. Es ist richtig, was Herr Minister Schäuble sagte. In der ersten Anwendungsphase der Schuldenbremse schreiben Sie die Geschichte für die nächsten Jahrzehnte. Diese Schuldenbremse haben die meisten hier im Parlament beschlossen. Sie dehnen jetzt den Interpretationsspielraum in dem entscheidenden Punkt des Kontrollkontos aus und bunkern 50 Milliarden Euro.

(Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Wir nutzen sie doch nicht!)

– Herr Kollege Schäuble, dann legen Sie einen entsprechenden Gesetzentwurf vor, der vorsieht, dass Sie den Spielraum nicht nutzen. – Ich habe im Haushaltsausschuss dem Staatssekretär exakt die Frage gestellt, ob der Betrag genutzt wird oder nicht. Wenn er nicht genutzt wird, dann können Sie es hier erklären und das rechtlich absichern. Genau das aber tun Sie nicht.

(Otto Fricke (FDP): Wir haben es im Ausschuss gesagt!)

– Verbale Äußerungen sind etwas anderes als rechtlich abgesicherte Festlegungen. – Sie haben den Spielraum, ob Sie ihn nutzen oder nicht. Das haben Sie im Haushaltsausschuss zugegeben. Ich behaupte: Sie werden ihn nutzen, weil Sie Ihren Steuersenkungs- und Entstaatlichungsphantasien auf den letzten Drücker nachgeben werden, auch um der FDP etwas entgegenzukommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das sagen wir die ganze Zeit.

(Otto Fricke (FDP): Sie behaupten, wir lügen!)

Ich glaube, das wird so geschehen, weil Sie alle Versprechen letztendlich brechen.

Ich habe bereits vorhin gesagt, dass das Thema Staatsfinanzen in der Bevölkerung wahrscheinlich viel bedeutender als früher ist. Wir, die SPD, haben uns entschlossen – Sie haben uns das vorher nicht geglaubt -, in den nächsten Jahren einen sehr strikten, konsequenten Weg zu gehen; wir sehen den Abbau der Neuverschuldung, die Konsolidierung des Staatshaushalts als einen unserer Hauptpunkte. Deswegen hat der Parteivorstand der SPD gestern ein Programm für die Jahre bis 2016 beschlossen, das nur zwei Schwerpunkte beinhaltet: erstens den Abbau der Staatsverschuldung – was wir planen, ist härter und ehrgeiziger als das, was Sie vorlegen

(Bettina Hagedorn (SPD): Ehrgeiziges Ziel!)

– und zweitens die Stärkung des Bereichs Bildung.

(Bettina Hagedorn (SPD): Ja!)

Wir wollen etwas für die Flanke tun, die Sie – entweder die CDU allein oder nur die FDP – ignorieren. All die Krisen, mit denen wir es jetzt zu tun haben – Staatsfinanzierungskrisen, Neuverschuldung -, haben ihre Ursache in den extremen Spekulationen auf den Finanzmärkten. Infolgedessen mussten erst Banken und müssen jetzt Länder gerettet werden.

(Otto Fricke (FDP): Der Grund ist die Verschuldung!)

Die Vermögenden, diejenigen, die über ein hohes Einkommen verfügen, haben von diesen Rettungen enorm profitiert; denn nur sie konnten auch etwas verlieren. Es wurde somit auch ein Beitrag zur Stabilität ihrer Einkommen geleistet. Die Reichen müssen nun einen Beitrag zur Krisenbewältigung leisten. Deswegen schlagen wir vor, dass die oberen 4 Prozent der einkommensteuerpflichtigen Haushalte in Deutschland einem höheren Steuersatz unterliegen. Das ist einer von vielen unserer Vorschläge.

Außerdem wollen wir einen Vorschlag zum Subventionsabbau machen; wir haben das schon detailliert besprochen. Wir bieten Ihnen an, auf unser Angebot einzugehen. Man sollte nicht einseitig Verschuldung betreiben oder bei den sozial Schwächsten kürzen.

(Bettina Hagedorn (SPD): Ja!)

Ich komme zum Schluss. Sie haben eine neue Euro-Expertin; sie ist leider schon gegangen. Sie hat sehr abenteuerliche Vorstellungen, was Gold und andere Dinge betrifft. Ich bin der Meinung, Frau von der Leyen sollte sich lieber um diejenigen kümmern, für die sie Verantwortung trägt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie stiftet nur Verwirrung. Verantwortung trägt sie vor allen Dingen für die Langzeitarbeitslosen. Mit Blick auf die Ausgaben will ich klar sagen: Das, was Sie im Bereich der beruflichen Weiterbildung und Qualifikation kürzen, fehlt, um diejenigen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, die auf dem gespaltenen Arbeitsmarkt keine Chance haben. Wer zulässt, dass stattdessen Fachkräfte aus dem Ausland geholt werden, der versündigt sich an den hiesigen Arbeitslosen, und das werden wir nicht mitmachen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal etwas Verbindendes. Herr Kollege Barthle, es ist richtig: Wir haben im Bundestag im Jahr 2009 unter Federführung eines SPD-Finanzministers gemeinsam die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Der Hintergrund war, dass es uns seit 1969 unter verschiedenen Koalitionen nicht mehr gelungen ist, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Deswegen kam es zu der Übereinkunft – sie ist vor dem Hintergrund der Staatsschuldenkrise, die Europa seitdem erreicht hat, wie ich glaube, noch verbindlicher -, uns konstitutionell, also in der Verfassung, einen engeren Rahmen zu setzen. Dieser Beschluss gilt.

Nun befinden wir uns in der ersten Phase der Anwendung der Schuldenbremse. Es ist teilweise kompliziert, sie zu verstehen; denn sie hat sehr viel mit makroökonomischen Daten, die der Bevölkerung und manchmal auch dem Kollegenkreis nur schwer zu erklären sind, zu tun.

In der Analyse des ersten Jahres kommen wir als SPD-Fraktion in Anbetracht dessen, was Sie und Ihr Bundesfinanzminister vorgelegt haben, zu dem Ergebnis, dass die jetzige Regelung Lücken aufweist. Die Lücken bestehen insbesondere darin, dass man den Abbaupfad von seinem Startpunkt bis zu seinem Endpunkt manipulativ handhaben kann. Ich mache diesen Vorwurf ungern, aber genau das tun Sie.

Entgegen dem gesamten finanzwissenschaftlichen Sachverstand vom Bundesrechnungshof, von der Bundesbank und dem Sachverständigenrat halten Sie an veralteten Zahlen fest. Diese veralteten Zahlen vom Juni 2010 führen dazu, dass Sie im Rahmen der Anwendung der Schuldenbremse, so wie Sie sie planen, zusätzliche Kredite in Höhe von 50 Milliarden Euro aufnehmen können.

(Otto Fricke (FDP): Könnten!)

– Können.

(Otto Fricke (FDP): Nein! Könnten! Das kleine T und seine großen Folgen!)

Wir als SPD-Fraktion sind folgender Auffassung: Der Geist der Schuldenbremse sieht vor, dass man sich die derzeitige Situation ansieht. Das heißt, dass man die Zahlen vom Ende des Jahres 2010 heranziehen muss. Da war das Defizit viel geringer, weil wir eine exzellente wirtschaftliche Lage hatten. Von da an muss man den Pfad nach unten gehen. Dies tun Sie aber nicht. Sie hätten heute die Gelegenheit, das, was Sie eben hier behauptet haben, umzusetzen und gesetzlich bzw. rechtlich verbindlich zu machen.

Bei uns besteht Argwohn darüber, dass Sie diese zusätzlichen Kreditermächtigungen von 50 Milliarden Euro – das sind Zahlen der Deutschen Bundesbank, nicht der SPD-Fraktion – nutzen werden und wollen.

(Otto Fricke (FDP): Aha! Jetzt doch!)

– Lieber Kollege Fricke, ich habe den Bundeswirtschaftsminister so vernommen. Ich werde ihn gleich noch zitieren. – Sie wollen diese 50 Milliarden Euro nutzen, um der FDP und der Koalition wahrscheinlich im Jahr 2013 – das ist naheliegend; das ist ein Wahljahr – mit zusätzlichen Steuersenkungen zu helfen. Dem Land werden sie aber zusätzliche Schulden hinterlassen.

Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: Jede Steuersenkung auf Pump – wir werden 2013 ohnehin neue Kredite aufnehmen müssen – ist eine Steuerentlastung, die wieder zurückkommen wird; denn Sie werden noch mehr Zinsen zahlen und die Steuern letztendlich erhöhen müssen. Das wollen wir nicht mitmachen.

Wir als SPD-Fraktion stehen für eine klare, transparente und solide Finanzpolitik. Aus diesem Grund wollen wir dem Entscheidungsspielraum, den sich der Bundesfinanzminister gesichert hat – denn er kennt seine Koalition und seine Kombattanten -, um 2013 – das ist meine Vermutung – Steuersenkungen auf Pump zu finanzieren, einen Riegel vorschieben. Wenn Sie Ihre Sonntagsreden tatsächlich ernst meinen, dann könnten Sie heute unserem Vorschlag zustimmen. Das wäre ganz einfach.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das tun Sie aber nicht, weil Sie diesen Spielraum bewusst bestehen lassen wollen, obwohl eine breite Mehrheit im Bundestag die Schuldenbremse, die eine Neuordnung der finanzpolitischen Situation und Einlassungen mit sich bringen sollte, beschlossen hat. Sie verspielen auf diese Weise Glaubwürdigkeit und politische Unterstützung; dies werfe ich Ihnen vor. Sie verspielen sie langfristig, nicht nur in der Bevölkerung, sondern wahrscheinlich auch im Parlament. Denn wenn man schon bei der ersten Anwendung des Ernstfalls schummelt, wenn man Spielräume nutzt, die einem durch eine gute Konjunktur in den Schoß fallen, und wenn man die Neuverschuldung nicht konsequent abbaut, damit wir aus der Abhängigkeit von den Finanzmärkten herauskommen und das Primat der Politik endlich wieder etwas gilt, dann ist das ein Armutszeugnis für diese Regierung und letztendlich – das mache ich Ihnen zum Vorwurf – für das Parlament. Denn das Budgetrecht des Parlaments ist unser Kernrecht. Es ist in vielen Fragen über den europäischen Bereich bereits ausgehöhlt. Sie aber billigen dem Bundesfinanzminister einen Spielraum zu und nehmen ihn sich selbst. Es ist schon atemberaubend, wie schnell Sie sich von finanzpolitischer Solidität verabschiedet haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Um das zu unterstreichen, habe ich hier ein Zitat von Herrn Vizekanzler Rösler aus der Welt vom 24. Juni 2011. Er sagt:

Eine konkrete Steuersenkungsperspektive ist ein wichtiges Mittel, um weitere Ausgabenwünsche abzuwehren, und kann so helfen, den Haushalt tatsächlich nachhaltig zu konsolidieren.

Das ist schon Dialektik. Man will die Steuern senken, also die Einnahmen reduzieren, um den Haushalt zu konsolidieren. Das verstehe ich nicht ganz; das muss ich aber auch nicht.

Ich will nur sagen: Wenn ich mir Ihre mittelfristige Finanzplanung, Stand 2010, und die Eckpunkte für 2012 anschauen – nächste Woche wird ja im Kabinett der Beschluss gefasst -, dann muss ich feststellen: Sie haben allein auf der Ausgabenseite 18 Milliarden Euro Mehrausgaben, weil Ihr Sparpaket, das Herr Kollege Barthle hier gerade so schön dargestellt hat, nur in einem Punkt gegriffen hat, nämlich da, wo es die sozial Schwächsten trifft.

(Bettina Hagedorn (SPD): Genau!)

Das haben Sie konsequent umgesetzt. Der Rest sind Luftbuchungen. Die Finanztransaktionsteuer kommt nicht vor; sie ist mittlerweile herausgebucht.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Luftverkehrsabgabe!)

Das Gleiche gilt für die Brennelementesteuer etc. All dies kommt nicht.

Ich will jetzt nicht auf die Bundeswehrreform eingehen, Herr Kollege Barthle. Ich schätze ja Herrn de Maizière sehr. Aber das Stückwerk, das er von Herrn zu Guttenberg übergeben bekommen hat, führt dazu, dass von den Einsparungen in Höhe von 8 Milliarden Euro 5 Milliarden nicht verwirklicht werden können, was sich jetzt hier niederschlägt.

Dass die FDP darüber sauer ist, kann ich verstehen; denn ihre Entlastungsperspektive ist dadurch vollkommen weg. Dass jetzt aber Geschäfte zulasten des Staates gemacht werden – der eine bekommt mehr Geld zum Ausgeben, der andere bekommt es im Wege von Steuersenkungen -, wodurch im Endeffekt die Schulden steigen und die Kredite in einer historischen Situation, in der wir Wachstum haben, das wir hoffentlich behalten werden – ich bin allerdings sehr skeptisch, ob sich das langfristig in Deutschland halten wird -, nicht abgebaut werden, zeigt, dass Sie an dieser Stelle versagen. Es wäre Ihre verdammte Pflicht, die exzellenten Zahlen zu nutzen, um das Defizit deutlich weiter herunterzufahren.

Sie hätten heute hier die Chance, Glaubwürdigkeit, auch im Hinblick auf den Kabinettsbeschluss in der nächsten Woche, zu zeigen und als Parlament der Regierung etwas Maßgebliches mit auf den Weg zu geben. Ich kann Sie dazu nur auffordern. Im Interesse der Unabhängigkeit der Bundesrepublik in der Finanzierung und zur Vermeidung der Abhängigkeit von Investoren, davon, ob sie uns Geld geben oder nicht, wäre das notwendig.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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