Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen heute eine sehr ernste Debatte zum Thema Euro-Stabilität. Ich hätte nach der Rede des Bundesfinanzministers und der, wie ich finde, sehr ausgewogenen und verantwortungsvollen Antwort des Fraktionsvorsitzenden der SPD

(Beifall bei der SPD)

erwartet, dass die beiden Fraktionsvorsitzenden der Koalitionsfraktionen nicht in Beschimpfungen und tiefste Bierzeltrhetorik verfallen,

(Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Geben Sie doch zu, dass Sie enttäuscht sind!)

sondern versuchen, um Zustimmung zu werben. Herr Kauder, ich habe kein einziges Zeichen des Werbens um Zustimmung zu dieser wichtigen Maßnahme erkennen können.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Sie haben doch schon die Ablehnung beschlossen! Heucheln Sie doch hier nicht rum!)

Nein. Sehr geehrter Herr Kauder, Sie scheinen die Anträge der Oppositionsfraktionen nicht einmal mehr zu lesen. So viel Arroganz habe ich selten erlebt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder (CDU/CSU): Sie haben es doch schon beschlossen!)

Wir haben uns mit unserem Antrag ganz klar positioniert. Wir sind für eine Hilfe für Griechenland, allerdings bei einer klaren und strikten Gläubigerbeteiligung. Ich komme darauf zurück. Das liefern Sie nämlich nicht. Das ist nur Rhetorik, was Sie in ihrem Antrag schreiben.

Es geht um die Frage – das ist ein weiterer entscheidender Punkt, auf den Herr Kollege Kuhn eben eingegangen ist – wie Griechenland aus der Krise wieder herauskommt. Reine Sparprogramme und Programme, die den Ausverkauf des griechischen Staates vorsehen, werden nicht reichen, um dieses Land wieder auf einen Wachstumskurs zu bringen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie hatten viele Fraktionssitzungen in dieser Woche. Es waren ja Ihre Kollegen, die permanent, auf niedrigstem Niveau, gegen die Rettung des Euro und damit auch gegen die Stabilität des Euro-Systems klagen: Sie klagen vor dem Verfassungsgericht, sie klagen in der Öffentlichkeit, und sie verdummen die Öffentlichkeit. Hier wurden rein innenpolitische Reden gehalten, aber keine, die der Verantwortung letztendlich gerecht geworden sind.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister Schäuble, Sie haben heute zu Griechenland geredet und davon gesprochen, dass vielleicht noch irgendetwas kommt. Ich habe aber keine einzige Zahl gehört, die beziffert, wie viel denn noch kommt. Die Auskunft darüber sind Sie nicht nur uns, dem Bundestag, sondern auch der Öffentlichkeit schuldig geblieben. Wir müssen im Haushaltsausschuss in der nächsten Woche entscheiden. Sind es nun 90 Milliarden Euro zusätzlich, sind es 80 Milliarden Euro, oder sind es 110 Milliarden Euro? Nichts haben Sie gesagt. Sie bleiben die Antworten schuldig. Ihre Strategie des vergangenen Jahres bestand in Tricksen und Täuschen; nur so haben Sie die Zustimmung der Koalitionsfraktionen bekommen. Damit erhalten Sie aber nicht die Zustimmung der Bevölkerung, im Gegenteil. Sie bedienen Ressentiments. Ihr Verhalten führt dazu, dass letztendlich niemandem mehr klar ist: Um wie viel geht es hier eigentlich?

Ich will nun zu Griechenland kommen und Bilanz ziehen. Sie haben sich Zeit gekauft, und zwar ein Jahr. Öffentliche Gelder in Höhe von 60 Milliarden Euro – Geld der europäischen Steuerzahler, nicht nur der deutschen – sind zu Privaten transferiert worden, die ihre Anleihen nun nicht mehr halten. Was mit der Europäischen Zentralbank geschehen ist, stellt den größten Sündenfall überhaupt dar. Das haben Sie, Herr Brüderle, zu verantworten. Als Sie Bundeswirtschaftsminister waren, haben Sie zugelassen, dass die Europäische Zentralbank ihre Unabhängigkeit verloren hat,

(Rainer Brüderle (FDP): Ich?)

weil sie mittlerweile Staatsanleihen aufkauft. Das ist ein Unding. Dazu habe ich von Ihnen kein Wort gehört, als Sie Bundeswirtschaftsminister waren.

(Rainer Brüderle (FDP): Sie haben nicht zugehört!)

Der Bundesbankpräsident hat seinen Hut genommen. Das alles geht an Ihnen spurlos vorbei, und Sie behaupten glatt das Gegenteil. Das ist der Erfolg Ihrer Koalition gewesen. Die EZB hat nicht mehr im Entferntesten die Unabhängigkeit und die Glaubwürdigkeit, die die Bundesbank einmal hatte. Sie ist letztendlich zur Bad Bank Europas geworden. Das haben Sie mitzuverantworten. Dazu höre ich kein kritisches Wort von Ihnen.

Ich komme auf die Gläubigerbeteiligung zurück. Schulden Griechenlands bei privaten Gläubigern in Höhe von 60 Milliarden Euro wurden von der öffentlichen Hand übernommen. 50 Milliarden Euro Schulden übernahm die Europäische Zentralbank. Somit sind mittlerweile private Kredite an Griechenland in Höhe von 110 Milliarden Euro von der öffentlichen Hand ausgelöst worden. Sie reden viel von Gläubigerbeteiligung, aber Sie tun das Gegenteil. Sie haben sich ein Jahr lang Zeit erkauft, aber nichts ist passiert. Im Gegenteil: Diejenigen, die Gläubiger Griechenlands waren und eine Verantwortung für Griechenland hatten, machen sich vom Acker, und der Steuerzahler bezahlt. Das ist die Konsequenz Ihrer Politik. Diese Politik können Sie auch nicht mit wohlfeilen Anträgen verbergen.

(Beifall bei der SPD)

Für griechische Anleihen betrug der Risikoaufschlag 2010, als wir hier das Rettungspaket beschlossen haben, zeitweise knapp 11 Prozent. Wissen Sie, wie hoch er heute ist? 23 Prozent. Ist das ein Erfolg? Ist das eine Verbesserung der Situation? Nein. Unter dem Strich sind die Rettungsmaßnahmen gescheitert, weil sie einseitig rein fiskalisch gedacht wurden – ohne jeden ökonomischen Sachverstand.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie führen einzig und allein dazu, dass die Wirtschaft Griechenlands abgewürgt wird.

Sie sind auf diesem Auge blind. Deswegen sagen wir Sozialdemokraten: Sie gehen in die falsche Richtung. Sie werden wieder mehr Geld verlangen, und es wird wieder keine Perspektive für dieses Land geben. Das kann man weder den Menschen in Deutschland noch denen in Griechenland vermitteln, und man kann so auch nicht um ihre Zustimmung werben.

Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, dass der dauerhafte Rettungsmechanismus, um den es am 24./25. Juni 2011 gehen wird, ein Irrweg ist. Früher haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, gesagt: Es gibt gar kein Geld. – Dann floss im Mai 2010 auf einmal Bargeld. Im Juni behaupten Sie, es solle nur ein kurzfristiger Rettungsmechanismus sein. Jetzt soll es einen dauerhaften Rettungsmechanismus geben. All diese Fehler wollen Sie jetzt natürlich nicht mehr hören. Diese Fehler haben dazu geführt, dass an den Märkten und in der Bevölkerung kein Vertrauen mehr entsteht.

Der geplante Rettungsmechanismus hat einen Kernfehler: dass wieder nur Kredite gegeben werden sollen. Wenn man eine konsequente, dauerhaft tragfähige Antwort geben will, die Europa von der Macht der Ratingagenturen unabhängig macht, dann muss man das Instrumentarium so erweitern, wie es Ihnen der Chef des Euro-Rettungsfonds, Herr Regling, aufgeschrieben hat. Es muss zusätzlich die Möglichkeit von Garantien geben. Das gäbe uns die Möglichkeit einer sanften Entschuldung, die nicht zu einem Zahlungsausfall führt und die Gläubiger beteiligt. Vor allen Dingen würde so ein Kernproblem gelöst: dass diese 500 Milliarden Euro, die ab 2013 zur Verfügung stehen sollen, mit Sicherheit nicht reichen werden. Es gibt nämlich schon eine Vorbelastung von 200 Milliarden Euro aus den bisherigen Krediten. Daher stehen eigentlich nur 300 Milliarden Euro zur Verfügung. Das mag für die Öffentlichkeit nach viel klingen, ist aber mit Blick auf den gesamten europäischen Bereich nicht wirklich ein überzeugendes Argument, mit dem man sagen könnte: Damit sichern wir die Unabhängigkeit der Euro-Zone.

Ich prophezeie: Sie werden wieder vor den Deutschen Bundestag treten – wie Sie es auch im Falle des kurzfristigen Rettungsmechanismus tun mussten – und sagen: Wir brauchen zusätzliches Geld, nicht nur für Griechenland, sondern auch für den Übergangsfonds. – Auch dazu habe ich heute nichts gehört. Es wurden weder Öffentlichkeit noch Transparenz hergestellt. Es gab nur wohlfeile Reden und Populismus. So gewinnen Sie nicht die Zustimmung der Opposition und nicht die Zustimmung der Bevölkerung. Da sind Sie auf dem falschen Weg.

(Beifall bei der SPD)

Kommen Sie uns und unseren Vorlagen – wir haben im nächsten Halbjahr Zeit, zu entscheiden – entgegen; wir reichen Ihnen die Hand. Aber dafür müssen Sie erstens wissen, was Sie wollen, und zweitens bereit sein, nicht nur zulasten der einfachen Leute, der Steuerzahler zu handeln, sondern über eine Finanztransaktionsteuer letztendlich auch die Finanzindustrie zu beteiligen. Das wäre Ausdruck eines sozialen Europa, das dann diese Bezeichnung wirklich verdient hätte.

(Beifall bei der SPD)

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Barthle, Sie haben mit dem Satz geschlossen, dass Sie um das Vertrauen werben ? nicht nur des Bundestages, sondern sicherlich auch der Bevölkerung. Nun will ich Ihnen zugestehen, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Stabilisierungsmaßnahmen des Euros ? und nicht nur der Bevölkerung, sondern auch derer, die uns Geld geben; das sind letztlich die Versicherungen und Banken ?

(Otto Fricke (FDP): Was?)

entscheidend dafür ist, dass wir dauerhaft eine Stabilisierung der Eurozone erreichen. Die Frage ist nur: Wie informieren Sie dieses Parlament seit einem Jahr über alle die Dinge, die mit dem Euro und der Staatsfinanzierungskrise zusammenhängen?

(Beifall bei der SPD)

Sie informieren häppchenweise. Sie sind Getriebene der Märkte. Sie sind Getriebene Ihrer eigenen Skepsis in der Koalition. Es ist ja so, dass Sie in Bezug auf die Zustimmung zu den Maßnahmen für die Stabilisierung des Zusammenhalts Europas in Ihrer Koalition heftigen Widerstand haben.

(Otto Fricke (FDP): Ihr macht also mit?)

Schließlich sind es Ihre Mitglieder, die gegen die verschiedenen Maßnahmen vor dem Verfassungsgericht klagen, und nicht etwa die Opposition.

Das, was Sie hier tun, ist durch Verheimlichen, Tricksen und Leugnen gekennzeichnet. Das gilt ganz klar auch bei dem Punkt Griechenland. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat heute kurz ausgeführt, es gebe darüber Diskussionen. Darüber gibt es keine Diskussionen, sondern es ist klipp und klar: Griechenland wird mit den bisher zugesagten 110 Milliarden Euro nicht auskommen. Vorgesehen war, dass Griechenland sich im Jahr 2012 zum Teil wieder selbstständig am Kapitalmarkt refinanziert. Schon jetzt steht fest, dass das nicht gelingen wird. Deswegen wäre es notwendig gewesen, heute an dieser Stelle im Deutschen Bundestag darüber Klarheit zu schaffen, anstatt Geheimtreffen in Luxemburg zu veranstalten und diese zu leugnen, um dann am Montag im Ecofin eine Lösung zu präsentieren. Der Bundestag ist der Ort, an dem so etwas diskutiert werden muss.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der Frage der Krisenprävention geht es darum, wie wir die Stabilität der Eurozone hinbekommen. Es geht doch gar nicht um die Stabilität des Euro. Zu Beginn haben Sie ja immer gesagt, es gehe um den Euro. Der Euro steigt und fällt. Das hat relativ wenig damit zu tun.

(Otto Fricke (FDP): Was?)

Vielmehr geht es darum, ob Länder bankrottgehen und ob sie in der Eurozone bleiben. Damit stellt sich die Frage, ob es die Europäische Union so, wie sie sich bisher erfolgreich entwickelt hat, weiter geben wird. Diese Frage hängt elementar mit der Haushalts- und Finanzpolitik und letztendlich auch mit einer weiteren koordinierten Wirtschaftspolitik zusammen.

Man muss ganz klar sagen, dass das bisher dazu ? insbesondere zum Punkt Griechenland ? Vorgelegte einfach nicht überzeugend ist. Es ist ein Leugnen der wirtschaftlichen Situation Griechenlands, wenn Sie behaupten, 2013 könnten die Griechen wieder an den Kapitalmarkt gehen. Das ist eine pure Illusion. Sie können doch nicht ernsthaft glauben, dass das einem Land möglich ist, das 2013 eine Gesamtverschuldung von 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, der wirtschaftlichen Leistung, aufweisen wird.

Deswegen ist es meines Erachtens klüger, schnell Schritte zu gehen, die es Griechenland dauerhaft ermöglichen, wieder selbstständig zu arbeiten.

(Otto Fricke (FDP): Welche? Nennen Sie einmal welche!)

Diese Schritte sind: Erstens. Die einseitigen Sparpakete und Austeritätsmaßnahmen, die hier gemacht wurden, führen nicht zu stärkerem Wirtschaftswachstum. Es ist richtig, Wirtschaftsreformen durchzuführen. Aber es ist falsch, auf Investitionen zu verzichten. Das wäre auch eine Aufgabe der Europäischen Union.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Eine Möglichkeit, den europäischen Marshallplan für die Peripheriestaaten Südosteuropas zu finanzieren, wäre die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Ich komme darauf noch zurück.

(Oliver Luksic (FDP): Warum haben Sie das denn nicht gemacht? Sie waren doch an der Regierung!)

Drittens: Gläubigerbeteiligung. Was erleben wir momentan? Sie können derzeit kurzläufige Anleihen Griechenlands kaufen und erzielen bei sechsmonatiger Laufzeit eine Rendite, die zwischen 10 und 13 Prozent pro Jahr liegt ? und das nahezu gefahrlos, weil Sie zugesagt haben, dass es bis 2013 keinerlei Einschnitte oder Gläubigerbeteiligung gibt. Das heißt: Das Kasino ist zurück. Die deutschen und europäischen Steuerzahler finanzieren die Gewinne und Renditen von Hedgefonds in diesem Land. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.

(Beifall bei der SPD)

Ich meine, dass es an dieser Stelle sinnvoller wäre, diese Gläubiger, die das Ganze im Übrigen zum Teil auch schon abgeschrieben und wertberichtigt haben, auch an den Restrukturierungsmaßnahmen zu beteiligen. Eine Option, die Sie bei dem kurzfristigen Stabilisierungsmechanismus ausgeschlossen haben, wäre gewesen, das Modell der Brady Bonds, die in Mexiko hervorragend funktioniert haben, zu nutzen, um europäische Garantien zu geben, aber auch den privaten Gläubigern ihre Mittel mit einem Kursabschlag zurückzuzahlen, damit sie sich im Rahmen einer Wertberichtigung an der Konsolidierung beteiligen.

(Beifall bei der SPD)

Das wäre ein Befreiungsschlag gewesen, der Griechenland auch geholfen hätte.

Stattdessen erleben wir, dass Sie europaweit isoliert sind.

(Oliver Luksic (FDP): Was ist mit Ihrer Enthaltung europaweit?)

Sie sind in der Frage der Gläubigerbeteiligung beim ESM isoliert. Sie haben das zwar mit den Staats- und Regierungschefs grob vereinbart, aber die halbe Welt ist dagegen.

Sie sind isoliert in der Frage, wie es mit der Europäischen Zentralbank weitergeht. Herr Sarkozy und Herr Berlusconi bestimmen mittlerweile, wie die Finanzpolitik in Europa aussieht. Diese beiden bestimmen durch Auftritte und Festlegungen, wer der neue Chef der Europäischen Zentralbank wird. Ich will klar sagen: Ich habe nichts gegen Herrn Draghi; ich halte ihn für kompetent. Aber dass Deutschland keine Rolle mehr bei dieser wichtigen Personalie spielt und auch sonst in europäischen Institutionen überhaupt nicht mehr vorkommt, ist auch ein Ergebnis Ihrer Isolationspolitik auf europäischer Ebene.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben den Bundesbankpräsidenten im Regen stehen lassen, als er die verdeckte Staatsfinanzierung in Form der Aufkaufprogramme der EZB kritisierte. Dies macht die EZB jetzt so handlungsunfähig und so willfährig, dass sie jedwede private Gläubigerbeteiligung ablehnt.

(Oliver Luksic (FDP): Bei der Bankenrettung hat die SPD auch keine Gläubigerbeteiligung durchgesetzt!)

Ich will schlussendlich aus einem bemerkenswerten Artikel von Frau Berschens aus der heutigen Ausgabe des Handelsblatts zitieren:

Die Kosten der Schuldenkrise werden allein den Steuerzahlern aufgebürdet ? und zwar schleichend. Zentralbanker und Regierungen setzen darauf, dass die Bevölkerung die komplexen Zusammenhänge nicht durchschaut ? und brav zahlt. Doch diese Strategie des Durchwurstelns birgt am Ende das größte aller systemischen Risiken: den Aufstand der Bürger gegen die Europäische Währungsunion.

(Otto Fricke (FDP): Ist Ihnen wieder nichts Eigenes eingefallen?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, dies geschieht nicht. Allerdings erfüllt es mich mit Sorge, wenn ich mir Ihre Politik dazu anschaue.

(Beifall bei der SPD)

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Die SPD-Fraktion legt heute den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Artikel 115-Gesetzes vor. Damit wollen wir nicht Ergebnisse der Finanzreform in Frage stellen oder verändern. Im Gegenteil, wir wollen durch Konkretisierungen im Gesetz erreichen, dass das, was der Gesetzgeber damals gewollt hat, auch tatsächlich vom Bundesfinanzminister umgesetzt wird. Denn dieser Bundesfinanzminister – der ja auch mal Verfassungsminister war – handelt Sinn und Geist der Regelungen der Schuldenbremse zuwider. Er will durch sinnwidrige Interpretationen der gesetzlichen Regelungen die gewollt stramme Schuldenbremse ausbremsen und sich einen doch noch möglichst großen Verschuldungsspielraum sichern.

Zum einen will der Bundesfinanzminister dadurch den Konsolidierungsdruck abschwächen. Weite Teile des sog. Sparprogramms vom vorigen Jahr sind nämlich nach wie vor nicht unterlegt. Wo ist denn das Konzept zur Einsparung bei der Bundeswehr? Wo ist denn das Konzept zur Einsparung bei der Bundesagentur für Arbeit? Wo ist denn der Gesetzentwurf zur Finanztransaktionssteuer, die ab 2012 gemäß Sparpaket eingeführt werden soll? Überall Fehlanzeige!

Zum anderen drängt sich ein Verdacht auf. Diese Koalition will dadurch, dass sie die Schuldenobergrenze so hoch wie nur möglich ansetzt, Spielräume für Steuersenkungen vor der nächsten Wahl schaffen. Solche Steuersenkungen wären nur auf Pump und nur durch Tricksereien bei der Schuldenbremse zu finanzieren. Und dagegen wehren wir uns mit dem vorgelegten Gesetzentwurf. Die grundlegende Konsolidierung des Bundeshaushalts ist notwendig und ohne Alternative. Deshalb muss die Schuldenbremse nach Geist und Sinn strikt eingehalten werden.

Worum geht es konkret? Der Bundesfinanzminister trickst vor allem bei der Festlegung des sogenannten strukturellen Defizits des Jahres 2010 als Ausgangswert für den Abbaupfad der Neuverschuldung bis 2016. Er trickst außerdem bei der Festlegung des konjunkturellen Anteils am Haushaltsdefizit. Mit dem Gesetzentwurf wollen wir ihn auf den Pfad der Tugend zurückholen und dies kommt nicht aus heiterem Himmel. Wir haben in vielen Sitzungen im Haushaltsausschuss und auch hier bei der Lesung des Bundeshaushalts im Parlament immer wieder gefordert, er möge sich an Geist und Sinn des Gesetzes halten. Dies war ohne jeden Erfolg und deshalb ist diese Gesetzesänderung notwendig.

Der Bundesfinanzminister soll verpflichtet werden, den Ausgangswert 2010 für den Abbaupfad bis 2016 an der tatsächlichen Entwicklung auszurichten und nicht willkürlich an dem im vorigen Sommer für 2010 erwarteten Wert. Das damals für 2010 erwartete Defizit lag bei 65 Mrd. Euro, das tatsächliche Defizit liegt jetzt bei 44 Mrd. Euro. Diese erfreuliche enorme Absenkung um 21 Mrd. Euro muss sich auch in einer entsprechenden Absenkung des Abbaupfades widerspiegeln. Das ist völlig plausibel und eigentlich selbstverständlich, denn der enorme Aufschwung in 2010 hat die Bundesfinanzen durch höhere Steuereinnahmen und geringere Arbeitsmarktausgaben erheblich verbessert. Diese Verbesserung wirkt als Sockeleffekt in die nächsten Jahre fort. Hingegen bekräftigt die Bundesregierung noch im Jahreswirtschaftsbericht, sie wolle bei ihrer Festlegung der Verschuldungsobergrenze für die Aufstellung des Bundeshaushalts 2012 und der Finanzplanung bis 2015 von dem völlig überhöhten Wert von 65 Mrd. Euro ausgehen.

Was bedeutet das für 2012 in Zahlen? Bei einem angenommenen Sockel von 65 Mrd. Euro in 2010 liegt die Schuldenobergrenze für 2012 um 11,5 Mrd. Euro höher als bei dem tatsächlichen Sockel von 44 Mrd. Euro. Eine solche Absenkung klingt zunächst nach viel und nach einem riesigen Problem für den Bundesfinanzminister. Der Eindruck ist aber falsch, denn diese Absenkung ist Folge der deutlich besser als erwarteten Wirtschaftsentwicklung, die auch den Bundeshaushalt 2012 wesentlich besser aussehen lassen wird als in der bisherigen Finanzplanung angenommen. Ich gehe von konjunkturellen Verbesserungen für den Bundeshaushalt 2012 von mindestens 15 Mrd. Euro gegenüber dem Finanzplan aus. Dies ist deutlich mehr als die beschriebene Absenkung der Obergrenze um 11,5 Mrd. Euro, die unser Gesetzentwurf zur Folge haben wird. Im Prinzip wird also nur der Spielraum eingedampft, den die Konjunktur geschaffen hat. Und dagegen wehrt sich BMF nun so vehement. Warum? Ich wiederhole: Sie wollen den Konsolidierungsdruck entgehen und bauen vor für Steuersenkungen auf Pump und das ist unverantwortlich.

Sie stehen dabei völlig alleine. Bislang habe ich niemand aus Wissenschaft oder Wirtschaft gehört, der ihre Auffassung zur Festlegung des Sockels 2010 teilt. Im Gegenteil haben Bundesrechnungshof, der Sachverständigenrat und die Bundesbank wie wir gefordert, von aktuellen Daten auszugehen. Die Bundesbank hat dies in ihrem letzten Monatsbericht nochmals ganz deutlich unterstrichen.

Auch bei der Berechnung der Konjunkturkomponente des Defizits hat der Bundesfinanzminister während des gesamten letzten Jahres getrickst, desinformiert bzw. nur scheibchenweise informiert. Der Haushaltsausschuss wurde regelrecht für dumm verkauft, wenn seitens des Bundesfinanzministeriums behauptet wurde, es brauche Monate, um auf ein neues Verfahren umzustellen. Institute und der Sachverständigenrat konnten dies binnen Stunden. Wir mussten lernen, dass BMF auch hier bei der Berechnung Ermessensspielräume hat, die im Extrem die Schuldenobergrenze um 6 bis 8 Mrd. Euro nach oben schieben können. Für mich als Parlamentarier ist das mit Blick auf das Budgetrecht nicht hinnehmbar. Der Bundesfinanzminister darf nicht solche Entscheidungsspielräume haben und damit dem Parlament die Schuldenobergrenze nach gusto diktieren. Wir hatten ihn deshalb schon während der Haushaltsberatung aufgefordert, die Berechnung der Konjunkturkomponente an eine unabhängige Institution, nämlich den Sachverständigenrat zu übertragen. Der Bundesfinanzminister hat dies persönlich im Haushaltsausschuss auch nicht abgelehnt und soll jetzt durch unseren Gesetzentwurf dazu verpflichtet werden.

Die SPD will, dass die Regelungen zur Schuldenbremse auf Punkt und Komma und nach Sinn und Geist eingehalten werden. Die Konkretisierung des Gesetzes wird dies garantieren.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Sozialdemokraten stimmen den Hilfen für Irland zu.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir tun dies im Bewusstsein unserer Verantwortung für ein friedliches Europa. Wir tun dies nicht ? entgegen den gerade wieder vorgetragenen Argumenten ? für eine Rettung des Euro, Kollege Barthle. Es geht nicht um den Kurs des Euro, der tagtäglich schwankt. Vielmehr geht es darum, dass, wenn ein Land aus der Währungsunion aussteigt, der zweite Schritt der Ausstieg aus der Europäischen Union ist. Das ist die Gefahr, vor der wir stehen. Wir wollen eine gemeinsame Europäische Union, weil nur sie zum Beispiel dafür sorgen kann, dass die Finanzmärkte gezähmt werden. Das geht nur durch eine gemeinsame Linie innerhalb der Europäischen Union.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen muss sie erhalten bleiben. Vor dieser Frage stehen wir.

Eine politische Union muss aber auch politische Antworten geben. Alles, was bis jetzt verabredet wurde, sind Geld und Kredite – und das alles sehr kurzfristig. Wir sind Getriebene der Märkte. Politische Entscheidungen werden mittlerweile morgens im Kanzleramt mit dem Blick auf den Ticker bzw. darauf getroffen, wie sich die Kurse ändern. So werden heute politische Entscheidungen durch Ihre Regierung getroffen. Das ist fatal.

(Beifall bei der SPD)

Das ist nicht das Primat der Politik, Frau Bundeskanzlerin, das Sie vor einer Woche hier gefordert haben, sondern das ist das Gegenteil.

Eine politische Antwort wäre, die Spirale der Spekulation und der Verunsicherung zu durchbrechen. Wir Sozialdemokraten haben in unserem Antrag ganz konkrete Vorschläge dazu gemacht. Sie als Koalitionsfraktionen sind nicht mit einer Silbe darauf eingegangen und haben sie sich nicht zu eigen gemacht. Die Verunsicherung bei Ihnen ist so stark ? ich brauche mir nur die Pressemitteilungen der FDP vom gestrigen Tag anzuschauen ?, dass es schwer genug ist, diesen Laden zusammenzuhalten,

(Joachim Poß (SPD): So ist es!)

geschweige denn für eine gemeinsame Initiative und eine gemeinsame Aktion aller hier vertretenen Fraktionen zu sorgen. Ich bedauere dies ausdrücklich.

(Beifall bei der SPD)

Es zeigt sich die Abhängigkeit der Politik von den Märkten. Da Sie uns Irland immer als das Heilsmodell der ökonomischen Entwicklung gepriesen haben und weil die Märkte für Sie das Evangelium sind, frage ich Sie, warum Sie die Märkte dann so treiben lassen. Warum greifen Sie nicht ein, indem Sie klare Regularien aufstellen? Warum greifen Sie nicht ein, indem Sie unseren Vorschlägen folgen?

Zur Akzeptanz dieses Programms in der deutschen Bevölkerung gehört, Frau Bundeskanzlerin, auch einmal klar öffentlich dazu Stellung zu beziehen. Diese klare Ansage würde aber auch bedeuten zu sagen: Das ist nicht umsonst. Das wird uns höchstwahrscheinlich etwas kosten. Die Frage ist dann, wer dafür zahlt. Die Position der SPD ist da eindeutig: Wir wollen auf europäischer Ebene, dass diejenigen, die die Krise verursacht haben, auch zahlen.

(Beifall bei der SPD)

Das bedeutet die Einführung einer Finanztransaktionsteuer. Dazu ist von Ihnen nichts zu hören.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Wie kann man so etwas fordern, wenn man genau weiß, dass es nicht durchsetzbar ist?)

Zur Ehrlichkeit und zur Akzeptanz der Stabilisierungsmaßnahmen: Wir erleben Gipfel für Gipfel. Nachdem die EZB gerade keine Entscheidung für eine Ausweitung des Ankaufsprogramms getroffen hat ? dies begrüße ich sehr ?, wird darüber spekuliert, dass es vielleicht schon wieder einen Gipfel gibt. Als Nächstes sind Portugal, Spanien, Belgien und Italien im Fokus. Aber das alles hilft uns nicht.

Ich hätte erwartet, dass von dem Gipfel am Sonntag in Brüssel ? Stichwort „Ecofin“ ? ein klares Signal des Sich-ehrlich-Machens der Staaten ausgeht, die im Feuer stehen. Das heißt erstens, deutlich zu machen, wie die Situation ist, und zweitens die Rettungsmaßnahmen, die Hilfsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen und nicht so lange zu warten, bis es gar nicht mehr anders geht. Das ist die Bankrotterklärung der Politik.

(Beifall bei der SPD)

Ich will auf einen für uns Sozialdemokraten sehr wichtigen Punkt zu sprechen kommen, der von Ihnen wie eine Monstranz vor sich hergetragen, aber nicht verwirklicht wird. Das ist die Frage der Gläubigerbeteiligung.

(Dr. Peter Danckert (SPD): Richtig!)

Es ist vollkommen klar, dass derjenige, der eine Anleihe zeichnet, einen höheren Zins bekommt, aber auch ein höheres Risiko trägt und im Zweifel haften muss. Die Haftung wird jetzt für zwei Jahre komplett ausgesetzt. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben in Deauville nicht nur alle europäischen Partner mit Ihrer Verhandlungsführung und dem mit Herrn Sarkozy erzielten Ergebnis vor den Kopf gestoßen, sondern Sie haben auch die Märkte verunsichert, weil Sie sie im Unklaren lassen. Sie haben gar kein Konzept, wie die Gläubigerbeteiligung aussehen soll. Deswegen ist es berechtigt, dass aus den anderen europäischen Hauptstädten zu hören ist, dass Sie zum Teil Schuld daran haben, dass es Verunsicherung gibt.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das, was verabredet wurde, machen Sie sich jetzt zu eigen. Der Antrag der Koalitionsfraktionen ist beinahe eine Art Misstrauensvotum gegenüber dem Ergebnis, das Finanzminister Schäuble erzielt hat. Sie sprechen sich für automatische Sanktionen aus. Dies haben Sie aber in Deauville geopfert. Es gibt keine automatischen Sanktionen; Sie fordern sie lediglich. Sie sprechen sich dafür aus, dass Gläubiger immer beteiligt werden sollen. Wir als Sozialdemokraten unterstützen das. Wer ein Risiko eingeht, wer einen höheren Zins bekommt, muss die Zeche zahlen. Nicht der Steuerzahler muss einspringen, sondern die Investoren müssen zahlen. Das gehört zur Marktwirtschaft; sonst wird sie auf den Kopf gestellt.

(Beifall bei der SPD)

Das ist aber nicht verabredet. Man muss sich das genau anschauen. Sie unterscheiden in dem vorgeschlagenen Kompromiss bei der Frage der Gläubigerbeteiligung, ob der betroffene Staat Liquiditätsprobleme oder Solvenzprobleme hat. Bisher konnte mir niemand erklären, woran dieser Unterschied festgemacht wird.

(Joachim Poß (SPD): Das wird gleich erläutert!)

Darüber wird eine politische Entscheidung getroffen werden, auch wenn Sie das ausschließen wollen. Genau das wird passieren. Deswegen befürchte ich, dass diese Klausel niemals in Kraft treten wird, dass es niemals zu einer Gläubigerbeteiligung kommen wird. Sie werden immer politische Entscheidungen treffen. Das ist ein Fehler.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen hier klare Ansagen, klare Regularien und keine Betrachtung von Fall zu Fall und auch keine Unterscheidung von Aspekten, die man gar nicht unterscheiden kann. Das Finanzministerium konnte mir gestern im Haushaltsausschuss anhand der beiden Fälle Irland und Griechenland nicht erklären, wer ein Liquiditäts- und wer ein Solvenzproblem hat. Ich habe so schon kein Vertrauen in dieses Vorgehen, wie soll es dann in der Zukunft sein?

(Otto Fricke (FDP): Weil es bei Irland nicht geht!)

– Diese Frage wurde nicht beantwortet, Herr Kollege Fricke. – Das führt nur dazu, dass die Verunsicherung bestehen bleibt, dass es höhere Risikoaufschläge und Prämienzinsen geben wird. Aber das, was eine Marktwirtschaft ausmacht, nämlich dass Anleger und nicht der Steuerzahler für das höhere Risiko zahlen und geradestehen – ich vermute, es wird zu einem Ausfall der Gläubigerbeteiligung kommen -, wird nicht passieren.

Ich wäre froh und dankbar, Sie würden dem dezidierten und sehr konkreten Antrag der SPD-Fraktion zustimmen. Das würde Europa sicherer machen. Das würde zu einem sozialen Europa führen, in dem nicht immer die Spekulanten herrschen. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Dann hätten Sie mehr als Herr Sarkozy, der den Spatz in der Hand hat, wenn diese Rettungsaktionen vorüber sind. Sie, Frau Merkel, haben nach dem derzeitigen Verhandlungsstand jedenfalls nicht die Taube auf dem Dach.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor dieser Abstimmung gab es die Beschlussfassung zum Bundeshaushalt 2011. Dieser sieht für die kommunalen Finanzen gravierende Veränderungen vor. So gibt es Kürzungen im Bereich der Städtebauförderung. Änderungen ergeben sich aber auch durch die Brennelementesteuer, die gerade den Bundesrat passiert hat. Dies alles führt zu deutlichen Mindereinnahmen der Kommunen und der Länder in den nächsten Jahren. Für uns ist die Balance der Interessen von Ländern, Kommunen und des Bundes nicht mehr gegeben.

Aus diesem Grund sage ich Ihnen klipp und klar: Wir haben im Haushaltsausschuss des Bundestages einen Antrag zur Stärkung der kommunalen Finanzen eingebracht, der vorsieht, die Mittel zur Deckung der Kosten für die Unterkunft um 400 Millionen Euro zu erhöhen.

(Beifall bei der SPD)

Das geht auf unseren Beschluss vom März dieses Jahres zurück, der vorsieht, einen Rettungsschirm für die Kommunen aufzuspannen. Zudem haben wir beschlossen, das Ungleichgewicht zwischen finanziell starken und finanziell schwachen Kommunen durch eine stärkere Beteiligung des Bundes an den Kosten der Grundsicherung ? wir schlagen 300 Millionen Euro vor ?, die vor allem die sozial schwachen Kommunen belasten, zu beseitigen.

Weil Sie diesen Anträgen, die dazu dienen, die Kommunen gezielt zu entlasten und ihre Leistungsfähigkeit dauerhaft zu stabilisieren, nicht gefolgt sind, weisen wir den Einspruch des Bundesrates nicht zurück.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die Haushaltswoche hinter uns. Die Debatten zum Haushalt 2011 wurden in unterschiedlicher Qualität und Intensität geführt. Wir führen die Debatten vor dem Hintergrund einer kritischen Situation auf den internationalen Finanzmärkten. Der Brand ist noch nicht gänzlich gelöscht und flackert immer wieder auf. Ein wichtiges Thema ist dabei die Staatsfinanzierung ? Stichwort: Irland ? in Europa. Darauf werde ich später noch eingehen.

Die Kernfrage ist, ob dieser erste schwarz-gelbe Haushalt und die Finanzplanung, die wir eben zur Kenntnis genommen haben, den Anforderungen, die das Grundgesetz mit der Schuldenbremse stellt, gerecht werden. Dabei sind auch die Verlautbarungen der Bundeskanzlerin auf europäischer Ebene von Bedeutung. Wir haben viel darüber debattiert, ob die Maßnahmen, die Sie getroffen haben, sozial gerecht und ausgewogen sind.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Fragen Sie den Seeheimer Kreis, was der dazu sagt!)

Da muss ich Sie nicht weiter katholisch machen. Sie sind es nicht. Die Maßnahmen gehen eindeutig zulasten der Arbeitnehmer, der Arbeitslosen und der Rentner in diesem Land. Sie sparen zulasten der Zukunft. Sie lassen diejenigen, die die Krise verursacht haben, Spekulanten und Banken, vollkommen ungeschoren davonkommen. Das ist der große Fehler dieses Haushalts.

(Beifall bei der SPD)

Konsolidierung braucht ein gesellschaftliches Backing. Wir brauchen dazu die Unterstützung der Bevölkerung. Wir sehen in anderen Teilen Europas, wie kritisch die Situation sein kann. Die Unterstützung der Bevölkerung suchen Sie aber nicht. Sie haben vielmehr mit den Maßnahmen, was die Kürzungen im Sozialbereich betrifft, maßgeblich die Ideologie der FDP durchgesetzt. Wir tragen das nicht mit. Wir haben Anträge eingebracht, in denen wir klar dargelegt haben, wie wir die Schuldenbremse einhalten und wie wir für einen sozialen Ausgleich sorgen können. Das könnten wir durch die Einführung eines erhöhten Spitzensteuersatzes, die Einführung eines Mindestlohns und durch die Rücknahme der Steuergeschenke an Hoteliers und andere, die zu Beginn des Jahres hier im Deutschen Bundestag verabschiedet worden sind.

Ich will auf die Schuldenbremse zurückkommen. Der Bundestag nimmt das Budgetrecht als höchstes Recht des Parlamentes wahr. Ich habe in den letzten drei Monaten erlebt, dass die Koalitionsabgeordneten dieses Recht vollkommen aus der Hand gegeben haben. Der Bundestag ist aufgrund der nicht nachvollziehbaren Berechnungen des Finanzministeriums einer Selbstentmachtung einen weiteren Schritt entgegengegangen. Herzlichen Glückwunsch, FDP.

(Beifall bei der SPD – Otto Fricke (FDP): Gleichzeitig sagt ihr, wir haben zu viel geändert!)

Ich möchte zu dieser Frage, die ich wirklich für eine sehr grundsätzliche Frage halte ? es geht um die Gewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament ? noch etwas sagen.

(Otto Fricke (FDP): Noch nie hat ein Parlament so viel geändert!)

Wir sehen hier kein selbstständiges Parlament mehr,

(Zurufe von der FDP: Oh!)

sondern wir stehen vor der Situation, dass Sie dem Bundestag Macht und die Fähigkeit, ein Gegengewicht zur Regierung zu bilden, entzogen haben. Sie haben das im Kern noch nicht einmal zur Kenntnis genommen.

(Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Erinnern Sie sich an das Jahr 2004!)

Wir werden zum Schluss namentlich abstimmen. Dem Berechnungsverfahren zur Schuldenbremse, die im Kern nichts anderes angibt als die maximale Höhe, die die Verschuldung erreichen darf, welches das Bundesfinanzministerium durchgeführt hat, trauen wir nicht. Sie alle können deshalb dem Bundesfinanzministerium das Vertrauen entziehen und haben heute die Gelegenheit, das Parlament zu stärken. Ich bin gespannt.

(Beifall bei der SPD)

Sie loben sich, Sie würden so stark konsolidieren.

(Otto Fricke (FDP): Sie kritisieren es ja!)

Zuerst war eine Kreditaufnahme von 80 Milliarden Euro geplant, jetzt liegt sie bei 50 Milliarden Euro. Ist das eigentlich Ihre Leistung, und ist das ausreichend? Ihre Leistung, Herr Fricke, ist es nicht. Das ist vielmehr konjunkturell bedingt. Es ist die Leistung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land und, mit Verlaub, zum Teil auch Ausfluss der Regierungspolitik ? ich erinnere an die Konjunkturprogramme ? der SPD.

(Beifall bei der SPD ? Otto Fricke (FDP): Und Helmut Schmidt! Vergessen Sie nicht Helmut Schmidt!)

? Dass Sie das nicht hören wollen, ist klar. Aber so viel zur Wahrheit.

Ich würde Ihnen empfehlen, einmal den Monatsbericht der Bundesbank vom November zu lesen. Normalerweise ist es so: Wenn Sie konjunkturell bedingte Mehreinnahmen haben, müssen Sie die zur dauerhaften Senkung der Kreditaufnahme nutzen. Das schreiben Sie im Übrigen ja auch den Griechen und einigen anderen ? ich meine, nicht zu Unrecht ? vor.

(Otto Fricke (FDP): Wir schreiben den Griechen gar nichts vor! Dieses wilhelminische Denken haben wir nicht!)

Was genau machen Sie aber? Dieser Haushaltsentwurf enthielt zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens eine höhere Kreditaufnahme. Die wird jetzt gesenkt. Konjunkturell bedingt ? also einfach dadurch, dass es besser läuft ? haben wir aber Mehreinnahmen von 11,2 Milliarden Euro bei Steuern und Zinsen bzw. Minderausgaben auf dem Gebiet des Arbeitsmarktes zu verzeichnen. Um wie viel sinkt jetzt die Kreditaufnahme? ? Um 9,1 Milliarden Euro. Sie, meine Damen und Herren, haben 2,1 Milliarden Euro während des Verfahrens verprasst. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD)

An dieser Stelle zitiere ich den Bundesbankbericht, der auch zum Thema Schuldenbremse sehr ausführlich ist:

Im Hinblick auf die neue Schuldenbremse ist kritisch zu beurteilen, dass offenbar bereits im ersten Jahr von einer konsequenten Umsetzung abgesehen wird.

Er führt weiter aus:

Da die krisenbedingten Belastungen für den Bundeshaushalt nun offenbar deutlich geringer ausfallen als befürchtet, ist der Ausgangswert und damit der Neuverschuldungsspielraum bis 2015 entsprechend niedriger anzusetzen.

Das tun Sie aber nicht. ? Weil es so profund ist, zitiere ich weiter:

Dadurch ergeben sich für die kommenden Jahre höhere Verschuldungsspielräume

? das ist die Kritik der SPD, die von der Bundesbank hier bestätigt wird, meine Damen und Herren ?,

bei deren Ausnutzung die notwendige Konsolidierung ? wie so oft ? in guten Zeiten auf künftige Jahre verschoben würde.

Meine Damen und Herren, Das ist Fakt, das beschließen Sie hier im Bundestag in zwei Stunden. Das geht vollkommen fehl. Man kann sich nicht in Europa als Schulmeister aufführen und zu Hause die Hausaufgaben nicht machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Otto Fricke (FDP): Wir führen uns nicht als Schulmeister auf!)

Ich zitiere weiter aus dem Bundesbankbericht:

Die klar dokumentierte Regelintention der neuen Schuldenbremse, die in der Währungsunion derzeit auch für andere Länder als Vorbild zur Sicherung tragfähiger Staatsfinanzen angesehen wird, würde damit gleich bei der ersten Anwendung in bedenklicher Weise übergangen und das Vertrauen in die langfristige Wirksamkeit der Reform entsprechend untergraben.

Meine Damen und Herren, das ist eine klassische Sechs für Ihre Finanzpolitik. Die taugt nichts, sie ist unsolide und unsozial.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Was hat der Herr Finanzminister in Bezug auf andere politische Fragen gemacht? Es gab viele Ankündigungen und kaum Ergebnisse. Was ist mit der Mehrwertsteuerreform? Es wurden eine Kommission eingesetzt und der Koalitionsausschuss damit befasst. Die brachten das Ergebnis: Darüber soll nicht entschieden werden. Bei der Gemeindefinanzreform kann er sich gegen die FDP nicht durchsetzen.

(Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zum Glück!)

Zusammenfassend stelle ich fest: Sie haben keinerlei Antworten.

Erwähnen muss ich noch den Punkt des systemischen Risikos der Landesbanken. Auf uns bzw. die Länder rollt ein mächtiger Tornado zu. Sie jedoch erwecken nicht mal den Anschein eines Versuchs, zu einem Gespräch einzuladen ? außer zu dem Kaffekränzchen, das Sie hatten ?, um hier eine Neuordnung zu schaffen. Denn es ist natürlich Aufgabe des Bundes, zumindest die Gesprächsführung in die Hand zu nehmen und die Betreffenden zu zwingen, ihre Probleme offen darzulegen. Dagegen ist Irland gar nichts. Auch da passiert nichts.

Wenn ich das alles unterm Strich nach einjähriger Arbeit, Herr Bundesfinanzminister, zusammenfasse, muss ich sagen, dass Sie den Ansprüchen, die Sie an sich selbst gestellt hatten und die in der Öffentlichkeit formuliert wurden, nicht gerecht werden. Im Gegenteil, Sie sind ein schwacher Finanzminister. Sie haben in wesentlichen Punkten versagt.

(Beifall bei der SPD)

Nur so kann ich mir erklären, warum die Bundeskanzlerin so kräftig an Ihnen festhält, denn was kann einem Kabinettschef Besseres passieren als ein Finanzminister, der keinen Ärger macht, sondern alles mehr oder weniger durchwinkt.

(Otto Fricke (FDP): Ach, Steinbrück hat keinen Ärger gemacht?)

Ich will aber noch zu dem zweiten Punkt, der uns bewegt, kommen, nämlich Irland bzw. die europäische Krise. Die Situation dort ist sehr kritisch. Sie haben uns im Mai ? im Rahmen einer Tröpfchentaktik ? erst das Problem Griechenland auf den Tisch gelegt. Dann haben Sie uns den Rettungsschirm vorgelegt, von dem Sie nicht wussten, dass er verabschiedet werden sollte. Frau Merkel, Sie sind nach Brüssel geflogen und sind überrascht worden. Dort ist ein Rettungsschirm über 750 Milliarden Euro verabschiedet worden; der entsprechende Gesetzentwurf zum Rettungspaket wurde dann hier in den Bundestag eingebracht. Die Kernaussage war: Die Summe ist so groß, und der Rettungsschirm wirkt allein dadurch so abschreckend, dass er nie in Anspruch genommen wird.

(Otto Fricke (FDP): Wer hat das gesagt? – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Danckert (SPD): Sie müssen zuhören!)

? Das war die Aussage der Bundesregierung.

Jetzt stelle ich fest: Genau das passiert nicht. Die Abschreckung hat nicht funktioniert. Sie werden nächste Woche kommen und sagen: Irland braucht Geld. Wie wir uns verhalten werden, hängt davon ab, welche Konditionen Sie dort ausgehandelt haben werden. Die Fragen sind: Werden die Finanzmärkte gezähmt? Wer zahlt eigentlich die Zeche für die Krise? Ist unlauterer Steuerwettbewerb in der Europäischen Union weiterhin Konsens? Es bleibt also festzuhalten, dass dieser große Schirm, die Macht der großen Zahlen, an dessen Zustandekommen Sie nur gering beteiligt waren, dann aber letztendlich hier mit einer Woche Beratungszeit durchgepeitscht haben, nicht funktioniert hat.

Deswegen, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Herr Finanzminister, gilt: Sie sind und bleiben Getriebene und Gehetzte der Märkte. Wir haben nicht das Primat der Politik, im Gegenteil. Auch wenn die Bundeskanzlerin das am Mittwoch behauptet hat, ist es de facto nicht so. Jede neue Ausweitung der Spreads, jede Ausweitung der Zinsspanne, führt zu Verunsicherung.

(Otto Fricke (FDP): Da siehst du mal, wohin uns elf Jahre SPD gebracht haben!)

Es hilft nichts ? ich weiß, dass Ihnen das wehtut, Herr Fricke ?,

(Otto Fricke (FDP): Nein, ich bin traurig über die SPD!)

hier immer wieder mit der Tröpfchentaktik zu kommen. Das wird zu keiner Beruhigung führen, weil nach Irland Portugal folgen wird. Das ist vollkommen klar. Danach wird man sich die Nächsten herausbrechen.

(Otto Fricke (FDP): Wissen Sie das?)

Es werden Spanien oder Italien sein. Die FAZ spekuliert darüber. Damit ist vollkommen klar: Dieser Schirm wird nicht ausreichen.

(Otto Fricke (FDP): Haben Sie darüber Kenntnisse?)

Deswegen ist es so, dass Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, bei der Regulierung der internationalen Finanzmärkte versagt haben. Nichts ist in Seoul durchgesetzt worden: keine Finanztransaktionsteuer auf europäischer Ebene, keine stärkere Bankenaufsicht. Es gab auch keine Antworten auf die elementaren Fragen, wie es insgesamt mit dem Euro weitergeht.

Meine Damen und Herren, das ist ernüchternd und erschütternd.

(Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Ihre Rede ist ernüchternd und erschütternd!)

Wir brauchen hier aber eine Bundesregierung, die weiß, was sie will, die einen klaren Fahrplan hat und die nicht so ungeschickt agiert, dass sie redet, bevor sie weiß, was sie will, was ja zu noch stärkerer Verunsicherung führt. Wir brauchen eine Bundesregierung, die führt. Ich hoffe, dass zumindest die Partner auf europäischer Ebene das Notwendige durchsetzen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben gesagt, Schwarz-Gelb zahlt sich für Deutschland aus. Ich stelle fest: Schwarz-Gelb zahlt sich aus für die Mövenpicks, für die Atomlobby und für die Pharmaindustrie. Die haben Sie hier bedient.

(Beifall bei der SPD ? Lachen bei der FDP)

Sie sind in den Wahlkampf gezogen und haben von „Mehr Netto vom Brutto“ gesprochen. Das ist entscheidend. Das will ich einmal ganz klar sagen. Wir haben ein starkes, überaus exportgetragenes Wachstum. Wir brauchen eine stärkere Binnennachfrage. Ich frage Sie: Was tun Sie eigentlich dafür? Da, wo Sie die Möglichkeit dazu haben, haben Sie den Arbeitnehmern in Deutschland über Steuern und Sozialabgaben das Geld aus der Tasche gezogen. Sie haben zusätzliche Steuern eingeführt. Vorige Woche haben Sie hier im Bundestag die Krankenversicherungsbeiträge einseitig zulasten der Arbeitnehmer erhöht.

(Beifall bei der SPD ? Ulrike Flach (FDP): Aber doch nur, weil Sie das Defizit hinterlassen haben!)

Das führt dazu, dass sie weniger in der Tasche haben. Sie erhöhen die Tabaksteuer fünfmal. Sie wollten die Steuersenkungskoalition sein; doch nichts ist. Eine Nettolügenkoalition, das sind Sie.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben kein extremes Problem bei der Besteuerung der Löhne und Einkommen in Deutschland. Im Gegenteil, wir haben ein Problem bei den Sozialabgaben derjenigen, die dem unteren Einkommensbereich angehören. Das ist der entscheidende Punkt.

(Garrelt Duin (SPD): Richtig!)

Bei mir in Erfurt beträgt das durchschnittliche Bruttoeinkommen 22 000 Euro. Was meinen Sie, wie viele Steuern Verheiratete mit zwei Kindern zahlen? Keinen Cent! Aber Sozialabgaben sind jede Menge zu entrichten. Das heißt, wenn man irgendwo ansetzen möchte, dann sollte man das in diesem Bereich tun. Doch Sie senden die falschen Signale. Sie senken nicht den Rentenversicherungsbeitrag ? obwohl es möglich wäre ?, weil Sie Haushaltskonsolidierung nach dem Prinzip „rechte Tasche, linke Tasche“ betreiben. Der Rentenversicherungsbeitrag wird erhöht werden. Sie erhöhen die Krankenversicherungsbeiträge einseitig zulasten der Arbeitnehmer. Außerdem haben Sie die Flugticketsteuer eingeführt. Das ging zulasten der Binnenwirtschaft. Sie haben klar versagt; denn das, was Sie getan haben, ist das Gegenteil von Stärkung der binnenwirtschaftlichen Kaufkraft.

(Beifall bei der SPD ? Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Ist das ein Hü und Hott bei der SPD!)

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Herr Minister, Sie haben gesagt, Sie setzen die Konsolidierung fort. Dass Sie an dem Konjunkturpaket und dem jetzigen Erfolg keinen Anteil haben, das ist offensichtlich. Deutschland brummt trotz Schwarz-Gelb und nicht wegen Schwarz-Gelb. Aber dass Sie behaupten, Sie hätten den Staatshaushalt konsolidiert, ist schon ein starkes Stück. Im Gegenteil, Sie haben zum 1. Januar 2010 diesen Staat um 10 Milliarden Euro ärmer gemacht, indem Sie die Mövenpicks und die reichen Erben in diesem Lande steuerlich begünstigt haben. Das ist der Punkt. Das war aber keine Konsolidierung, sondern strukturell Bedienung Ihrer Wählerklientel.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD ? Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Da klatschen hier noch nicht einmal alle eigenen Leute!)

Sie haben nichts zur Stärkung der Investitionen getan.

Herr Brüderle, Sie haben hier fast eine Klamaukrede gehalten. Ich will etwas zur finanziellen Situation des Bankensektors sagen.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Kann, lieber Herr Kollege Schneider, der Kollege Lindner vorher eine Zwischenfrage stellen?

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):

Gern.

(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Der andere Lindner ist sympathischer!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Lindner, bitte.

Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):

Herr Kollege Schneider, verraten Sie uns einmal, was aus Ihrer Sicht mehr zur Binnenkonjunktur beigetragen hat: ein steuerliches Entlastungsprogramm für das gesamte Hotelgewerbe, in dem 1 Million Menschen arbeiten, oder die von Ihnen beschlossene Absenkung der Mehrwertsteuer für die Binnenkreuzschifffahrt? Kollege Schneider, versuchen Sie einmal, uns das zu erklären.

(Heiterkeit bei der FDP)

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):

Herr Kollege, eine schlechte Sache wird nicht besser, wenn man sie wiederholt.

(Lachen bei Abgeordneten der FDP)

Ich will Ihnen klar sagen, Herr Kollege Lindner: Wir stehen zu unserem Fehler. Die von Ihnen angesprochene Steuerermäßigung ist uns damals von der CDU und von der CSU aufgedrückt worden. Wir wollen, dass das korrigiert wird. Sie werden schon sehen.

Ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble hat sich vorgenommen, das Steuersystem zu vereinfachen. Letzte Woche wurde der Koalitionsausschuss einberufen. Nichts kam dabei heraus. ? Herr Lindner, bleiben Sie ruhig stehen. Ich bin noch nicht fertig. ? Gar nichts ist bezüglich einer Vereinfachung des Mehrwertsteuersatzes passiert. Es gab ein totales Versagen der FDP, aber auch des Finanzministers.

(Dr. Claudia Winterstein (FDP): Reden Sie doch einmal über die Binnenschifffahrt!)

Das Mehrwertsteuergeschenk für die Hoteliers hat den Gesamtstaat 1 Milliarde Euro gekostet. Gebracht hat es 100 Millionen Euro Mehreinnahmen. Lächerlich! Das sind Geschenke, die dem Staat Deutschland und der Wirtschaft nicht helfen. Wir sollten daraus lernen: Steuerpolitische Klientelgeschenke darf es nicht wieder geben. Diese Lehre sollten Sie ziehen.

(Beifall bei der SPD)

Zurück zum Bankensektor. Ich will gezielt den Landesbankensektor herausgreifen. Das Ganze ist ein großes Problem. Es geht dabei nicht nur darum, dass in diesem Sektor 18 Prozent der Mittelstandskredite vergeben werden, sondern auch darum, dass über den öffentlichen Haushalten ein Damoklesschwert schwebt. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sich die Eigentümer der Landesbanken, die Ministerpräsidenten, wirklich bewusst sind, welches Risiko sie eigentlich eingegangen sind, was da in ihren Haushalten schlummert. Viel schlimmer ist das systemische Risiko, das von den Landesbanken ausgeht. Es stellt sich die Frage, was der Bund, die Bundesregierung, der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesfinanzminister, tun, um dieses systemimmanente Problem zu lösen. Sie haben einen Gipfel groß angekündigt; aber es ist nichts passiert. Ich habe von keinem Ergebnis gehört. Dabei besteht hier im Hinblick auf die Systemrelevanz im Finanzsektor das größte Risiko für Deutschland. Das ist auch deshalb entscheidend, weil es hier um die Frage des Mittelstandkreditgeschäfts geht.

Herr Bundeswirtschaftsminister, ich erwarte, dass Sie sich da einmal einmischen und mit einer eigenen Idee nach vorne kommen, anstatt die Sache nur grob wegzuwischen. Hier geht es um eine systemrelevante Frage. Ich fordere Sie auf, endlich zu handeln. Denn die Tankstelle, die SoFFin, schließt am 31. Dezember 2010; danach gibt es keine Chance zur Neuordnung mehr. Dieses Beispiel zeigt, dass Sie unkoordiniert vorgehen, dass Sie von Tag zu Tag leben und keinen größeren Plan haben.

(Beifall bei der SPD)

Ich will auf einen weiteren Punkt eingehen. Das Thema Banken hängt stark mit dem Euro und insofern mit Europa zusammen. Ich werde jetzt nicht auf Irland eingehen; dafür fehlt die Zeit. Ich will im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen einen Punkt im Bereich der Europapolitik herausgreifen, der vielleicht wie eine Petitesse wirkt, aber stilbildend ist. Wenn eines klar ist, dann das: Wir brauchen in Europa eine stärkere Abstimmung und Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Damit meine ich nationalstaatliche Souveränität, aber abgestimmt. Dazu gehört aber auch, dass man miteinander redet und einen gemeinsamen politischen Thinktank hat. Es gibt in Europa solch einen Thinktank, bei dem fast alle EU-Staaten Mitglied sind ? wir sind mit Frankreich Gründungsmitglied ?: Bruegel. Ein Teil der Etatisierung ? 130 000 Euro ? läuft über Ihren Haushalt, Herr Wirtschaftsminister; ein weiterer Teil ? 130 000 Euro ? läuft über Ihren Haushalt, Herr Finanzminister. Die Koalition hat in der Bereinigungssitzung die wahnsinnig kluge Idee gehabt, die 130 000 Euro im Haushalt von Herrn Schäuble zu streichen, hat dabei aber vergessen, dass noch 130 000 Euro bei Herrn Brüderle eingestellt sind.

(Ulrike Flach (FDP): Das ist nicht nötig!)

Das zeigt nur, dass wir uns aus den europapolitischen Debatten entfernen, wenn es darum geht, Strategien zu entwickeln, dass Sie vollkommen kurzfristig handeln, sodass Sie, Frau Kollegin Flach, nicht einmal auf dem Schirm hatten, dass es eine Kofinanzierung über den einen Etat gab, als Sie die Mittel im anderen Etat gekürzt haben. Das ist stilbildend.

(Abg. Ulrike Flach (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Kollege Duin ist vorhin auf die Frage der Steinkohle eingegangen. Es ist stilbildend, welches Personal Sie nach Europa schicken. Es gab eine für Deutschland wichtige Entscheidung zur Steinkohle, die von der Kommission getroffen wurde. Der zuständige Kommissar ist ein Deutscher; aber er war nicht einmal da. Solche Leute schicken Sie nach Brüssel.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Lieber Kollege Schneider, die Uhrzeit ist halt so, wie sie ist.

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):

Ich wollte den letzten Satz sagen.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ja, schön.

Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):

Das ist stilbildend für die Koalition: Sie sind Abstauber und haben kein eigenes Konzept. Das wird sich bitter rächen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren in dieser Woche über den ersten wirklichen Haushalt von Schwarz-Gelb in dieser Legislaturperiode.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Christlich-liberal!)

Daran kann man die Handschrift Ihrer Fraktionen, Ihrer Parteien erkennen.

(Birgit Homburger (FDP): Das ist schon einmal gut! ? Volker Kauder (CDU/CSU): Bravo! Das ist doch super! Das ist klasse!)

Ihre Haushaltspolitik geht vollkommen fehl, weil Sie die Vorgaben der Schuldenbremse nicht einhalten. Nein, Sie manipulieren sie sogar.

(Beifall bei der SPD ? Otto Fricke (FDP): Erklär uns das einmal!)

Ohne diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die für diese Finanzkrise und die Löcher im Haushalt verantwortlich sind, nehmen Sie im Sozialbereich radikale Veränderungen vor. Dort kürzen Sie in einem Maße, das man sich kaum hat vorstellen können.

(Beifall des Abg. Joachim Poß (SPD))

Was Sie nach einem Jahr Verantwortung in der Haushalts- und Finanzpolitik vorgelegt haben, ist nicht nur unglaubwürdig, sondern hat auch keine klare Linie. In der Finanzpolitik braucht man aber eine klare Linie, Glaubwürdigkeit und Vertrauen.

(Beifall bei der SPD)

Wir sehen das an der aktuellen Lage in Irland. Ich glaube, es wäre besser gewesen, wenn die dortige Regierung frühzeitig mit offenen Karten gespielt hätte, anstatt das Problem zu verschleiern. Glaubwürdigkeit bedeutet auf Deutschland bezogen: Man muss vor der Wahl sagen, was man nach der Wahl macht.

(Birgit Homburger (FDP): So ist es!)

Das Gegenteil haben Sie getan.

(Widerspruch bei der FDP)

? Da ist sogar die FDP munter geworden. Herzlich willkommen! Das gilt natürlich zuerst Ihnen. Was haben Sie vor der Bundestagswahl alles versprochen? Umkrempeln wollten Sie dieses Land. Die Schuldenproblematik gab es, zumindest nach Ihrer Kenntnis, damals wohl noch nicht.

(Otto Fricke (FDP): Was?)

Schließlich haben Sie Steuersenkungen versprochen, die Sie ganz simpel gegenfinanzieren wollten. Jetzt schaue ich mir an, welche Steuersenkungen Sie hier vorlegen ? da sind Sie ganz still ?:

(Ulrike Flach (FDP): Nein! Warum?)

Es gibt keine.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie sind in der Realität angekommen.

(Ulrike Flach (FDP): Sie haben die Hälfte des Jahres verschlafen!)

Für diesen Aufprall in der Realität haben Sie ein Jahr gebraucht. Das hat uns in einer finanzpolitisch schwierigen Zeit ein Jahr gekostet.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben kein Vertrauen aufgebaut, sondern für Verunsicherung gesorgt. Der Koalitionsvertrag, den Sie verhandelt und verabschiedet haben, enthielt ganz am Anfang eine Sondermülldeponie. Dort sollten die 200 Milliarden Euro Schulden abgeladen werden, die Sie in dieser Legislaturperiode aufnehmen wollten. Das ist Ihnen vor allen Dingen durch den berechtigten Aufschrei der Öffentlichkeit aus der Hand genommen worden. Das war aber Ihre Absicht: die Einrichtung einer Sondermüllkippe, mit der Sie letztendlich Ihre Politik verschleiern wollten. – Das war schon einmal stilbildend.

(Beifall bei der SPD)

Dann kam die Mär: Wir müssen warten, bis die Steuerschätzung im Mai kommt. – Die Steuerschätzung im Mai kam; die Lage war ein bisschen besser. An dem Donnerstag der Steuerschätzung stand hier noch der Generalsekretär der FDP ? ich glaube, der war es ? und hat gezeigt, wie viel Mehreinnahmen da sind: Es ist doch etwas zu verteilen. – Das alles war natürlich nur auf die Wahl in Nordrhein-Westfalen ausgerichtet. Es hat Ihnen nichts genutzt,

(Birgit Homburger (FDP): Aber Ihnen auch nicht!)

weil die Glaubwürdigkeit verloren gegangen ist. Was Ihnen aber nicht genutzt hat, hat dem Land geschadet, denn wir haben ein Jahr verloren.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, vielleicht haben Sie vorher keine Erkenntnis gehabt. Wir hatten in der letzten mittelfristigen Finanzplanung allerdings ausgewiesen, wie hoch die Defizite sind. Sie hätten es wissen können. Sie haben im Wahlkampf aber bewusst wider besseres Wissen geredet. Von daher haben Sie entweder ein Erkenntnisproblem gehabt ? das will ich Ihnen intellektuell aber gar nicht unterstellen ?, oder Sie haben bei der Bundestagswahl 2009 hier im Bundestag und darüber hinaus Betrug am Volk geübt.

Und das alles hat sich dann kumuliert, als Sie im Juni die Haushaltsaufstellung machten ? großes Sparpaket, 80 Milliarden Euro. 80 Milliarden Euro! Was ist nun davon übrig geblieben? ? De facto sind 40 Milliarden Euro bis 2014 durch Kürzungen im Sozialbereich unterlegt. Da waren Sie sich einig. Wenn es darum geht, den Arbeitslosen das Geld zu nehmen, sind Sie alle dick dabei, und dann wird das durchgezogen. Da geht es im Zweifel sogar noch ein Stückchen härter, und dann wird auch noch das Wohngeld im Haushalt von Herrn Ramsauer gesenkt. Danach wird dieser Schätzansatz wieder gesteigert und gesagt, es gebe ja eine Erhöhung, meine Damen und Herren. Das ist Fabulierwesen, aber keine solide Haushaltspolitik, und es zementiert die soziale Spaltung in Deutschland.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich will aber ganz grundsätzlich zu der Frage kommen: Wie gehen wir eigentlich mit den extrem hohen Defiziten um, und ist das, was Sie hier vorlegen, eigentlich im Sinne des Grundgesetzes? ? Dazu muss man wissen, dass wir uns 2009 hier mit großer Mehrheit eine Schuldenbremse, ein neues Regelwerk, gegeben haben, weil das alte nicht getaugt hat. Wir waren mehrheitlich der Auffassung, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder über unsere finanziellen Verhältnisse gelebt haben.

Diese Schuldenbremse im Grundgesetz wird in diesem Jahr das erste Mal angewendet. Für die nächsten Jahre und Jahrzehnte wird das stilbildend sein. Gerade deshalb ist es wichtig, dass sie im ersten Jahr gegenüber dem Bundestag, aber auch gegenüber der Bevölkerung glaubwürdig und transparent umgesetzt wird. Meine Damen und Herren, da versagen Sie bewusst.

(Beifall bei der SPD ? Volker Kauder (CDU/CSU): „Bewusst versagen“ kann man nicht!)

Woran liegt das? ? Ausgangspunkt für den Abbaupfad bis 2016, um dann nahezu die Nullverschuldung, die Grenze nach der Verfassung, einzuhalten, ist das Defizit, das strukturelle Minus 2010, bereinigt um die konjunkturelle Situation.

Sie haben in dieser Legislaturperiode damit begonnen und gesagt: Ausgangspunkt ist das Haushaltssoll 2010. Das waren, Herr Minister Schäuble, über 80 Milliarden Euro. Dann haben Sie gemerkt: Oh, das ist ganz schön viel, die Konjunktur läuft viel besser. – Ich sage Ihnen: Wir Sozialdemokraten sind froh, dass es in Deutschland wieder aufwärts geht,

(Beifall bei der SPD)

weil wir, mit Verlaub, auch den größten Anteil daran haben ? sowohl durch die Konjunkturprogramme als auch durch die Reformprogramme, die wir durchgezogen haben.

(Zuruf von der FDP: Das ist aber eine Geschichtsklitterung!)

? Ihr Anteil ist nicht bezifferbar, der ist eher negativ gewesen. Das bedeutet: Dieses Land ist gut trotz dieser Regierung, aber nicht wegen dieser Regierung.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE))

Ich komme zurück zum Ausgangspunkt der Schuldenbremse. Dann haben Herr Minister Schäuble und die Regierung festgestellt: Es läuft sehr gut. Wir müssen das voraussichtliche Jahresist nehmen; das waren im Juni etwa 65 Milliarden Euro. – Es ist entscheidend, welchen Punkt Sie nehmen, weil Sie damit höhere Konsolidierungsbemühungen in den nächsten Jahren zu vollziehen haben, weil dann die Kreditobergrenze, das, was Sie als Maximum an Krediten zulässigerweise aufnehmen können, sinkt. Was Sie jetzt tun, ist Folgendes: Sie nutzen die bessere konjunkturelle Situation, die höheren Steuereinnahmen, die geringeren Arbeitsmarktausgaben nicht dafür, die Verschuldung abzubauen, nein, Sie nutzen sie, um hier und heute Klientelgeschenke an die Hoteliers und an die Atomindustrie zu verteilen,

(Norbert Barthle (CDU/CSU): so ein Unfug!)

und Sie schaffen sich eine Kriegskasse für den Wahlkampf 2013, meine Damen und Herren. Das ist die Faktenlage.

(Beifall bei der SPD)

Damit Sie das genau verstehen, zeige ich das in einer Grafik auf. So können Sie es bildlich vor sich sehen.

(Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Hilfsmittel sind nicht zulässig!)

? Das ist ein Hilfsmittel für Sie, Kollege Kalb, damit Sie es auch wirklich begreifen. ? Das ist die Schuldenbremse, und das ist das Defizit, das das Bundesministerium der Finanzen zugrunde legt: 53 Milliarden Euro. – Wir haben den Bundesrechnungshof und die Bundesbank ? die geballte ökonomische Kompetenz in Deutschland ? in einer Anhörung gebeten, dazu Stellung zu nehmen, ob das Zahlenwerk, das uns die Regierung vorlegt, richtig ist. Auch der Sachverständigenrat hat dies in seinem Jahresgutachten so bewertet. Alle drei kommen einhellig zu der Feststellung: Nein, hier wird getrickst, es ist weniger. – Sie nehmen dieses Weniger aber nicht in Ihre Haushaltsplanung auf.

(Beifall bei der SPD)

Dieser schwarz-gelbe Balken in der Grafik, diese 42 Milliarden Euro Schulden ? das ist Ihr Erbe aus dieser Legislaturperiode, das Sie uns allen aufbürden.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Sie müssen noch einmal genau nachlesen! Da steht etwas anderes drin!)

Ich gebe Ihnen die Grafik nachher gerne mit, falls Sie sie haben wollen. Dann können Sie bis Freitag noch einmal darüber nachdenken.

Das ist ein entscheidender Punkt; denn es geht ja auch darum, dass wir solide mit den Finanzen des Staates umgehen wollen. Zu dieser Solidität gehört, dass Sie, wenn es gut läuft, stärker konsolidieren. Konsolidieren heißt nicht zwangsläufig, bei den Ärmsten zu sparen. Vielmehr heißt es, diejenigen, die ein bisschen mehr verdienen, einzubeziehen, damit sie einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass es in diesem Land gerechter zugeht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das tun Sie aber nicht. Im Gegenteil: Bei Ihnen zahlen die Arbeitslosen die Zeche. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, das Sie hier vorlegen. Man muss sich fragen: Haben die die Rechnung bestellt? Haben sie in Irland eine Außenstelle gegründet? Haben die Arbeitslosen in den USA Häuser gekauft? Das geht schon allein aufgrund des Schonvermögens nicht; sie haben gar nicht das Geld dazu. Nein, es sind diejenigen, die über höhere Vermögen verfügen. Ich finde, es ist eine Frage der Gerechtigkeit, der Akzeptanz und des Zusammenhalts einer Bevölkerung, dass diejenigen, die ein bisschen mehr verdienen, auch ihren Beitrag leisten.

Wir haben Anträge dazu vorgelegt; zu diesen komme ich jetzt. Wir bilden die neue Schuldengrenze ab. Wir haben Vorschläge vorgelegt, durch die die Nettokreditaufnahme in Höhe von 42 Milliarden Euro in 2011, wie das Sachverständigenrat, Rechnungshof und Bundesbank empfehlen, umgesetzt wird. Das beinhaltet vier konkrete Maßnahmen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Erstens!)

– Das sind vier Maßnahmen, ganz konkret, Herr Kauder.

(Otto Fricke (FDP): Die sofort greifen? In diesem Jahr?)

– Das gebe ich Ihnen auch mit, Herr Fricke.

Erster Punkt. Wir wollen das Hotelierssteuergeschenkegesetz rückgängig machen. Das greift sofort, Herr Fricke.

(Beifall bei der SPD – Otto Fricke (FDP): 800 Millionen Euro?)

– Nein, auch die Geschenke an Erben und Unternehmen nehmen wir zurück, die Kindergelderhöhung nicht.

(Otto Fricke (FDP): Wie viel?)

? Das bringt 2,3 Milliarden Euro, sehr geehrter Herr Fricke.

(Otto Fricke (FDP): Das stimmt nicht! Das ist falsch!)

? Sie können nachher gerne noch darauf eingehen, Herr Fricke.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Er kann ja hier sagen, was er will!)

Der zweite Punkt betrifft die Frage: Gibt es in Deutschland eigentlich Steuergerechtigkeit in dem Sinne, dass jeder so viel Steuern zahlt, wie er müsste? Vorige Woche haben wir vom Bundesrechnungshof in seinem Jahresbericht wieder einmal vorgehalten bekommen: Wir brauchen in der Steuerverwaltung mehr Prüfer, damit das Recht auch durchgesetzt wird, damit Recht und Gerechtigkeit herrschen, damit die Gesetze, die Sie hier teilweise mit beschlossen haben, auch umgesetzt werden. Das passiert aber in der Realität nicht, weil zu wenig Personal unterwegs ist, um in den Unternehmen zu prüfen und letztendlich dafür zu sorgen, dass die Steuern hereinkommen. Was bedeutet das in der Summe? Der Rechnungshof sagt: 12 Milliarden Euro bei gesamter Umstellung. Das haben wir gar nicht in unsere Rechnung eingestellt.

Es gibt eine Verabredung aus der Föderalismuskommission, in der die Länder zugesagt haben: Wir bemühen uns, ein optimiertes Modell zu finden. – Ich erwarte vom Bundesfinanzminister, dass er diesen Ball aufnimmt und das einfordert.

(Beifall bei der SPD)

Der Rechnungshof sagt: 6 Milliarden Euro. Diese haben wir gar nicht eingestellt. Wir gehen von 3,5 Milliarden Euro aus, weil es ein paar Anlaufschwierigkeiten geben wird. Auch das kann man machen.

Der dritte Punkt betrifft den Spitzensteuersatz. Ja, wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, dass wir den Spitzensteuersatz erhöhen sollten, allerdings erst ab einem Einkommen von 100 000 Euro. Dann sollte der Spitzensteuersatz bei 49 Prozent liegen. Daran geht niemand zugrunde. Das ist ein Beitrag derjenigen in diesem Land, denen es gut geht. Dadurch tragen sie ein Stückchen weit dazu bei, dass die Staatsfinanzen in Deutschland solide sind.

Das sind, glaube ich, Vorschläge, die sehr gut durchsetzbar sind und dazu führen, dass es in diesem Land erstens gerechter zugeht und zweitens ausreichende Einnahmen erzielt werden, sodass wir solide Staatsfinanzen haben. Wir wollen keinen Nachtwächterstaat ? diesen wollen Sie zum Teil ?, sondern einen Staat, der innere Sicherheit gewährleistet und nicht bei der Bundespolizei blind kürzt,

(Beifall bei der SPD)

der sozialen Ausgleich sicherstellt, der die Zusagen im internationalen Bereich bezüglich der ODA-Quote einhält und dafür sorgt, dass Recht und Sicherheit auch im Arbeitsbereich gelten.

Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte ? er wird wahrscheinlich nicht Ihre Zustimmung finden, ist aber belegt ?, betrifft das Thema Mindestlohn. Es ist nicht nur eine Frage von Recht und Ordnung, sondern auch eine Frage der Gerechtigkeit, dass man von dem Geld, das man verdient, leben kann. Dies ist vielfach aber nicht der Fall.

Ich komme aus Erfurt und weiß: Dort wird teilweise ein Bruttolohn von 800 Euro pro Monat gezahlt, sodass zum Beispiel eine Alleinerziehende mit einem Kind ergänzendes Arbeitslosengeld II beziehen muss. Dies kostet den Staat nach einer Berechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg über 5 Milliarden Euro pro Jahr.

Führen Sie einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde ein! Das ist auch eine Frage des Stolzes der Arbeitnehmer; denn dann müssten sie nicht mehr aufs Amt gehen und zusätzlich Stütze beziehen. Außerdem würde das zu einer Entlastung der Sozialversicherung in Höhe von 5 Milliarden Euro jährlich führen ? sie würde mehr Einnahmen erzielen ? und letztlich auch zu mehr Steuereinnahmen.

Meine Damen und Herren, mit diesem geschlossenen Konzept, das die SPD vorlegt, können wir die Schuldenbremse einhalten, die Solidität der Staatsfinanzen im Blick behalten und in Deutschland für sozialen Ausgleich sorgen. Stimmen Sie ihm am Freitag zu! Ich glaube, dann wird es Ihnen allen, auch was Ihre Umfragewerte angeht, ein bisschen besser gehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute erleben wir sicherlich einen maßgeblichen Tag. Jetzt, zu später Stunde, führen wir eine einstündige Debatte über die größten Sozialkürzungen,

(Volker Kauder (CDU/CSU): Wann hören Sie denn auf zu arbeiten?)

die dieses Land je erlebt hat, was von der Koalition mit Alternativlosigkeit begründet wird.

(Zuruf von der FPD: Die höchsten Sozialausgaben!)

? Die höchsten Sozialausgaben, höre ich gerade von der FDP. Dazu kann ich nur sagen: Ihre Antwort auf die Finanz- und Staatsfinanzierungskrise ? die hohen Defizite, die es in allen europäischen Ländern gibt, wurden von der spekulativen Finanzindustrie verursacht, die in vielen Jahren enorme Gewinne gemacht hat ? ist die Kürzung einzig im Sozialbereich, weil Sie der Auffassung sind, dass dieser zu groß ist. Das haben Sie soeben hier bestätigt.

(Beifall bei der SPD)

Dazu muss ich sagen, dass wir ein anderes Weltbild haben.

Wir haben jetzt ein Jahr Schwarz-Gelb hinter uns. Nach einem Jahr sieht man, dass Sie ein halbes Jahr nichts gemacht haben. Sie sagen immer, der Aufschwung wäre Ihrer. Aber ein halbes Jahr haben Sie erst einmal nichts gemacht. Sie wollen doch nicht ernsthaft sagen, dass sich in dem halben Jahr, nachdem Sie angefangen haben, die Welt verändert hat. Das Gegenteil ist richtig: Trotz dieser Regierung läuft es gut. Wir sind froh darüber, dass es ökonomisch gut läuft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt tun Sie so, als wäre die SPD an den Schulden schuld. Das hat Herr Barthle hier zu Beginn gesagt. Es gab aber nicht nur einen Finanzminister Peer Steinbrück, sondern es gab auch eine Bundeskanzlerin, die Angela Merkel hieß.

(Otto Fricke (FDP): Sie heißt noch immer so!)

? Ja, sie heißt noch immer so.

(Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Das ist eine gute Frau!)

Wir haben eine deutlich bessere Lage; das ist vollkommen klar.

Aber geben Sie irgendeine Antwort auf die Frage, wie wir die hohen Schulden, die wir aufnehmen, zurückzahlen? Sie wollen in dieser Legislaturperiode über 200 Milliarden Euro Kredite aufnehmen. Das hat es vorher noch nicht gegeben. Die FDP hat noch davon geträumt, die Steuern zu senken. Aber davon hat sie sich mit der Zeit verabschiedet und ist jetzt in der Realität angekommen. Was ist die Realität? Was machen Sie? Sie erhöhen die Steuern, die Tabaksteuer gleich fünfmal.

(Otto Fricke (FDP): Bist du dagegen?)

Das stand nicht in Ihrem Wahlprogramm; da stand etwas anderes.

(Otto Fricke (FDP): Bist du dagegen? Sag doch mal deine Meinung!)

Wir haben im Bereich einer ökologischen Steuerreform eine andere Auffassung, was die Belastung der Betriebe betrifft. Ein Großteil der Einsparungen, die jetzt überhaupt noch erbracht werden, ergibt sich aus der Abschaffung des Contracting ? eines Betruges ?, aber nicht aus einer tatsächlichen Verbesserung bei den Einnahmen. Die Einnahmen holen Sie sich bei den Verbrauchern, indem Sie die Steuern erhöhen.

Das zieht sich durch Ihre gesamte Politik, von der Luftverkehrsabgabe, die auch eine Steuer ist, bis zur Kernbrennstoffsteuer, die zu gering etatisiert ist, aber in Ihrer Finanzplanung, Herr Schäuble, mit einem Betrag von 2,3 Milliarden Euro beziffert wird. Die Anhörung hat aber ergeben, dass Einnahmen in Höhe von maximal 1,7 Milliarden Euro zu erwarten sind.

Ich zähle neben diesem Punkt noch einige andere Punkte auf und stelle die Frage: Reicht die Finanzplanung, die Sie uns vorlegen, eigentlich aus? Sie sagen, es handle sich um ein sehr ambitioniertes Programm und Sie wollten ganz schnell herunter von den Schulden.

(Otto Fricke (FDP): Sie nicht?)

Nur belasten Sie diejenigen, die sich ein bisschen etwas leisten können, überhaupt nicht; sie kommen bei Ihnen nicht vor. Wer in diesem Land Geld hat, wer einigermaßen verdient, trägt keine Lasten und geht aus der Krise reicher hervor, als er vorher war.

(Beifall bei der SPD)

Das ganze System ist löcherig. Ihnen fehlt das Geld aus der Kernbrennstoffsteuer, weil Sie einen Deal mit der Atomlobby gemacht haben und sich letztendlich den Steuersatz haben diktieren lassen, anstatt eigenständig zu entscheiden. Ihnen fehlen aufgrund Ihrer Entscheidungen 350 Millionen Euro bei der Ökosteuer; Kollege Bonde hat darauf hingewiesen. Ihnen fehlen aufgrund der Beschlüsse zum Jahressteuergesetz, das heute noch zu verabschieden ist, weitere 250 Millionen Euro. Der Finanzminister hat vorhin im Haushaltsausschuss angekündigt, wegen der anstehenden Steuervereinfachung den Ländern zusätzlich eine Kompensation in Höhe von 500 Millionen Euro zu zahlen.

Wenn man die Beträge summiert, dann erkennt man: Es besteht eine Lücke von 1,6 Milliarden Euro. Ich habe noch nicht gehört, wie Sie diesen Betrag eigentlich decken wollen. Da frage ich mich natürlich: Was haben Sie vor? Mir schwant Böses. Wahrscheinlich werden Sie, weil Sie an die Reichen in diesem Land nicht herangehen ? das kriegen Sie mit Ihrem Koalitionspartner FDP nicht hin ? und Sie es auch nicht hinbekommen, eine Finanztransaktionsteuer einzuführen ? Sie verhandeln darüber in Brüssel nicht so ernsthaft wie über andere Punkte ?,

(Joachim Poß (SPD): Die wollen das ja nicht!)

den Kurs des Abbaus der Neuverschuldung nicht so entschieden verfolgen, wie es aufgrund der besseren Konjunktur, der steigenden Steuereinnahmen und der niedrigeren Arbeitsmarktausgaben möglich wäre. Das ist meine Prophezeiung.

(Beifall bei der SPD – Otto Fricke (FDP): Keine eigenen Konzepte!)

Sie schützen Ihre Lobby. Sie ziehen den Kurs der Konsolidierung nicht wirklich durch. Ich komme zum entscheidenden Punkt: Sie kündigen groß an, ein großes Paket auf den Weg zu bringen; aber Sie bleiben in den nächsten drei Jahren wahrscheinlich vollkommen hinter dem zurück, was aufgrund der verbesserten konjunkturellen Lage möglich wäre.

Ich fühle mich bestätigt, insbesondere wenn ich mir die Schuldenbremse anschaue. Da muss ich ein bisschen technisch werden: Wir haben hier im Bundestag einen Abbau der Neuverschuldung in gleichmäßigen Schritten beschlossen. Das war großer Konsens. Der Ausgangspunkt, der dafür gewählt wurde, ist das Defizit des Jahres 2010. Jetzt haben wir aber ein viel geringeres Defizit im Jahr 2010 ? das ist schon jetzt erkennbar ?, als es bei Aufstellung der mittelfristigen Finanzplanung im Juni zu erwarten war.

(Otto Fricke (FDP): Du bist mit deiner Redezeit am Ende!)

Nach meinen Berechnungen wird das Defizit bis 2016, bis zum Ende der mittelfristigen Finanzplanung, 30 Milliarden Euro geringer sein ? Kollege Bonde hat 25 Milliarden Euro errechnet ? als erwartet. Das bedeutet: Sie nehmen diesen zusätzlichen Puffer, um die Steuergeschenke, die Sie jetzt nicht durchsetzen können, am Ende der Legislaturperiode zu verteilen. Das heißt, der Betrug, den Sie schon im Jahr 2009 angekündigt, aber jetzt noch nicht umgesetzt haben, wird 2013 kommen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist insbesondere vor dem Hintergrund der europäischen Situation, auch an den Finanzmärkten, wichtig.

(Zuruf des Abg. Otto Fricke (FDP))

? Herr Kollege Fricke, ich habe noch 30 Sekunden Redezeit. Sie können eine Frage stellen; dann erkläre ich es Ihnen genau. ?

Uns liegt eine Stellungnahme des Bundesrechnungshofs, der wirklich unabhängigsten Institution im Bereich der Finanzen in Deutschland, vor. Der Bundesrechnungshof sagt Ihnen klipp und klar: Schummeln Sie hier nicht, tricksen Sie hier nicht, sondern nutzen Sie die Mehreinnahmen, die wir aufgrund der guten Konjunktur haben, tatsächlich zum Abbau der Verschuldung. ? Ansonsten sind Sie als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet. Der Finanzminister würde weiter gerupft, wie er in den Verhandlungen von der Atomlobby und der Industrie schon gerupft wurde.

(Bettina Hagedorn (SPD): Und Pharma!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

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