Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir 2009 hier im Bundestag die Schuldenbremse beschlossen haben, waren wir in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Wir hatten bei der Wirtschaftsleistung Deutschlands einen Rückgang um knapp 5 Prozent, das heißt den stärksten Konjunktureinbruch, den es jemals gab. Wir haben 2010 einen Haushalt aufgestellt, der auf diese schlechte wirtschaftliche Lage mit einem Konjunkturprogramm und einer Neuverschuldung von über 80 Milliarden Euro reagiert hat.

Heute geht es um den Haushalt 2015, und wir befinden uns in der Situation, dass wir das erste Mal seit vier Jahrzehnten einen Haushalt ohne Neuverschuldung aufgestellt haben. Das ist ein gewaltiger Akt. Ich hätte mir 2009, als wir das vorgenannte hier im Bundestag beschlossen haben, nicht vorstellen können, dass wir dieses Ziel in der Kürze der Zeit erreichen. Das verdient Anerkennung.

(Beifall bei der SPD)

Das ist vor allen Dingen darauf zurückzuführen, dass wir – im Gegensatz zu allen anderen europäischen Ländern – mittlerweile wieder ein Niveau der Wirtschaftsleistung erreicht haben, das deutlich über dem vor der Krise liegt. Damit gehen natürlich die gute Steuerbasis, höhere Abschlüsse bei den Löhnen und geringere Sozialausgaben einher. Ganz entscheidend ist – darauf ist hier schon hingewiesen worden –, dass aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation in vielen anderen europäischen Ländern, der Anpassungsprozesse, die dort stattfinden, das Zinsniveau extrem niedrig, ja, unnatürlich niedrig ist. Davon profitieren auch wir. Man kann nicht auf der einen Seite die EZB dafür kritisieren, dass sie die Zinsen auf ein Niveau senkt, das auf die – ich will nicht sagen – Deflationstendenzen, aber doch die Gefahr reagiert und somit versucht, die Wirtschaft in der EU insgesamt wieder in Gang zu setzen, während wir auf der anderen Seite dadurch Gewinne verzeichnen, dass wir geringere Zinsausgaben haben. Das geht nicht. Ich finde, man muss dort kohärent sein. Das heißt, wir brauchen auf europäischer Ebene nicht nur die EZB als einzig handelnden Akteur, sondern wir müssen auch als nationale Regierung, als nationale Parlamente unserer Verantwortung gerecht werden.

Dazu gehört dann auch ein Blick in die geänderten europäischen Rechtsvorschriften. Hier wird zu Recht auf die Einhaltung der Maastricht-Kriterien in ihrer Form durch die sogenannten Twopacks und Sixpacks hingewiesen. Wir haben die Konsequenzen daraus gezogen, dass es nicht nur um die starre Einhaltung dieser Kriterien, maximal 3 Prozent Neuverschuldung und maximaler Schuldenstand von 60 % des BIP – da sind wir deutlich darüber – geht, sondern wir haben auch makroökonomische Fragen mit in den Blick genommen, so etwa die Frage von Ungleichgewichten in den Leistungsbilanzen. Wenn wir wegen der Haushaltsdefizite mit dem Finger auf Frankreich zeigen, mahne ich auch an: Ja, Frankreich muss sich strukturell reformieren und zusehen, dass alle Steuereinnahmen, die möglich sind, auch generiert werden. Ich sage das auch mit voller Unterstützung dafür, dass das französische Parlament berechtigterweise unserer Forderung jetzt entgegengekommen ist, nämlich die Bankenabgabe nicht steuerlich abzugsfähig zu machen. Es ist ein großer Schritt, wenn zwei europäische Länder das nicht tun und die Kosten der Finanzkrise quasi nicht den Steuerzahlern angelastet werden.

Aber ein weiterer Blick auf Deutschland gehört dazu. Dieser weitere Blick zielt auf den Leistungsbilanzüberschuss. Wir haben uns im Rahmen der Veränderung des Stabilitätspaktes durch das Sixpack verpflichtet, dass der Leistungsbilanzüberschuss maximal 6 Prozent betragen soll. Selbst das geht auf Dauer nicht, sondern wir brauchen eigentlich einen Ausgleich. Nun sind wir in Deutschland im vergangenen Jahr bei 7,5 Prozent gewesen. In diesem Jahr wird der Überschuss wahrscheinlich noch höher sein. Das alles muss uns in Alarmstimmung versetzen; denn die Schuldscheine, die wir für das bekommen, was wir heute exportieren – ich sage einmal: den Porsche oder den BMW –, werden wir nur zurückgezahlt bekommen, wenn die anderen Länder tatsächlich wieder auf die Beine kommen. Das werden sie nur, wenn wir unsere Binnennachfrage und unsere Investitionen in Deutschland stärken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich als Sozialdemokrat sage – Minister Schäuble, da haben wir einen Dissens –, die Investitionen in Deutschland sind zu niedrig, sowohl im öffentlichen Bereich als auch im privatwirtschaftlichen Bereich. Ich habe mir das sehr genau angesehen. Ich beziehe mich auf den Präsidenten des ZEW – er ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates des Bundesfinanzministeriums –, Herrn Fuest. Er hat gesagt, wir müssten jetzt theoretisch sogar eine höhere Verschuldung in Kauf nehmen, um mehr zu investieren. Wir folgen an dieser Stelle seinem Rat nicht. Aber ich finde das bemerkenswert. Schauen wir uns die Zahlen des DIW an. Sie zeigen, dass die Infrastrukturlücke bei fast 80 Milliarden Euro liegt. Wir müssen also deutlich mehr in den Erhalt unserer Infrastruktur investieren. Es ist richtig, dass wir mehr in Forschung investiert haben. Ich bin auch froh, dass die Unternehmen dies tun. Das ist ein großer Unterschied zu Italien zum Beispiel, wo die Unternehmen fast nicht in den Forschungsbereich investieren.

Gerade als Transitland müssen wir eine exzellente Infrastruktur zur Verfügung stellen. Da nagt der Zahn der Zeit. Das ist nicht so sehr in meinem Heimatbundesland Thüringen der Fall; da ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten sehr viel investiert worden. Aber wenn ich den Blick auf Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen oder andere Bundesländer werfe, dann sehe ich den Nachholbedarf. Wir werden zusätzliche Mittel in die Hand nehmen müssen, um die Infrastruktur in Deutschland auf dem exzellenten Niveau zu halten, das wir als entwickelte Volkswirtschaft letztendlich brauchen.

(Beifall bei der SPD)

Der erste Schritt dazu ist, dass wir zusätzlich 10 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung stellen. Ich halte das für absolut richtig. Wir werden in den nächsten ein bis zwei Monaten entscheiden, wie wir diese Mittel einsetzen werden.

Der zweite Schritt ist, dafür Sorge zu tragen, dass die Unternehmen mehr investieren. Wir haben derzeit die Situation, dass die kleinen und mittelständischen Unternehmen Beschäftigung aufbauen und dass sie zusätzliche Investitionen in Deutschland voranbringen, dass es aber gerade im Bereich der Großunternehmen keinen Anstieg bei den Nettoinvestitionen gibt. Das hat viel damit zu tun, dass diese Unternehmen im Ausland neue Fabriken aufbauen. Beispielsweise investiert BASF fast 1 Milliarde Euro in den USA. Unternehmen wie VW gehen verstärkt auf die ausländischen Märkte. Wir müssen aufpassen, dass der Markt in Deutschland für die großen Unternehmen wichtig bleibt.

Deswegen sind Themen wie das Freihandelsabkommen und die Energieversorgung ganz zentral für die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass sie auch leistungsfähig bleibt, damit sich die positive Lohnentwicklung, die wir jetzt haben und die sich in den nächsten Jahren aufgrund des gesetzlichen Mindestlohns noch verstärken wird, fortsetzt. Es ist ja nicht nur so, dass der gesetzliche Mindestlohn für über 4 Millionen Menschen – da zitiere ich Thomas Oppermann – die größte Lohnerhöhung sein wird, die sie je bekommen haben, sondern auch die anderen Löhne werden nachziehen und zu einer höheren Binnennachfrage führen. Das unterstützen wir; denn das ist richtig. Ich hoffe, dass die Gewerkschaften auch höhere Löhne durchsetzen werden.

(Beifall bei der SPD)

Der Kollege Troost – das ist meine letzte Bemerkung – hat die Bund-Länder-Finanzbeziehungen angesprochen. Darüber verhandeln wir gerade in der Koalition. Ich glaube, dass die Union klären muss, was sie tatsächlich will. Man kann nicht sagen, dass es sich bei unseren Vorschlägen um eine Steuererhöhung handelt – eine entsprechende Äußerung des bayrischen Finanzministers habe ich heute in der Zeitung gelesen –, wenn die Summe der Steuereinnahmen gleich bleibt. Das erschließt sich mir nicht. Das ist bayrische Mathematik; vielleicht wird Mathematik in Bayern anders gelehrt. Ich kann das jedenfalls nicht erkennen.

Wir sind der Auffassung: Wir brauchen einen leistungsfähigen Staat. Wir brauchen die Mittel, die durch den Soli eingenommen werden. Das sind 19 Milliarden Euro.

(Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber nicht mit der Gießkanne!)

Die frei verfügbare Finanzmasse des Bundeshaushalts sind jährlich etwa 30 Milliarden Euro. Die 20 Milliarden Euro, die wir im Jahr 2020 zur Verfügung haben – 2019 sind es 19 Milliarden Euro –, können also gar nicht wegfallen; es sei denn, man würde die Mütterrente, die in 2019  6 Milliarden Euro pro anno kostet und die wir im Moment noch nicht aus dem Haushalt finanzieren, wieder rückgängig machen –

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Schneider!

Carsten Schneider:

– oder man würde die Ausgaben für die sozialen Sicherungssysteme kürzen. Aber das wollen wir Sozialdemokraten nicht. Herr Präsident, Sie wollen das sicherlich auch nicht.

Ich komme zum Schluss und sage: Ich hoffe auf einen zügigen Klärungsprozess und darauf, dass wir diese wichtige Frage der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zügig und schnell in dieser Legislaturperiode klären können.

Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da muss sich die SPD aber ein bisschen anstrengen!)