Berlin / Thomas Block und Mathias Puddig 06.07.2018

Interview – Die SPD will den Asylstreit schnell hinter sich lassen. Nach wochenlanger Lähmung verlangt Carsten Schneider, Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, die Rückkehr zur Sacharbeit. Er sei es leid, der Diva Seehofer zuzusehen.

Herr Schneider, Sie sind seit 20 Jahren im Bundestag. So turbulent wie jetzt war es selten. Freuen Sie sich?

Carsten Schneider: Wir erleben gerade extreme Zeiten, nicht nur innen- sondern auch außenpolitisch. Fast alle Parteien im Deutschen Bundestag werden deshalb ordentlich durchgeschüttelt. Die beiden so genannten Schwesterparteien CDU und CSU, die bislang immer als seriös galten, bekämpfen sich bis aufs Blut. In dieser Härte habe ich das noch nicht erlebt, und jeden Tag gibt es neue Krisenmeldungen. Wir kommen deshalb kaum zur Normalität.

Dafür sind sich alle einig, dass die Debatten lebendiger geworden sind.

Dass im Plenarsaal nun zwei Fraktionen mehr sitzen, spiegelt die Heterogenität der Meinungen in der Bevölkerung wider und ist auch in Ordnung. Nicht in Ordnung ist, wie sich der Diskurs verändert und radikalisiert hat. Die Konsensbildung wird immer schwieriger. Es gibt eine immer stärkere Individualisierung, auch in Teilen der Parteien. Beispielhaft dafür war die Entscheidung der FDP, nicht in die Regierung zu gehen. Das war eine egoistische Entscheidung.

Gibt es so etwas auch in der SPD?

Hinter uns liegen wilde Zeiten. Wir haben bei der Wahl extrem verloren, uns dann für die Opposition aufgestellt und sind nach dem Scheitern von Jamaika doch in der Regierung gelandet. Wir haben uns der Verantwortung gestellt und sind nun der Stabilitätsanker der Koalition.

Man konnte den Eindruck gewinnen, dass die SPD kontrollierter und damit auch unsichtbarer geworden ist.

Nicht jede Sau, die durchs Dorf getrieben wird, muss zwingend eine sein, die wir antreiben. Wir sind nach dieser harten Niederlage in einem Erneuerungsprozess. Wir müssen das verlorengegangene Vertrauen  zurückgewinnen – und das unter extremen Konkurrenzbedingungen, während wir in Regierungsverantwortung sind. Das ist schon eine große Herausforderung.

Hinter der Regierung liegt ein wochenlanger Streit voller Provokationen und Polarisierungen. Glauben Sie, dass das jetzt vorbei ist?

Wir haben drei Wochen des lodernden Feuers im Haus der CDU und CSU erlebt. Das hat viel Vertrauen zerstört. Das Ansehen der Demokratie hat gelitten. Der Innenminister hat sich mit der Kanzlerin in einer Art und Weise auseinandergesetzt, die ich dem schlimmsten Feind nicht zumuten würde. Das belastet die Regierungsarbeit. Wir erwarten, dass CDU und CSU wieder zu einer ordentlichen Regierungsarbeit zurückkehren.

Was steht aus Ihrer Sicht jetzt an?

Drei Gesetzesvorhaben, die uns wichtig sind, werden gerade von der Union blockiert: der soziale Arbeitsmarkt für 100?000 Langzeitarbeitslose, das Gute-Kita-Gesetz mit vier Milliarden Euro für die Senkung von Kindergartenbeiträgen und eine Verbesserung des Mietrechts zur Stärkung der Mieter gegenüber den Vermietern. Da muss es jetzt vorangehen. Denn wir wollen etwas verändern und nicht nur so tun, als seien wir eine Regierung.

Sie haben gesagt, sie seien nicht mehr bereit, „die Leiden der alten, weißen Männer“ zu ertragen. Was passiert, wenn das nicht aufhört?

Es ist vollkommen klar, dass wir die Situation, wie wir sie in den letzten Wochen hatten, nicht mehr länger dulden werden. Wir werden gut dafür bezahlt, dass wir eine Regierung stellen, die ihre Arbeit macht. Wenn CDU und CSU den Schuss jetzt nicht hören, dann ist die Regierung irgendwann auch am Ende. Wenn Verabredungen, die wir im Koalitionsvertrag getroffen haben, nicht gelten, dann ist die Grundlage weg.

Zuvor müssen Union und SPD aber eine Lösung für den Asylstreit finden. Wie soll das gehen?

Die Hauptverantwortung liegt beim Bundesinnenminister. Der muss seine Arbeit machen und mit den europäischen Partnerländern dafür sorgen, dass ein Abkommen geschlossen wird, dass die Rücknahme von bereits registrierten Flüchtlingen regelt. Bisher hat er sich aber in Brüssel nicht blicken lassen. Ich bin es leid, solch einer Diva zuzusehen. Ich will, dass er seine Arbeit macht. Wenn die CSU noch halbwegs bei Verstand ist, dann kehrt sie jetzt zur Sacharbeit zurück.