Für die heutige Financial Times Deutschland habe ich folgenden Beitrag verfasst:

Die Bundesregierung, die sich selbst als Wunschkoalition bezeichnet hat, ist bald zwei Jahre im Amt. Der Koalitionsvertrag – und dort insbesondere die Finanzpolitik – ist dabei ein Beleg für ihr Versagen. Ob die Reform der Mehrwertsteuer, die Neuregelung der Gemeindefinanzen oder die angekündigten Entlastungen von 24 Mrd. Euro, an keiner Stelle haben Union und FDP geliefert. Im Gegenteil, die Beiträge für Kranken- und Arbeitslosenversicherung stiegen, die Steuern auf Urlaubsreisen und Zigaretten wurden erhöht. Die angekündigte Entlastung hat sich als Nettolüge entlarvt. Wirklich entlastet wurden nur die Unternehmen, allen voran die Hotellobby.

Kurz vor der Sommerpause will die Regierung Merkel/Rösler nun die ermattete Öffentlichkeit überraschen und schlägt für 2013 Steuersenkungen vor.
Man reibt sich die Augen.

Die deutsche Staatsverschuldung hat die Rekordmarke von 1.000 Mrd. Euro erreicht. Auch in diesem Jahr wird allein der Bund noch über 30 Mrd. Euro neue Schulden aufnehmen müssen. Wir sind mitten im Aufschwung, aber machen immer weiter neue Schulden. Da verbieten sich Steuersenkungen.

Ein erheblicher Teil der Verschuldung war zur Bewältigung der Finanzkrise und der darauf folgenden Wirtschaftskrise notwendig. Nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa sind die öffentlichen Schulden in dieser Zeit stark gestiegen und haben zur Staatsschuldenkrise geführt, an deren Bewältigung wir bis heute arbeiten. In den Krisenjahren ist die Sensibilität bei den Bürgern für die langfristigen Lasten der Staatsverschuldung erheblich gestiegen. Im Sorgenbarometer hat die Angst der Menschen vor der steigenden Verschuldung die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes schon seit fast zwei Jahren von Platz eins verdrängt.

Glücklicherweise ist seit vergangenem Jahr die Schuldenbremse im Grundgesetz in Kraft. Die neue Regel setzt den gesunden Menschenverstand der schwäbischen Hausfrau um, nämlich dass in wirtschaftlich guten Zeiten Vorsorge getroffen werden muss für schlechtere Zeiten.

Die Kenntnis über die Wirkungsweise der verfassungsrechtlichen Schuldenregel ist in der Koalition aber entweder nicht besonders groß, oder sie wird bewusst negiert. Herr Rösler und mit ihm die anderen Steuersenker der Koalition haben hier Nachhilfe nötig. Um die Schuldenbremse wirksam zu gestalten, stehen konjunkturelle Mehreinnahmen nicht zur Finanzierung von strukturellen Mehrausgaben zur Verfügung. Übersetzt bedeutet das: Die mit der Steuerschätzung lediglich prognostizierten Steuermehreinnahmen dürfen ausdrücklich nicht zur Finanzierung einer Steuersenkung genutzt werden. Einnahmeausfälle im Bundeshaushalt, die durch eine dauerhafte Steuersenkung entstehen, müssten durch zusätzliche Ausgabenkürzungen finanziert werden.
Das gilt zumindest so lange, bis die Obergrenze für die maximal zulässige Neuverschuldung nicht mehr überschritten wird. Dieses Ziel kann erst dann erreicht werden, wenn das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt abgebaut ist.

Die Bundesregierung ist an der Herausforderung der Haushaltskonsolidierung glatt gescheitert. Abgesehen von den einseitigen Kürzungen bei den sozial Schwächeren liegen bisher keine substanziellen Konsolidierungsbeiträge vor. Die Belastungen für die Verursacher der Finanzkrise sowie für hohe Einkommen und Vermögen sind bisher weitgehend Ankündigungen geblieben. Konkret sind vor allem die Belastungen für die arbeitenden Menschen und die Arbeitssuchenden. Diese soziale Ungerechtigkeit zerstört die Bereitschaft der Menschen für die notwendige Konsolidierung des Bundeshaushalts.

Das Sparpaket aus dem letzten Jahr, mit dem das strukturelle Defizit abgebaut werden sollte, ist eine Ansammlung von Luftbuchungen und Fehlplanungen. Das angestrebte Volumen von 81,6 Mrd. Euro wird deutlich verfehlt. Die Verantwortung dafür trägt Finanzminister Schäuble. Er hat teilweise unrealistische Sparbeiträge unterstellt oder konnte sich bei der Umsetzung des Sparpakets gegenüber seinen Kabinettskollegen nicht durchsetzen.

Dabei hat er auch noch den Abbaupfad der strukturellen Verschuldung als Grundlage „für das Sparpaket bewusst falsch gewählt und sich so zusätzliche Verschuldungsspielräume von fast 50 Mrd. Euro bis 2016 geschaffen. Nicht nur die SPD-Bundestagsfraktion, auch die Bundesbank, der Sachverständigenrat und der Bundesrechnungshof haben ihm das immer wieder vorgeworfen. Durch diese Politik wird die Bundeskanzlerin auch in Brüssel unglaubwürdig, wo sie gern von den anderen Euro-Ländern eine regelgebundene Finanz- und Haushaltspolitik fordert. Die eigene nationale Regel zur Begrenzung der Verschuldung wird von dieser Regierung dagegen mit Füßen getreten.

Die geschätzten (!) Mehreinnahmen aus Steuern scheiden also zur Finanzierung aus. Soll noch vor der Sommerpause eine Steuersenkung angekündigt werden – so klein sie auch ausfallen mag, müssen Merkel und Rösler konkret darlegen, mit welchen zusätzlichen Einsparungen sie die Einnahmeausfälle kompensieren wollen, um ihr Steuergeschenk zu finanzieren.

Dies ist jedoch nicht zu erwarten, da die Regierung ja noch nicht einmal die beschlossenen Konsolidierungsbeiträge aus dem Sparpaket erbringt. Eine Steuersenkung ohne Gegenfinanzierung wäre eine unakzeptable Steuersenkung auf Pump.

So wird nun also auch noch die notwendige Haushaltskonsolidierung dem Zusammenhalt der Koalition geopfert.

Die Wunschkoalitionäre widerlegen eindrucksvoll ihre Behauptung, sie seien die geborenen Regierungsparteien und könnten besser mit Geld umgehen.

(c) Financial Times Deutschland

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