Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir sind hier in der neuen Legislaturperiode in der Debatte im Anschluss an die Regierungserklärung. Herr Bundesminister Schäuble, ich hätte mir gewünscht, Sie hätten für ein bisschen mehr Klarheit gesorgt und gesagt, worüber wir hier überhaupt reden. Sie haben keinerlei Zahlen genannt oder erklärt, vor welchen Aufgaben unser Land steht. Wir haben erlebt, dass Herr Fricke die Schuld für die ganze Last, die Sie nun als Koalition zu tragen haben, der SPD aufbürden will. Sei es drum, lieber Otto. Du bist dabei ja noch nicht einmal rot geworden.

(Otto Fricke [FDP]: Ich bleibe blau-gelb! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Jetzt wird er aber rot!)

Wir befinden uns in der Situation, dass die öffentlichen Haushalte extrem angespannt sind. Wir haben vom Finanzminister ein Bekenntnis zur europäischen Verfassung, zu den Stabilitätskriterien und zum Grundgesetz gehört. Es wäre ja noch schöner, wenn Sie das nicht gemacht hätten. Sie haben aber keinen Ton dazu gesagt, wie Sie das Finanzierungsdefizit zurückführen wollen. Dazu kam kein Vorschlag, keine Ankündigung.

Ich will Ihnen einmal die Zahlen nennen. Neben dem, was in der mittelfristigen Finanzplanung schon beschlossen wurde, was also die Vorgabe für die Kreditaufnahme ist, ist im Finanzplanungszeitraum noch eine Globale Minderausgabe von insgesamt 40 Milliarden Euro ein geplant. Dieses Geld müssen Sie aufbringen. Sie haben in Ihren Koalitionsverhandlungen nicht beschlossen, wie Sie diese Lücke decken. Sie haben vielmehr beschlossen, diese Lücke zu vergrößern, nämlich um noch einmal 38 Milliarden Euro. Das macht zusammen etwa 80 Milliarden Euro in vier Jahren. Nicht schlecht! Ich frage mich nur: Wie wollen Sie dies abtragen?

Wie kann man sich dieser Notwendigkeit zu Beginn einer Koalition nicht stellen und stattdessen mit Schattenhaushalten arbeiten, obwohl doch alles auf den Tisch gehört? In der FAZ war richtigerweise von „Schwarz-Geld“ die Rede. Von diesem Schwarzgeld hört man zwar nichts mehr, aber das steht immer noch im Koalitionsvertrag. Jetzt ist es an der Zeit, die Fakten auf den Tisch zu legen, Maßnahmen zu besprechen, sie durchzusetzen und der Bevölkerung zu erklären. All das tun Sie nicht. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg in Ihrem Amt. Ich glaube aber, dass Sie Ihrer Aufgabe auf dieser Grundlage nicht gewachsen sein werden.

(Beifall bei der SPD)

Die Frage ist: Wer wird die Zeche bezahlen? Alles, was Sie bisher vorlegen, führt zu neuen Schulden. Ich will Ihnen nicht den Titel des Schuldenkönigs anhängen. Neue Schulden hätte es so oder so gegeben. Die FDP war ja immer für ein Verbot von Schulden. Ich frage mich, wie Sie das hätten durchsetzen wollen. Sie haben immer viel gefordert und jedes Jahr ein Buch mit Einsparvorschlägen vorgelegt, das Liberale Sparbuch.

(Otto Fricke [FDP]: Macht ihr das jetzt?)

Herr de Maizière hat im Fernsehen während der Koalitionsverhandlungen gesagt: Die FDP hat diese Vorschläge in die Verhandlungen noch nicht einmal eingebracht.

(JoachimPoß [SPD]: Hört! Hört!)

Ich habe einmal in dieses Buch hineingeschaut, um zu sehen, was drinsteht.

(Bernd Scheelen [SPD]: Das war ein Telefonbuch! Da war gar nichts drin!)

Da steht, dass Sie die Zahl der beamteten Staatssekretäre verringern wollen. In Ihren Ressorts finden sich acht solcher Stellen. Sie haben sie alle besetzt. Herr Westerwelle hat darüber hinaus den dritten Posten eines Staatssekretärs im Auswärtigen Amt zur Koordinierung der Minister geschaffen.

(Otto Fricke [FDP]: Der stammt von Herrn Steinmeier!)

– Natürlich, das gebe ich zu. Aber was war die Forderung? Abschaffen! Weg damit! Das brauchen wir nicht! – Was macht Herr Westerwelle? Er besetzt diesen Posten mit seinem FDP-Büroleiter. So viel ist von Ihren Einsparungen übrig geblieben. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darüber hinaus wollten Sie immer das Entwicklungshilfeministerium abschaffen. Ich gebe zu, für diese Forderung hatte ich sogar Sympathie. Sie wollten die Aufgaben dieses Ministeriums ins Auswärtigen Amt integrieren. Jetzt sind Sie mit an der Regierung. Was machen Sie? Es bleibt dabei: Es gibt einen neuen Minister. Herr Niebel wird entsorgt. Herzlichen Glückwunsch, liebe FDP.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN – Miriam Gruß [FDP]: Wir entsorgen niemanden! – Otto Fricke [FDP]: Wir
würden nie Menschen entsorgen!)

Und wie wollen Sie aus der Krise herauskommen? Außer Sonntagsreden, in denen Sie zusagen, keine neuen Schulden zu machen und die Zukunft der Kinder nicht zu belasten, kommt nichts. Herr Fricke, Sie haben immer gesagt: Kinder können auf Schuldentürmen nicht spielen.

(Otto Fricke [FDP]: Schuldenberge!)

– Schuldenberge. – Das hat eine gewisse Logik. Jetzt beschließen Sie die Erhöhung des Steuerfreibetrages für Kinder. Man kann im Einzelnen darüber reden. Aber wo ist die Gegenfinanzierung? Wächst dadurch die Kreditaufnahme des Bundes, oder sinkt sie? Sie wächst.

(Otto Fricke [FDP]: Erst einmal ja!)

Nichts von dem, was Sie in der Opposition angekündigt haben, haben Sie umgesetzt. Das ist ein Dokument des Versagens, liebe FDP.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann zur Steuerreform und zum Stufentarif. Der soll Wachstum bringen; darüber kann man im Einzelnen reden. Ich habe bisher noch nicht gehört, wo das Wachstum sonst herkommen soll. Bei der Finanzplanung haben Sie ein Wachstum von 2 Prozent unterstellt, und selbst bei dieser Annahme kommen Sie noch auf eine Kreditaufnahme von über 300 Milliarden Euro. Heute Morgen haben wir gehört, dass das Potenzialwachstum sinkt. Wie hoch ist denn das Potenzialwachstum in Deutschland derzeit? Es liegt unter 2 Prozent, und es sinkt noch, wie Herr Schäuble gesagt hat. Wie wollen Sie eine Wachstumswirkung erreichen, wenn Sie auf Steuereinnahmen aus rein ideologischen Gründen verzichten?

Sie konterkarieren die Konjunkturmaßnahmen, die wir mit dem Programm zur Stärkung der Infrastruktur in den Städten und Gemeinden ergriffen haben. Sie entziehen ihnen jetzt durch den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Hotels das Geld. Die Länder sprechen von 4 Milliarden Euro. Das hat Herr Schäuble auch noch begründen wollen. Er hätte besser dazu geschwiegen. Er sprach von Wettbewerb. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gilt für die Bereiche Kultur und Soziales und schafft einen Ausgleich. Das ist auch in Ordnung. Aber damit Hotelbetriebe im internationalen Maßstab wieder wettbewerbsfähiger werden? Meine Damen und Herren, das ist lächerlich, das ist grotesk. Streichen Sie das!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schauen Sie auf die Homepage der Bundeskanzlerin. Da steht – Zitat -: Steuerermäßigungen führen nicht automatisch zu Preissenkungen. – Das wäre ein Argument; aber nicht einmal das fordern Sie von den Hotelketten und deren Investoren. Dies ist einfach nur ein Wahlgeschenk, das mit 4 Milliarden Euro dauerhaften Mindereinnahmen bezahlt wird.

(Ute Kumpf [SPD]: Wie viele Freinächte sind dafür gewährt worden?)

Ich fordere Sie auf: Zahlen Sie wenigstens die Zinskosten an den Bund aus Ihren Parteikassen zurück! Es schadet nichts, wenn Sie ein paar Blättchen weniger drucken.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden eine Haushaltspolitik machen, die Substanz hat und auf Konsolidierung abzielt. Wir werden keine Voodoo-Ökonomie betreiben, sondern für uns gilt: Die öffentlichen Haushalte müssen stark bleiben. Wir brauchen einen Staat, der finanzkräftig ist und der nicht Ihrer puren Ideologie des schwachen Staates anheimfällt.

Es wird sich die Frage stellen, wer wirklich die Zeche zahlt. Ich vermute, Ihre politische Strategie ist, irgendwie über die NRW-Wahl zu kommen, weil die wichtig ist, und mit dem Haushalt 2011 beginnen Sie dann. Die Frage ist: Wer zahlt es dann? Steuererhöhungen haben Sie ausgeschlossen. Wir haben hohe Defizite in den Sozialversicherungssystemen, angefangen von der Bundesagentur für Arbeit bis hin zur Rentenversicherung. Ich vermute, dass Sie, da aus dem Darlehen an die Bundesagentur für Arbeit ein Zuschuss wird – das war die einzige Sparmaßnahme, die wir noch drin hatten -, an die Sozialversicherungsbeiträge gehen werden. Wie ist die ökonomische Wirkung, wenn Sie die Sozialversicherungsbeiträge erhöhen? Diejenigen, die wenig verdienen, zahlen am meisten, weil es bei der Sozialversicherung eine Beitragsbemessungsgrenze gibt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Das heißt, es werden vorwiegend diejenigen belastet, die ab dem ersten Euro Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Sie senken die Steuern für diejenigen, die viel zahlen. Wer viel Steuern zahlt, wer leistungsfähig ist, zahlt bei einer Entlastung natürlich weniger. Das ist logisch.

Das heißt, es kommt zu einer Umverteilung von Arm nach Reich, und es kommt zu einer ökonomischen Wirkung, die vollkommen unsinnig ist; denn wer ohnehin viel hat, der spart und legt vielleicht noch bei Lehman an, möglicherweise verliert er dabei etwas, aber er wird jedenfalls nicht dafür sorgen, dass die Binnennachfrage gestärkt wird. Daran hat es in den letzten Jahren gekrankt, daran hat es unserem Land gefehlt. Die Stärkung der Binnennachfrage konterkarieren Sie. Dies ist kein Auftakt für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes, dies ist bisher ein Zeichen der Mutlosigkeit, der Verzagtheit und der Zerstrittenheit. Sie werden sehen, dass Sie mit dieser Politik, die Sie hier eingeschlagen haben, nicht durchkommen werden. Das prophezeie ich Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

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