Für die „Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte“ habe ich für die Ausgabe März 2010 folgenden Beitrag verfasst:

Noch ist die Kanzlerin keine 100 Tage im Amt, doch schon jetzt steht fest, dass Deutschland unter der „Wunschkoalition“ geschwächt aus der Wirtschafts- und Finanzkrise hervorgehen wird. Das Trauerspiel begann bei den Koalitionsverhandlungen: Die Bundeskanzlerin versäumte, sich mit ihrem Wunschkoalitionspartner über die Grundsatzfrage zu verständigen, welche Rolle sie dem Staat zubilligen wollen. Soll der Staat dem Markt im Interesse der Allgemeinheit künftig Grenzen setzen? Dann hätte Angela Merkel die FDP zu ideologischer Abrüstung zwingen müssen. Weit gefehlt. Ungebremst setzen die Liberalen „im Namen der Freiheit“ ihren Feldzug gegen den „teuren Schwächling“ Staat in der Regierung fort – Krise? Welche Krise?

Dabei wird die Finanz- und Wirtschaftskrise auch in dieser Legislaturperiode den Rahmen der Haushalts- und Finanzpolitik bilden. Durch die Krise steigt das gesamtstaatliche Defizit im Jahr 2010 auf 144,5 Milliarden Euro. Davon entfallen 86 Milliarden Euro auf den Bund, der schließlich den Löwenanteil der Kosten zur Krisenbewältigung trägt. Wie der Haushaltsabschluss für 2009 zeigt, wurde das zusätzlich aufgenommene Geld klug investiert. Die Konjunkturpakete und die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes haben den Abschwung deutlich abgefedert. Die Folge: Der Bund musste weniger Geld ausgeben als zwischenzeitlich geplant und statt 49 Milliarden Euro nur 34 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen.

Nach dem Krawall in der Koalition zum Jahreswechsel signalisieren einige Koalitionäre Bereitschaft, angekündigte weitere Steuersenkungen auf das Ende der Wahlperiode zu verschieben. Dabei gerät aus dem Blick, dass aufgrund der neuen Schuldenregel im Grundgesetz schon ohne zusätzliche Steuergeschenke erheblicher Konsolidierungsbedarf besteht. Laut Verfassung muss Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble jedes Jahr aufs Neue mindestens zehn Milliarden Euro einsparen – oder zusätzliche Einnahmen generieren. Die Entlastung der Arbeitgeber bei der Gesundheitsversicherung sind in dieser Rechnung noch ebenso wenig berücksichtigt wie das irrsinnige Betreuungsgeld oder die Neuverteilung der Umsatzsteuer zugunsten der Länder.

Wolfgang Schäuble muss endlich die Karten auf den Tisch legen und eine mittelfristige Finanzplanung vorlegen, die darstellt, wie der Bundeshaushalt konsolidiert werden soll. Für seine bisherige Untätigkeit gibt es nur zwei Erklärungen: Entweder hat er überhaupt kein Konzept, oder er will es bis nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen unter Verschluss halten, um sich vorher einer öffentlichen Diskussion über die wahren Ziele von Schwarz-Gelb zu entziehen. Beides ist nicht akzeptabel. Nicht zuletzt verunsichert der Finanzminister die wirtschaftlichen Akteure und gefährdet den Aufschwung in Deutschland.

Mit der Unterstützung der Steuersenkungskampagne der FDP macht sich Angela Merkel der Beihilfe zur Veruntreuung von Volksvermögen schuldig. Sie trägt die Verantwortung dafür, dass der Staat auf allen Ebenen abgewrackt wird und seine Funktionen – etwa bei der Sicherung von Chancengleichheit und der Daseinsvorsorge – nicht mehr erfüllen kann. Einige Lobbyisten und Besserverdiener profitieren zulasten der Mehrheit der Bevölkerung. Und mit dem Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung im Gesundheitswesen sowie mit der Einführung des „Bürgergeldes“, die in CDU und FDP vorbereitet wird, verabschiedet sich die Koalition sogar systematisch vom Solidarprinzip.

So verkommt die soziale Marktwirtschaft, die die Unionsparteien als Monstranz vor sich hertragen, zu einer leeren Begriffshülle. Zwar versucht Merkel weiter, die Bürger rhetorisch einzulullen, um sie in Sicherheit zu wiegen. Doch dass ihrer Politik zuvörderst ein machttaktisches Kalkül zugrund liegt, hat sie in der „Berliner Erklärung“ auf der Jahresanfangsklausur der CDU selbst offen zugegeben.

Kein Wunder also, dass sich die Menschen angesichts des wachsenden Schuldenbergs große Sorgen machen. Die ideologische Politik der Bundesregierung gefährdet in der größten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren das Vertrauen der Bürger in die Funktionsfähigkeit unseres politischen Systems. Dagegen steht die SPD wie keine andere Partei seit mindestens zehn Jahren für stabile öffentliche Finanzen. Allein die SPD will einen handlungsfähigen Staat, der gleiche Lebenschancen für alle Menschen garantiert. Denn: Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten. Diese Kompetenz werden wir als eines unserer zentralen Markenzeichen verteidigen. Die Menschen erwarten von der größten Oppositionskraft keine Wünsch-Dir-Was-Maßnahmenkataloge, sondern schlüssige politische Alternativen. Für einfache Antworten sind andere zuständig.

Damit Politik und Staat auch in Zukunft handlungsfähig bleiben, muss nach der Bewältigung der Krise die Konsolidierung Priorität erhalten. Weitere Einnahmeverluste für Bund, Länder und Gemeinden sind nicht vertretbar, schon gar nicht durch sozial ungerechte Steuersenkungen. Deshalb wird die SPD an ihrem bisherigen Kurs zur Krisenbewältigung festhalten. Zum einen geht es darum, die Auswirkungen der Krise auf die Menschen in unserem Land abzumildern. Zum anderen wollen wir die Ursachen bekämpfen, damit sich eine solche Krise nicht wiederholen kann. Unsere Leitlinie: Diejenigen, die die Krise herbeigeführt haben, müssen auch dafür haften. Und jene Akteure auf den Finanzmärkten, die von den staatlichen Rettungsmaßnahmen unmittelbar, aber auch mittelbar profitieren, müssen die Kosten tragen, die den öffentlichen Haushalten entstanden sind. Wir brauchen effektive, umfassende Regeln, um ein erneutes Versagen der Akteure auf den Märkten zu verhindern. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Präsident Barack Obama im erzliberalen Amerika jetzt eine Bankensteuer einführt, wie sie die SPD lange fordert. Nur Angela Merkel will weiter nichts davon wissen.

Ebenso verzagt agiert Schwarz-Gelb bei der Bekämpfung der Kreditklemme. Während die Banken ihre Risikovorsorge erhöhen und die Zahl der Unternehmensinsolvenzen steigt, heuert diese Regierung einen Kreditmediator an, der erst Anfang März seine Arbeit aufnimmt, aber gar keine Entscheidungsbefugnisse hat. Auch hier zeigt sich: Diese Koalition kennt kein Maß und keine Mitte. Es ist die falsche Regierung zur falschen Zeit.

(c) Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte

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