Zusammen mit Jakob von Weizsäcker, Thüringer SPD-Europaabgeordneter, habe ich für die heutige Frankfurter Rundschau folgenden Beitrag verfasst:

In Europa hat ein Bewusstseinswandel eingesetzt. Die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass Steuern kein Raubzug des Staates sind, sondern die Voraussetzung dafür, dass staatliche Leistungen wie Poli­zei und Justiz, Investitionen in Bildung, Schule, Straßen und öffentliche Güter si­chergestellt werden. Die gerechte Finan­zierung des Gemeinwesens ist Vorausset­zung für soziale Gerechtigkeit, gleiche Teilhabechancen und öffentliche Investi­tionen. Steuerbetrug, von Staaten betrie­bene Steuervermeidung und Steuerdum­ping verletzen das Gerechtigkeitsgefühl vieler Menschen. Hinzu kommt der unlau­tere Wettbewerbsvorteil, den multinatio­nale Konzerne gegenüber kleinen und mit­telständischen Betrieben erhalten. Wer sich der Steuerzahlung entzieht, lebt auf Kosten seiner Mitbürger.

Deutschland und andere EU-Staaten können ihre Investitionen nur erhöhen, wenn die Einnahmebasis gesichert ist. Die Finanzkrise hat Europa als Haftungsge­meinschaft zusammengerückt, über die gemeinsamen Rettungsschirme und die Maßnahmen der EZB. Jetzt brauchen wir eine stärker integrierte zweite Säule, also Solidarität bei den Einnahmen, um die Fis­kalunion zu schaffen. Dazu braucht es keine Steuererhöhun­gen oder neue Steuern, wenn alle das be­zahlen, was sie heute schon müssen – nur die Finanztransaktionssteuer werden wir neu einführen. Zusätzliche Investitionen würden in beträchtlichem Umfang mög­lich, ebenso eine Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen. Deshalb müssen wir dem unfairen Steuerwettbewerb ein Ende setzen und Steueroasen trockenlegen.

Die EU-Kommissionsmitglieder Pierre Moscovici und Margrethe Vestager haben nun angekündigt, im Jahr 2015 Vorschläge vorzulegen, wie Steuerbetrug und Steuer­vermeidung effektiver bekämpft werden können. Sie verweisen auf den automati­schen Informationsaustausch bei grenzüberschreitenden Steuervorentscheidun­gen und Vorschläge zu mehr Transparenz bei großen Unternehmen.

Das sind Schritte in die richtige Rich­tung. Aber das Ziel, den Steuerwettbewerb im EU-Binnenmarkt gerechter und trans­parenter zu machen, würde zu kurz grei­fen. Im Europäischen Parlament wurde klar adressiert, dass das Programm von Präsident Jean-Claude Juncker noch nicht ambitioniert genug ist, um den notwendi­gen Wandel in der EU-Steuerpolitik einzu­leiten. Wir brauchen nicht mehr Wettbe­werb, sondern müssen das Steuerdumping der Staaten beenden.

Fehlende Zuständigkeit und das Ein­stimmigkeitsprinzip bei Steuerfragen dür­fen dieses Ziel nicht länger gefährden. Ge­braucht wird ein verbindlicher Aktions­plan. Gerade Herr Juncker steht dafür an­gesichts des erschreckenden Steuerdum­pings Luxemburgs in einer besonderen Bringschuld. Aber auch die Staats- und Re­gierungschefs müssen die Initiative ergrei­fen.

Nur ein erster Schritt ist, den automati­schen Informationsaustausch über die von EU-Bürgern und Unternehmen in anderen Staaten gehaltenen Vermögen und erziel­ten Einkünfte rasch, spätestens aber zum 1. Januar 2016 einführen. Zeitgleich müs­sen steuerliche Sonderregeln und Ausnah­men, die Staaten großen Unternehmen ge­währen – sogenannte „Tax-Rulings“ – der EU-Kommission gemeldet und veröffent­licht werden, auch in den Jahresabschlüs­sen der Unternehmen. Sie sind so rasch wie möglich abzuschaffen, auch mit Hilfe des wettbewerbsrechtlichen Instrumenta­riums der Kommission. Für die Zukunft sind Ausnahmen von Steuergesetzen grundsätzlich zu verbieten. Nur Vorabaus­künfte der Finanzbehörden, die über die Auswirkungen von Steuergesetzen infor­mieren, dürfen zulässig sein, müssen aber in den Informationsaustausch einbezogen werden. Briefkastenfirmen und Stiftungen, deren wirtschaftlich Berechtigte ano­nym bleiben, sowie staatenlose Gesell­schaftsgründungen sind ebenfalls zu ver­bieten. International tätigen Unternehmen muss zur Verbesserung der Transparenz ei­ne länderbezogene Berichterstattung über Gewinne, Verluste und gezahlte Steuern vorgeschrieben werden. Gewinne sind dort zu versteuern, wo sie entstehen.

Die Kommission muss auch Vorschläge vorlegen, wie stärker gegen den EU-weiten Umsatzsteuerbetrug angegangen werden kann. Helfershelfer von Steuerbetrug, et­wa in Banken, müssen härter bestraft wer­den, Banken muss bei organisierter Beihil­fe die Lizenz entzogen werden können.

Wir brauchen EU-weit verbindliche Standards für den Steuervollzug, vor allem für Betriebs- und grenzüberschreitende Prüfungen – hier hat auch Deutschland Nachholbedarf. Dazu gehören eine ge­meinsame Körperschaftsteuer-Bemes­sungsgrundlage und Mindeststeuersätze bei den Unternehmenssteuern.

Die Kommission muss diese Herausforderung annehmen und Vorschläge ausar­beiten, weil sie allen helfen. Und falls ein Staat die Solidarität bei den Einnahmen ablehnt, hat er auch keinen Anspruch da­rauf, dass seine Investitionen aus Gemein­schaftsmitteln finanziert oder gefördert werden. Der Ehrliche darf nicht länger der Dumme bleiben. Weitere Verzögerungen können wir uns nicht leisten – erst recht nicht ein verzögerndes Warten auf Ein­stimmigkeit. Nimmt die Kommission diese Herausforderung nicht an, sind die Mit­gliedstaaten gefragt, im Rahmen der ver­stärkten Zusammenarbeit voranzuschrei­ten. Deutschland muss dann – wie bei der Finanztransaktionssteuer – eine Vorreiter­rolle einnehmen und seine starke Position in Europa nutzen.

(c) Frankfurter Rundschau