Zum Vorschlag der Thüringer FDP, ein Spendenkonto zugunsten des Landes einzurichten, habe ich für die heutige Thüringer Allgemeine folgenden Beitrag verfasst:

Auf den ersten Blick ist das vom Landtag beschlossene „Thüringer Schuldenkonto“ eine schöne Idee: Mit freiwilligen Geldbeträgen können sich alle Bürgerinnen und Bürger – vor allem die wohlhabenden – am Abbau der Landesschulden beteiligen. Jeder Euro, der auf das Konto fließt, wird ab 2013 verbindlich zur Schuldentilgung verwendet. Wer sollte etwas dagegen haben? Doch hat die Sache einen Haken.

In Wahrheit ist das Schuldenkonto ein Placebo, das von den tatsächlich notwendigen Maßnahmen zur Sanierung der öffentlichen Haushalte ablenkt. Thüringen ist mit 16 Milliarden Euro verschuldet. Dass auf freiwilliger Basis genügend Geld eingesammelt wird, um auch nur einen Bruchteil davon zu tilgen, glaubt niemand ernsthaft.

Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble hat vor zwei Jahren ein bundesweites Schuldenkonto eingerichtet. Bisher sind gerade mal 140 000 Euro dort eingegangen angesichts des Schuldenstandes des Bundes von 1,3 Billionen Euro kaum der Rede wert.

Die strukturellen Probleme der öffentlichen Haushalte lassen sich nur lösen mit einem Dreiklang aus Kürzungen, Investitionen in Wachstum und höheren Steuern für Wohlhabende. Das Thüringer Schuldenkonto zielt in die entgegengesetzte Richtung: Die vermögenden Bürger werden aus ihrer Verantwortung entlassen und sollen selbst entscheiden, ob sie einen zusätzlichen Beitrag leisten. Das Prinzip der Steuerpflicht wird durch Freiwilligkeit ersetzt.

Kein Zufall, dass der Vorschlag für das Konto von der FDP kommt. Offenbar will die Partei ihre Klientel mit diesem Ablenkungsmanöver schützen.

Die FDP scheint die Auswüchse des deutschen Schuldenproblems noch immer nicht begriffen zu haben. Mittlerweile hat der Schuldenstand des Gesamtstaats – Bund, Länder und Gemeinden – die magische Grenze von 2 Billionen Euro überschritten. Um diese Summe auf einen Schlag zu tilgen, müsste jeder Bürger vom Säugling bis zum 100-Jährigen dem Staat umgerechnet 25 000 Euro überweisen. Schlimmer noch: In den kommenden Jahren wird der Druck auf die öffentlichen Haushalte stark zunehmen.

Thüringen steht mit 16 Milliarden Euro in der Kreide; anderthalbmal so viel, wie der Freistaat 2011 insgesamt ausgegeben hat. Haushaltsdisziplin ist also dringend notwendig. Deshalb will die Landesregierung in diesem Jahr keine neuen Schulden mehr aufnehmen.

Trotzdem ist keine Entwarnung in Sicht: Der Thüringer Finanzminister hat noch kein schlüssiges Konzept vorgelegt, wie er angesichts der jährlich schrumpfenden Mittel aus dem Solidarpakt künftig weiter vernünftig haushalten und gleichzeitig sparen will.

Wer die ausufernde Staatsverschuldung in Deutschland wieder in den Griff bekommen will, muss einen Blick auf die Schuldengeschichte werfen: In den vergangenen vierzig Jahren hat sich die deutsche Schuldenquote – das Verhältnis des Schuldenberges zum Bruttoinlandsprodukt – mehr als vervierfacht. 1970 betrug sie 18 Prozent und wuchs bis 1989 auf 40 Prozent an. Nach 1990 ging es steil bergauf: Vor der Finanzkrise 2008 lag die Schuldenquote schon bei 64 Prozent. Derzeit sind es über 80 Prozent – gut 20 Prozentpunkte über der Maastricht-Grenze von 60 Prozent.

Für diese Entwicklung gibt es zwei Gründe: Erstens haben die deutsche Einheit und jüngst die staatlichen Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft enorme Kosten verursacht. Zweitens haben die unterschiedlichen Regierungen seit den Siebzigerjahren eine expansive Finanzpolitik betrieben: In wirtschaftlich schlechten Zeiten erhöhten sie – verständlicherweise – die staatlichen Ausgaben, um die Konjunktur anzukurbeln. Jedoch bauten sie die aufgelaufenen Defizite in guten Zeiten nicht wieder ab. Häufig stiegen die Ausgaben sogar noch, manchmal kombiniert mit Steuersenkungen.

Heute handelt die schwarz-gelbe Bundesregierung wieder genauso: Trotz steigender Einnahmen will sie 2012 über 50 Prozent mehr Schulden aufnehmen als im Jahr zuvor und kündigt zugleich für das Wahljahr 2013 niedrigere Steuern an. Dafür bricht die Regierung Merkel die erst im Jahr 2009 von der Großen Koalition eingeführte Schuldenregel im Grundgesetz – unter lautstarkem Protest von Bundesbank, Sachverständigenrat und Bundesrechnungshof. Gemäß der Schuldenregel, auch „Schuldenbremse“ genannt, muss die Neuverschuldung des Bundes bis 2016 sukzessive auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sinken; die Länder dürfen ab 2020 überhaupt keine neuen Schulden mehr machen.

Damit die strukturellen Probleme der öffentlichen Haushalte langfristig gelöst werden, hat die SPD auf ihrem Bundesparteitag im Dezember ein umfassendes finanzpolitisches Konzept beschlossen, an dem ich federführend mitgearbeitet habe. Mit dem „Pakt für Bildung und Entschuldung“ hält die SPD die Schuldenbremse strikt ein und schafft zugleich Spielräume für Investitionen in Bildung und Infrastruktur. Gut für Thüringen: Die für Bildung zuständigen Länder erhalten zusätzliche Mittel! Und wenn wir das sogenannte Kooperationsverbot abschaffen, kann sich auch der Bund stärker an den Bildungsausgaben der Länder beteiligen. Parallel dazu erhöhen wir die Finanzkraft der Städte und Kommunen. Das Geld soll dahin fließen, wo es im Alltag der Menschen gebraucht wird. Damit keine Schwimmhallen, Theater und Bibliotheken geschlossen werden.

Um dies zu finanzieren, hat die SPD konkrete Vorschläge für Ausgabenkürzungen vorgelegt. Darüber hinaus ist in der größten Staatsschuldenkrise aller Zeiten die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer, die Reform der Erbschaftssteuer sowie ein höherer Spitzensteuersatz ab 100 000 Euro notwendig und gerechtfertigt.

Schließlich haben die Wohlhabenden vom Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahrzehnte und den guten Wachstumsbedingungen Infrastruktur, Bildung, Sozialsystem überdurchschnittlich profitiert, während immer mehr Menschen für Niedriglöhne arbeiten müssen.

Dadurch ist der Abstand zwischen Arm und Reich in Deutschland kräftig gewachsen. Im zurückliegenden Jahrzehnt haben sich die Bruttolöhne im untersten Viertel der Einkommensstatistik um fast 14 Prozent verringert, während die Einkommen im obersten Viertel um 3,5 Prozent zugenommen haben. Kaum verwunderlich, dass nur noch ein Fünftel der Deutschen die Einkommens- und Vermögensverteilung für gerecht hält.

Diese Entwicklung kann uns nicht egal sein kann. Denn Gesellschaften, in denen es mehr soziale Gleichheit gibt, funktionieren besser. Das haben die renommierten britischen Sozialforscher Kate Pickett und Richard Wilkinson in ihrer bahnbrechenden Studie „Gleichheit ist Glück“ empirisch belegt.

Die sozialen und gesundheitlichen Probleme in Industrieländern nehmen umso stärker zu, je größer der Abstand zwischen dem Oben und Unten wird. Besonders wichtig: Ungleichheit wirkt sich nicht nur auf die ärmeren Schichten negativ aus, sondern auf die gesamte Bevölkerung, indem sie den Statuswettbewerb verschärft und „sozialen Stress“ erzeugt.

Leider sind „Schuldenkonten“ weder auf die Schuldenkrise, noch auf die zunehmende soziale Spaltung eine Antwort.

Deren Befürworter führen als Kronzeugen übrigens gern den Pop-Star Marius Müller-Westernhagen ins Feld. Dabei hat der nie gefordert, Konten für den freiwilligen Schuldendienst einzurichten. Im Gegenteil, er sagte: „Ein paar Prozentpunkte mehr Steuern machen Wohlhabende nicht arm. Es werden sogar alle reicher, wenn die Einnahmen konsequent zur Schuldentilgung genutzt werden und Zukunft statt Zinsen schaffen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

(c) Thüringer Allgemeine

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